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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Calderon.

Laufbahn beschloß, mit dem Sänger der Lusiaden das Schicksal, im Auslande,
selbst im heutigen Deutschland, mehr genannt als gekannt zu sein; sogar unter
denen, deren literarisches Interesse sich nicht ausschließlich auf deutsche Geistes¬
werke erstreckt, wird man manchen! begegnen, dem der Name Caldero" keine andre
Erinnerung wachruft als etwa die an die vielcitirtcu Verse in Platens "Vcr-
hängnißvoller Gabel," in denen die Productivität des spanischen Poeten der
Schreibfertigkeit Kotzebues als Parallele dient, und die daher, wo Kenntniß der
Caldcronschen Werke nicht vorhanden ist, leicht Grund zu einem Mißverständniß
werden können, das niemand lebhafter als ihr Urheber, jener aufrichtige Ver¬
ehrer Calderons, beklagen würde.

Es ist nicht zu leugnen, daß Calderon in Deutschland, wo ihm zu Anfange
dieses Jahrhunderts ein wahrer Cultus gewidmet ward, aus der Mode gekommen
ist. Wir sprechen dies aus, ohne untersuchen zu wollen, welche Umstünde daran
schuld sein mögen, meinen indeß den äußern Anlaß, der gegenwärtig die allge¬
meine Aufmerksamkeit auf den spanischen Dichterfürsten hinlenkt, doppelt freudig
in einer Zeit begrüßen zu dürfe", die von Uebersetzungen ans der Fremde wahr¬
haft überfluthet wird und durch die Unmasse des Mittelmäßigen, ja Kunst¬
widrigen, mit dessen Verdeutschung sich zahllose Hände mühen, in Gefahr geräth,
das wirklich Werthvolle und Bleibende in ausländischer wie leider auch in ein¬
heimischer Literatur zu vergessen.

Um die Werke Calderons zu studiren und würdigen zu lernen, stehen zwar
keiner Nation außerhalb der pyrenäischen Halbinsel so reiche Hilfsmittel zu Ge¬
bote wie der unsern: durch eine Reihe trefflicher Uebersetzungen*) und die Ar¬
beiten der berufensten Literarhistoriker darf deutsche Geistesarbeit für die Kenntniß
Calderons eine ähnliche Bedeutung wie für die Shakespeareforschung beanspruchen;
mußte doch dein vor wenigen Decennien erschienenen Werke des Grafen von Schack
über die Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien selbst von
spanischen Kritikern das ehrenvolle Zeugniß ausgestellt werden, daß damit die
erste auf der Höhe literarhistorischer Forschung stehende Arbeit auf diesem Ge¬
biete geleistet worden; und daß derjenige Abschnitt dieses classischen Buches, der



*) A, W. Schlegel, spanisches Theater, 2 Bände, 1803-1803, 2. Ausgabe von Ed.
Böcking 1845; I. D. Gries, Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Bären, 3 Bände,
1815--1842; unter gleichem Titel veröffentlichten ihre Übersetzungen Otto Frhr. v. d. Mals-
burg, 6 Bde., 1819-182S, und Adolf Martin, 3 Bde., 1844, Die geistlichen Schauspiele
verdeutschten Eichendorff (2 Bde., 184ö-1853) und F. Lorinser (Don Pedro Calderons
de la Barna geistliche Festspiele mit erklärenden Commentar und einer Einleitung über die
Bedeutung und den Werth dieser Dichtungen, 18 Bände, 1836--1872; von demselben:
Calderons größte Dramen religiösen Inhalts, 3 Bände, 1875).
Calderon.

Laufbahn beschloß, mit dem Sänger der Lusiaden das Schicksal, im Auslande,
selbst im heutigen Deutschland, mehr genannt als gekannt zu sein; sogar unter
denen, deren literarisches Interesse sich nicht ausschließlich auf deutsche Geistes¬
werke erstreckt, wird man manchen! begegnen, dem der Name Caldero» keine andre
Erinnerung wachruft als etwa die an die vielcitirtcu Verse in Platens „Vcr-
hängnißvoller Gabel," in denen die Productivität des spanischen Poeten der
Schreibfertigkeit Kotzebues als Parallele dient, und die daher, wo Kenntniß der
Caldcronschen Werke nicht vorhanden ist, leicht Grund zu einem Mißverständniß
werden können, das niemand lebhafter als ihr Urheber, jener aufrichtige Ver¬
ehrer Calderons, beklagen würde.

Es ist nicht zu leugnen, daß Calderon in Deutschland, wo ihm zu Anfange
dieses Jahrhunderts ein wahrer Cultus gewidmet ward, aus der Mode gekommen
ist. Wir sprechen dies aus, ohne untersuchen zu wollen, welche Umstünde daran
schuld sein mögen, meinen indeß den äußern Anlaß, der gegenwärtig die allge¬
meine Aufmerksamkeit auf den spanischen Dichterfürsten hinlenkt, doppelt freudig
in einer Zeit begrüßen zu dürfe», die von Uebersetzungen ans der Fremde wahr¬
haft überfluthet wird und durch die Unmasse des Mittelmäßigen, ja Kunst¬
widrigen, mit dessen Verdeutschung sich zahllose Hände mühen, in Gefahr geräth,
das wirklich Werthvolle und Bleibende in ausländischer wie leider auch in ein¬
heimischer Literatur zu vergessen.

Um die Werke Calderons zu studiren und würdigen zu lernen, stehen zwar
keiner Nation außerhalb der pyrenäischen Halbinsel so reiche Hilfsmittel zu Ge¬
bote wie der unsern: durch eine Reihe trefflicher Uebersetzungen*) und die Ar¬
beiten der berufensten Literarhistoriker darf deutsche Geistesarbeit für die Kenntniß
Calderons eine ähnliche Bedeutung wie für die Shakespeareforschung beanspruchen;
mußte doch dein vor wenigen Decennien erschienenen Werke des Grafen von Schack
über die Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien selbst von
spanischen Kritikern das ehrenvolle Zeugniß ausgestellt werden, daß damit die
erste auf der Höhe literarhistorischer Forschung stehende Arbeit auf diesem Ge¬
biete geleistet worden; und daß derjenige Abschnitt dieses classischen Buches, der



*) A, W. Schlegel, spanisches Theater, 2 Bände, 1803-1803, 2. Ausgabe von Ed.
Böcking 1845; I. D. Gries, Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Bären, 3 Bände,
1815—1842; unter gleichem Titel veröffentlichten ihre Übersetzungen Otto Frhr. v. d. Mals-
burg, 6 Bde., 1819-182S, und Adolf Martin, 3 Bde., 1844, Die geistlichen Schauspiele
verdeutschten Eichendorff (2 Bde., 184ö-1853) und F. Lorinser (Don Pedro Calderons
de la Barna geistliche Festspiele mit erklärenden Commentar und einer Einleitung über die
Bedeutung und den Werth dieser Dichtungen, 18 Bände, 1836—1872; von demselben:
Calderons größte Dramen religiösen Inhalts, 3 Bände, 1875).
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[0228] Calderon. Laufbahn beschloß, mit dem Sänger der Lusiaden das Schicksal, im Auslande, selbst im heutigen Deutschland, mehr genannt als gekannt zu sein; sogar unter denen, deren literarisches Interesse sich nicht ausschließlich auf deutsche Geistes¬ werke erstreckt, wird man manchen! begegnen, dem der Name Caldero» keine andre Erinnerung wachruft als etwa die an die vielcitirtcu Verse in Platens „Vcr- hängnißvoller Gabel," in denen die Productivität des spanischen Poeten der Schreibfertigkeit Kotzebues als Parallele dient, und die daher, wo Kenntniß der Caldcronschen Werke nicht vorhanden ist, leicht Grund zu einem Mißverständniß werden können, das niemand lebhafter als ihr Urheber, jener aufrichtige Ver¬ ehrer Calderons, beklagen würde. Es ist nicht zu leugnen, daß Calderon in Deutschland, wo ihm zu Anfange dieses Jahrhunderts ein wahrer Cultus gewidmet ward, aus der Mode gekommen ist. Wir sprechen dies aus, ohne untersuchen zu wollen, welche Umstünde daran schuld sein mögen, meinen indeß den äußern Anlaß, der gegenwärtig die allge¬ meine Aufmerksamkeit auf den spanischen Dichterfürsten hinlenkt, doppelt freudig in einer Zeit begrüßen zu dürfe», die von Uebersetzungen ans der Fremde wahr¬ haft überfluthet wird und durch die Unmasse des Mittelmäßigen, ja Kunst¬ widrigen, mit dessen Verdeutschung sich zahllose Hände mühen, in Gefahr geräth, das wirklich Werthvolle und Bleibende in ausländischer wie leider auch in ein¬ heimischer Literatur zu vergessen. Um die Werke Calderons zu studiren und würdigen zu lernen, stehen zwar keiner Nation außerhalb der pyrenäischen Halbinsel so reiche Hilfsmittel zu Ge¬ bote wie der unsern: durch eine Reihe trefflicher Uebersetzungen*) und die Ar¬ beiten der berufensten Literarhistoriker darf deutsche Geistesarbeit für die Kenntniß Calderons eine ähnliche Bedeutung wie für die Shakespeareforschung beanspruchen; mußte doch dein vor wenigen Decennien erschienenen Werke des Grafen von Schack über die Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien selbst von spanischen Kritikern das ehrenvolle Zeugniß ausgestellt werden, daß damit die erste auf der Höhe literarhistorischer Forschung stehende Arbeit auf diesem Ge¬ biete geleistet worden; und daß derjenige Abschnitt dieses classischen Buches, der *) A, W. Schlegel, spanisches Theater, 2 Bände, 1803-1803, 2. Ausgabe von Ed. Böcking 1845; I. D. Gries, Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Bären, 3 Bände, 1815—1842; unter gleichem Titel veröffentlichten ihre Übersetzungen Otto Frhr. v. d. Mals- burg, 6 Bde., 1819-182S, und Adolf Martin, 3 Bde., 1844, Die geistlichen Schauspiele verdeutschten Eichendorff (2 Bde., 184ö-1853) und F. Lorinser (Don Pedro Calderons de la Barna geistliche Festspiele mit erklärenden Commentar und einer Einleitung über die Bedeutung und den Werth dieser Dichtungen, 18 Bände, 1836—1872; von demselben: Calderons größte Dramen religiösen Inhalts, 3 Bände, 1875).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/228>, abgerufen am 01.07.2024.