Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen an Heinrich Leo.

sie mit Bewußtsein stattfände, nur eine Heuchelei einer Weltgeschichte, nicht diese
selbst." An dieses Werk schließt sich der Leitfaden in der Universalgeschichte,
(Vier Bände. Halle, 1838-40). In den Vorlesungen über die Geschichte des
deutschen Volkes und Reichs (Fünf Bände, Halle, 18S4 ff.) soll (I, Seite 4)
ein Gedanke die ganze Reihe der Vorlesungen begleiten, nämlich der, daß alle
geschichtlichen Processe ihren Charakter zugetheilt erhalten aus dem innersten
geistigen Leben des Menschen heraus.

Alle Werke Leos bekunden ein großes Talent, auch den umfangreichsten
Stoff übersichtlich zu gestalten und ihn mit bestimmten Ideen zu beseelen. Leo
hat aber nicht bloß durch seine Schriften, sondern auch durch engere persönliche
Beziehungen und Einwirkungen nachhaltigen Einfluß auf jüngere Leute ausgeübt,
denen er sein gastliches Haus öffnete. Er verstand hier in traulichem Gespräche
das höchste Interesse für die Ideen in Religion, Wissenschaft und Kunst zu er¬
regen. Der Mann, welcher seine Schärfen und Härten hatte, bewies gegen strebsame
junge Männer eine rührende Güte und hilfreiche Hingebung. Mit der größten
Bereitwilligkeit und ohne peinliche Rücksicht auf etwa dringende Arbeiten oder
Geschäfte hat er viele, welche sich an ihn vertrauensvoll wandten, in ihren be¬
sondern Studien mit Rath und That gefördert. Ich habe solche Gunst von ihm
erfahren und muß sie mit dem treuesten Herzen dankbarst anerkennen, selbst nach"
dem mich das Lebensschicksal gegen seinen wohlwollenden Plan einer andern Be¬
rufsthätigkeit zuführte. Als Student suchte ich von Göttingen aus Leo in Halle
auf, um wegen vielfacher Belehrung aus seinen Werken meine Dankbarkeit persönlich
kund zu geben. Er gewährte den: Fremdlinge wochenlang eine über alle Erwarten
liebevolle Aufnahme. Als ich ihm später für die gewinnreiche Unterhaltung, wie
für den gemüthlichen Verkehr in seinem Hause schriftlich dankte, schrieb mir Leo
am 8. Juni 1835 den ersten nachfolgenden Brief:

Abgesehen davon, daß ich in einer Zeit, wo unbefangene Verhältnisse von
Menschen zu Menschen nachgerade eine Seltenheit werden, es für eine Sünde halten
würde, Beweise von Vertrauen und Liebe, die mir gegeben werden, nicht in jeder
Weise werth und theuer zu halten, hat Ihr Erscheinen hier bei mir, hat Ihr Brief
für mich noch eine ganz eigenthümliche Wirkung hervorgebracht. Als ich Student
war, in den Jahren 1316--20, war noch die ganze alte Unbefangenheit des deutschen
Universitätslebens vorhanden, während durch die vielen aus den Feldzügen zurück¬
gekehrten Studirenden die früher mit dieser Unbefangenheit oft verbundene Kinderei
oder Ungcschlachtheit auf einige Zeit fast ganz verschwand. Die Haltung, welche
die vielen, früher als Offiziere in selbständiger gesellschaftlicher Stellung gebildeten
Studenten in das ganze akademische Leben brachten, erzeugten zu allen Professoren
und auf den meisten Universitäten zu einen: Theil der Professoren eine trauliche
Beziehung, durch welche ein sehr schönes Bewußtsein auf die Kreise der Zuhörer


Grenzboten II. 1881. 28
Erinnerungen an Heinrich Leo.

sie mit Bewußtsein stattfände, nur eine Heuchelei einer Weltgeschichte, nicht diese
selbst." An dieses Werk schließt sich der Leitfaden in der Universalgeschichte,
(Vier Bände. Halle, 1838-40). In den Vorlesungen über die Geschichte des
deutschen Volkes und Reichs (Fünf Bände, Halle, 18S4 ff.) soll (I, Seite 4)
ein Gedanke die ganze Reihe der Vorlesungen begleiten, nämlich der, daß alle
geschichtlichen Processe ihren Charakter zugetheilt erhalten aus dem innersten
geistigen Leben des Menschen heraus.

Alle Werke Leos bekunden ein großes Talent, auch den umfangreichsten
Stoff übersichtlich zu gestalten und ihn mit bestimmten Ideen zu beseelen. Leo
hat aber nicht bloß durch seine Schriften, sondern auch durch engere persönliche
Beziehungen und Einwirkungen nachhaltigen Einfluß auf jüngere Leute ausgeübt,
denen er sein gastliches Haus öffnete. Er verstand hier in traulichem Gespräche
das höchste Interesse für die Ideen in Religion, Wissenschaft und Kunst zu er¬
regen. Der Mann, welcher seine Schärfen und Härten hatte, bewies gegen strebsame
junge Männer eine rührende Güte und hilfreiche Hingebung. Mit der größten
Bereitwilligkeit und ohne peinliche Rücksicht auf etwa dringende Arbeiten oder
Geschäfte hat er viele, welche sich an ihn vertrauensvoll wandten, in ihren be¬
sondern Studien mit Rath und That gefördert. Ich habe solche Gunst von ihm
erfahren und muß sie mit dem treuesten Herzen dankbarst anerkennen, selbst nach«
dem mich das Lebensschicksal gegen seinen wohlwollenden Plan einer andern Be¬
rufsthätigkeit zuführte. Als Student suchte ich von Göttingen aus Leo in Halle
auf, um wegen vielfacher Belehrung aus seinen Werken meine Dankbarkeit persönlich
kund zu geben. Er gewährte den: Fremdlinge wochenlang eine über alle Erwarten
liebevolle Aufnahme. Als ich ihm später für die gewinnreiche Unterhaltung, wie
für den gemüthlichen Verkehr in seinem Hause schriftlich dankte, schrieb mir Leo
am 8. Juni 1835 den ersten nachfolgenden Brief:

Abgesehen davon, daß ich in einer Zeit, wo unbefangene Verhältnisse von
Menschen zu Menschen nachgerade eine Seltenheit werden, es für eine Sünde halten
würde, Beweise von Vertrauen und Liebe, die mir gegeben werden, nicht in jeder
Weise werth und theuer zu halten, hat Ihr Erscheinen hier bei mir, hat Ihr Brief
für mich noch eine ganz eigenthümliche Wirkung hervorgebracht. Als ich Student
war, in den Jahren 1316—20, war noch die ganze alte Unbefangenheit des deutschen
Universitätslebens vorhanden, während durch die vielen aus den Feldzügen zurück¬
gekehrten Studirenden die früher mit dieser Unbefangenheit oft verbundene Kinderei
oder Ungcschlachtheit auf einige Zeit fast ganz verschwand. Die Haltung, welche
die vielen, früher als Offiziere in selbständiger gesellschaftlicher Stellung gebildeten
Studenten in das ganze akademische Leben brachten, erzeugten zu allen Professoren
und auf den meisten Universitäten zu einen: Theil der Professoren eine trauliche
Beziehung, durch welche ein sehr schönes Bewußtsein auf die Kreise der Zuhörer


Grenzboten II. 1881. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149793"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen an Heinrich Leo.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_778" prev="#ID_777"> sie mit Bewußtsein stattfände, nur eine Heuchelei einer Weltgeschichte, nicht diese<lb/>
selbst." An dieses Werk schließt sich der Leitfaden in der Universalgeschichte,<lb/>
(Vier Bände. Halle, 1838-40). In den Vorlesungen über die Geschichte des<lb/>
deutschen Volkes und Reichs (Fünf Bände, Halle, 18S4 ff.) soll (I, Seite 4)<lb/>
ein Gedanke die ganze Reihe der Vorlesungen begleiten, nämlich der, daß alle<lb/>
geschichtlichen Processe ihren Charakter zugetheilt erhalten aus dem innersten<lb/>
geistigen Leben des Menschen heraus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_779"> Alle Werke Leos bekunden ein großes Talent, auch den umfangreichsten<lb/>
Stoff übersichtlich zu gestalten und ihn mit bestimmten Ideen zu beseelen. Leo<lb/>
hat aber nicht bloß durch seine Schriften, sondern auch durch engere persönliche<lb/>
Beziehungen und Einwirkungen nachhaltigen Einfluß auf jüngere Leute ausgeübt,<lb/>
denen er sein gastliches Haus öffnete. Er verstand hier in traulichem Gespräche<lb/>
das höchste Interesse für die Ideen in Religion, Wissenschaft und Kunst zu er¬<lb/>
regen. Der Mann, welcher seine Schärfen und Härten hatte, bewies gegen strebsame<lb/>
junge Männer eine rührende Güte und hilfreiche Hingebung. Mit der größten<lb/>
Bereitwilligkeit und ohne peinliche Rücksicht auf etwa dringende Arbeiten oder<lb/>
Geschäfte hat er viele, welche sich an ihn vertrauensvoll wandten, in ihren be¬<lb/>
sondern Studien mit Rath und That gefördert. Ich habe solche Gunst von ihm<lb/>
erfahren und muß sie mit dem treuesten Herzen dankbarst anerkennen, selbst nach«<lb/>
dem mich das Lebensschicksal gegen seinen wohlwollenden Plan einer andern Be¬<lb/>
rufsthätigkeit zuführte. Als Student suchte ich von Göttingen aus Leo in Halle<lb/>
auf, um wegen vielfacher Belehrung aus seinen Werken meine Dankbarkeit persönlich<lb/>
kund zu geben. Er gewährte den: Fremdlinge wochenlang eine über alle Erwarten<lb/>
liebevolle Aufnahme. Als ich ihm später für die gewinnreiche Unterhaltung, wie<lb/>
für den gemüthlichen Verkehr in seinem Hause schriftlich dankte, schrieb mir Leo<lb/>
am 8. Juni 1835 den ersten nachfolgenden Brief:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> Abgesehen davon, daß ich in einer Zeit, wo unbefangene Verhältnisse von<lb/>
Menschen zu Menschen nachgerade eine Seltenheit werden, es für eine Sünde halten<lb/>
würde, Beweise von Vertrauen und Liebe, die mir gegeben werden, nicht in jeder<lb/>
Weise werth und theuer zu halten, hat Ihr Erscheinen hier bei mir, hat Ihr Brief<lb/>
für mich noch eine ganz eigenthümliche Wirkung hervorgebracht. Als ich Student<lb/>
war, in den Jahren 1316&#x2014;20, war noch die ganze alte Unbefangenheit des deutschen<lb/>
Universitätslebens vorhanden, während durch die vielen aus den Feldzügen zurück¬<lb/>
gekehrten Studirenden die früher mit dieser Unbefangenheit oft verbundene Kinderei<lb/>
oder Ungcschlachtheit auf einige Zeit fast ganz verschwand. Die Haltung, welche<lb/>
die vielen, früher als Offiziere in selbständiger gesellschaftlicher Stellung gebildeten<lb/>
Studenten in das ganze akademische Leben brachten, erzeugten zu allen Professoren<lb/>
und auf den meisten Universitäten zu einen: Theil der Professoren eine trauliche<lb/>
Beziehung, durch welche ein sehr schönes Bewußtsein auf die Kreise der Zuhörer</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1881. 28</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Erinnerungen an Heinrich Leo. sie mit Bewußtsein stattfände, nur eine Heuchelei einer Weltgeschichte, nicht diese selbst." An dieses Werk schließt sich der Leitfaden in der Universalgeschichte, (Vier Bände. Halle, 1838-40). In den Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Volkes und Reichs (Fünf Bände, Halle, 18S4 ff.) soll (I, Seite 4) ein Gedanke die ganze Reihe der Vorlesungen begleiten, nämlich der, daß alle geschichtlichen Processe ihren Charakter zugetheilt erhalten aus dem innersten geistigen Leben des Menschen heraus. Alle Werke Leos bekunden ein großes Talent, auch den umfangreichsten Stoff übersichtlich zu gestalten und ihn mit bestimmten Ideen zu beseelen. Leo hat aber nicht bloß durch seine Schriften, sondern auch durch engere persönliche Beziehungen und Einwirkungen nachhaltigen Einfluß auf jüngere Leute ausgeübt, denen er sein gastliches Haus öffnete. Er verstand hier in traulichem Gespräche das höchste Interesse für die Ideen in Religion, Wissenschaft und Kunst zu er¬ regen. Der Mann, welcher seine Schärfen und Härten hatte, bewies gegen strebsame junge Männer eine rührende Güte und hilfreiche Hingebung. Mit der größten Bereitwilligkeit und ohne peinliche Rücksicht auf etwa dringende Arbeiten oder Geschäfte hat er viele, welche sich an ihn vertrauensvoll wandten, in ihren be¬ sondern Studien mit Rath und That gefördert. Ich habe solche Gunst von ihm erfahren und muß sie mit dem treuesten Herzen dankbarst anerkennen, selbst nach« dem mich das Lebensschicksal gegen seinen wohlwollenden Plan einer andern Be¬ rufsthätigkeit zuführte. Als Student suchte ich von Göttingen aus Leo in Halle auf, um wegen vielfacher Belehrung aus seinen Werken meine Dankbarkeit persönlich kund zu geben. Er gewährte den: Fremdlinge wochenlang eine über alle Erwarten liebevolle Aufnahme. Als ich ihm später für die gewinnreiche Unterhaltung, wie für den gemüthlichen Verkehr in seinem Hause schriftlich dankte, schrieb mir Leo am 8. Juni 1835 den ersten nachfolgenden Brief: Abgesehen davon, daß ich in einer Zeit, wo unbefangene Verhältnisse von Menschen zu Menschen nachgerade eine Seltenheit werden, es für eine Sünde halten würde, Beweise von Vertrauen und Liebe, die mir gegeben werden, nicht in jeder Weise werth und theuer zu halten, hat Ihr Erscheinen hier bei mir, hat Ihr Brief für mich noch eine ganz eigenthümliche Wirkung hervorgebracht. Als ich Student war, in den Jahren 1316—20, war noch die ganze alte Unbefangenheit des deutschen Universitätslebens vorhanden, während durch die vielen aus den Feldzügen zurück¬ gekehrten Studirenden die früher mit dieser Unbefangenheit oft verbundene Kinderei oder Ungcschlachtheit auf einige Zeit fast ganz verschwand. Die Haltung, welche die vielen, früher als Offiziere in selbständiger gesellschaftlicher Stellung gebildeten Studenten in das ganze akademische Leben brachten, erzeugten zu allen Professoren und auf den meisten Universitäten zu einen: Theil der Professoren eine trauliche Beziehung, durch welche ein sehr schönes Bewußtsein auf die Kreise der Zuhörer Grenzboten II. 1881. 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/221>, abgerufen am 28.07.2024.