Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lrinnenmgon an Heinrich Leo.

lande bis zu der burgundischen Herrschaft in allen allgemeinere" Werken über
die Geschichte der Niederlande eine Art tMüs, rg-sg, sei, weil die Geschichte der
Niederlande im Mittelalter gar manchen wichtigen Beitrag liefere für die Ge¬
schichte des deutschen öffentlichen und des deutschen Privatrechts. Endlich wollte
er, wie er sagt, die Ungerechtigkeiten, zu welchen sich die Protestanten gegen die
Zeiten der herrschenden sowohl als der um ihre Herrschaft in den Niederlanden
kämpfenden katholischen Kirche hätten hinreißen lassen, so viel an ihm läge, wieder
gut zu nacheilt "Der Verfasser," erklärt er, "ist selbst Protestant und nichts
weniger als geneigt, sich einer andern kirchlichen Richtung anzuschließen, hat aber
nie angestanden zu bekennen, daß die Form und Verfassung der katholischen
Kirche für eine gewisse Zeit allgemein dem germanischen Europa nothwendig
und geistig förderlich gewesen, daß er diese Kirche selbst für die Quelle eigen¬
thümlicher geistiger Segnungen halte."

Die Aufgabe, welcher er sich mit der Herausgabe der Studien und
Skizzen zu einer Naturlehre des Staates (1. Abtheilung. Halle, 1833)
gesetzt hatte, lag ihm so am Herzen (Vorrede, Seite VII), daß er deren gelehrte
und nach allen Seiten fest begründete Ausführung sich zu einer der wichtigsten
Obliegenheiten des spätern Lebens machen wollte. Die Fortsetzung dieser "un¬
ausgeführten, bei ihrer ersten Entstehung vereinzelten Blätter" ist nun allerdings
nicht erfolgt, sie haben aber auch als Bruchstück für die Geschichte der Staats¬
wissenschaft einen bleibenden Werth. Das Buch ist voll feiner, geistreicher Be¬
merkungen und werthvoll wegen der durchgeführten Untersuchungen über den Ein¬
fluß der verschiednen Grundlagen des Staates auf das Volksleben und die
politischen Einrichtungen. ES wird durch diese Naturlehre eine neue Seite im
Wesen des Staates beleuchtet, welcher keine Erfindung weder der Noth noch der
Kunst sei, sondern eine ursprüngliche Ordnung, uranfänglich geschichtlich geworden,
welcher sich nach organischen Gesetzen entwickeln, nach ethischen Verhältnissen ver¬
vollkommnen müsse. Die Betrachtung der verschiednen natürlichen und geistigen
Elemente des Stciatslebens, wie sie gewissermaßen ein Gefäß von Systemen
bilden und beschäftigen, in denen der Geist der Völker gefaßt ist und sich bewegt,
wie das Blut in den Adern, giebt einer Wissenschaft das Dasein, welche Leo
die Naturlehre des Staates nennt.

In dem Lehrbuch der Universalgeschichte will Leo vom christlichen
Standpunkte die Weltgeschichte nicht vorzugsweise gelehrten Gebildeten sondern
allgemeinen Kreisen nahe bringen. "Die Darstellung einer welthistorischen Ent¬
wicklung, welche ihren Gegenstand nicht in seinem eignen Organismus zu fassen,
sondern ihn einer von außen hiuzugcbrachteu Ansicht oder praktischen Absicht zu
beugen sucht, wird durch diese Erscheinung selbst Lügen gestraft und wäre, wo


Lrinnenmgon an Heinrich Leo.

lande bis zu der burgundischen Herrschaft in allen allgemeinere« Werken über
die Geschichte der Niederlande eine Art tMüs, rg-sg, sei, weil die Geschichte der
Niederlande im Mittelalter gar manchen wichtigen Beitrag liefere für die Ge¬
schichte des deutschen öffentlichen und des deutschen Privatrechts. Endlich wollte
er, wie er sagt, die Ungerechtigkeiten, zu welchen sich die Protestanten gegen die
Zeiten der herrschenden sowohl als der um ihre Herrschaft in den Niederlanden
kämpfenden katholischen Kirche hätten hinreißen lassen, so viel an ihm läge, wieder
gut zu nacheilt „Der Verfasser," erklärt er, „ist selbst Protestant und nichts
weniger als geneigt, sich einer andern kirchlichen Richtung anzuschließen, hat aber
nie angestanden zu bekennen, daß die Form und Verfassung der katholischen
Kirche für eine gewisse Zeit allgemein dem germanischen Europa nothwendig
und geistig förderlich gewesen, daß er diese Kirche selbst für die Quelle eigen¬
thümlicher geistiger Segnungen halte."

Die Aufgabe, welcher er sich mit der Herausgabe der Studien und
Skizzen zu einer Naturlehre des Staates (1. Abtheilung. Halle, 1833)
gesetzt hatte, lag ihm so am Herzen (Vorrede, Seite VII), daß er deren gelehrte
und nach allen Seiten fest begründete Ausführung sich zu einer der wichtigsten
Obliegenheiten des spätern Lebens machen wollte. Die Fortsetzung dieser „un¬
ausgeführten, bei ihrer ersten Entstehung vereinzelten Blätter" ist nun allerdings
nicht erfolgt, sie haben aber auch als Bruchstück für die Geschichte der Staats¬
wissenschaft einen bleibenden Werth. Das Buch ist voll feiner, geistreicher Be¬
merkungen und werthvoll wegen der durchgeführten Untersuchungen über den Ein¬
fluß der verschiednen Grundlagen des Staates auf das Volksleben und die
politischen Einrichtungen. ES wird durch diese Naturlehre eine neue Seite im
Wesen des Staates beleuchtet, welcher keine Erfindung weder der Noth noch der
Kunst sei, sondern eine ursprüngliche Ordnung, uranfänglich geschichtlich geworden,
welcher sich nach organischen Gesetzen entwickeln, nach ethischen Verhältnissen ver¬
vollkommnen müsse. Die Betrachtung der verschiednen natürlichen und geistigen
Elemente des Stciatslebens, wie sie gewissermaßen ein Gefäß von Systemen
bilden und beschäftigen, in denen der Geist der Völker gefaßt ist und sich bewegt,
wie das Blut in den Adern, giebt einer Wissenschaft das Dasein, welche Leo
die Naturlehre des Staates nennt.

In dem Lehrbuch der Universalgeschichte will Leo vom christlichen
Standpunkte die Weltgeschichte nicht vorzugsweise gelehrten Gebildeten sondern
allgemeinen Kreisen nahe bringen. „Die Darstellung einer welthistorischen Ent¬
wicklung, welche ihren Gegenstand nicht in seinem eignen Organismus zu fassen,
sondern ihn einer von außen hiuzugcbrachteu Ansicht oder praktischen Absicht zu
beugen sucht, wird durch diese Erscheinung selbst Lügen gestraft und wäre, wo


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149792"/>
          <fw type="header" place="top"> Lrinnenmgon an Heinrich Leo.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_775" prev="#ID_774"> lande bis zu der burgundischen Herrschaft in allen allgemeinere« Werken über<lb/>
die Geschichte der Niederlande eine Art tMüs, rg-sg, sei, weil die Geschichte der<lb/>
Niederlande im Mittelalter gar manchen wichtigen Beitrag liefere für die Ge¬<lb/>
schichte des deutschen öffentlichen und des deutschen Privatrechts. Endlich wollte<lb/>
er, wie er sagt, die Ungerechtigkeiten, zu welchen sich die Protestanten gegen die<lb/>
Zeiten der herrschenden sowohl als der um ihre Herrschaft in den Niederlanden<lb/>
kämpfenden katholischen Kirche hätten hinreißen lassen, so viel an ihm läge, wieder<lb/>
gut zu nacheilt &#x201E;Der Verfasser," erklärt er, &#x201E;ist selbst Protestant und nichts<lb/>
weniger als geneigt, sich einer andern kirchlichen Richtung anzuschließen, hat aber<lb/>
nie angestanden zu bekennen, daß die Form und Verfassung der katholischen<lb/>
Kirche für eine gewisse Zeit allgemein dem germanischen Europa nothwendig<lb/>
und geistig förderlich gewesen, daß er diese Kirche selbst für die Quelle eigen¬<lb/>
thümlicher geistiger Segnungen halte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_776"> Die Aufgabe, welcher er sich mit der Herausgabe der Studien und<lb/>
Skizzen zu einer Naturlehre des Staates (1. Abtheilung. Halle, 1833)<lb/>
gesetzt hatte, lag ihm so am Herzen (Vorrede, Seite VII), daß er deren gelehrte<lb/>
und nach allen Seiten fest begründete Ausführung sich zu einer der wichtigsten<lb/>
Obliegenheiten des spätern Lebens machen wollte. Die Fortsetzung dieser &#x201E;un¬<lb/>
ausgeführten, bei ihrer ersten Entstehung vereinzelten Blätter" ist nun allerdings<lb/>
nicht erfolgt, sie haben aber auch als Bruchstück für die Geschichte der Staats¬<lb/>
wissenschaft einen bleibenden Werth. Das Buch ist voll feiner, geistreicher Be¬<lb/>
merkungen und werthvoll wegen der durchgeführten Untersuchungen über den Ein¬<lb/>
fluß der verschiednen Grundlagen des Staates auf das Volksleben und die<lb/>
politischen Einrichtungen. ES wird durch diese Naturlehre eine neue Seite im<lb/>
Wesen des Staates beleuchtet, welcher keine Erfindung weder der Noth noch der<lb/>
Kunst sei, sondern eine ursprüngliche Ordnung, uranfänglich geschichtlich geworden,<lb/>
welcher sich nach organischen Gesetzen entwickeln, nach ethischen Verhältnissen ver¬<lb/>
vollkommnen müsse. Die Betrachtung der verschiednen natürlichen und geistigen<lb/>
Elemente des Stciatslebens, wie sie gewissermaßen ein Gefäß von Systemen<lb/>
bilden und beschäftigen, in denen der Geist der Völker gefaßt ist und sich bewegt,<lb/>
wie das Blut in den Adern, giebt einer Wissenschaft das Dasein, welche Leo<lb/>
die Naturlehre des Staates nennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_777" next="#ID_778"> In dem Lehrbuch der Universalgeschichte will Leo vom christlichen<lb/>
Standpunkte die Weltgeschichte nicht vorzugsweise gelehrten Gebildeten sondern<lb/>
allgemeinen Kreisen nahe bringen. &#x201E;Die Darstellung einer welthistorischen Ent¬<lb/>
wicklung, welche ihren Gegenstand nicht in seinem eignen Organismus zu fassen,<lb/>
sondern ihn einer von außen hiuzugcbrachteu Ansicht oder praktischen Absicht zu<lb/>
beugen sucht, wird durch diese Erscheinung selbst Lügen gestraft und wäre, wo</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] Lrinnenmgon an Heinrich Leo. lande bis zu der burgundischen Herrschaft in allen allgemeinere« Werken über die Geschichte der Niederlande eine Art tMüs, rg-sg, sei, weil die Geschichte der Niederlande im Mittelalter gar manchen wichtigen Beitrag liefere für die Ge¬ schichte des deutschen öffentlichen und des deutschen Privatrechts. Endlich wollte er, wie er sagt, die Ungerechtigkeiten, zu welchen sich die Protestanten gegen die Zeiten der herrschenden sowohl als der um ihre Herrschaft in den Niederlanden kämpfenden katholischen Kirche hätten hinreißen lassen, so viel an ihm läge, wieder gut zu nacheilt „Der Verfasser," erklärt er, „ist selbst Protestant und nichts weniger als geneigt, sich einer andern kirchlichen Richtung anzuschließen, hat aber nie angestanden zu bekennen, daß die Form und Verfassung der katholischen Kirche für eine gewisse Zeit allgemein dem germanischen Europa nothwendig und geistig förderlich gewesen, daß er diese Kirche selbst für die Quelle eigen¬ thümlicher geistiger Segnungen halte." Die Aufgabe, welcher er sich mit der Herausgabe der Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates (1. Abtheilung. Halle, 1833) gesetzt hatte, lag ihm so am Herzen (Vorrede, Seite VII), daß er deren gelehrte und nach allen Seiten fest begründete Ausführung sich zu einer der wichtigsten Obliegenheiten des spätern Lebens machen wollte. Die Fortsetzung dieser „un¬ ausgeführten, bei ihrer ersten Entstehung vereinzelten Blätter" ist nun allerdings nicht erfolgt, sie haben aber auch als Bruchstück für die Geschichte der Staats¬ wissenschaft einen bleibenden Werth. Das Buch ist voll feiner, geistreicher Be¬ merkungen und werthvoll wegen der durchgeführten Untersuchungen über den Ein¬ fluß der verschiednen Grundlagen des Staates auf das Volksleben und die politischen Einrichtungen. ES wird durch diese Naturlehre eine neue Seite im Wesen des Staates beleuchtet, welcher keine Erfindung weder der Noth noch der Kunst sei, sondern eine ursprüngliche Ordnung, uranfänglich geschichtlich geworden, welcher sich nach organischen Gesetzen entwickeln, nach ethischen Verhältnissen ver¬ vollkommnen müsse. Die Betrachtung der verschiednen natürlichen und geistigen Elemente des Stciatslebens, wie sie gewissermaßen ein Gefäß von Systemen bilden und beschäftigen, in denen der Geist der Völker gefaßt ist und sich bewegt, wie das Blut in den Adern, giebt einer Wissenschaft das Dasein, welche Leo die Naturlehre des Staates nennt. In dem Lehrbuch der Universalgeschichte will Leo vom christlichen Standpunkte die Weltgeschichte nicht vorzugsweise gelehrten Gebildeten sondern allgemeinen Kreisen nahe bringen. „Die Darstellung einer welthistorischen Ent¬ wicklung, welche ihren Gegenstand nicht in seinem eignen Organismus zu fassen, sondern ihn einer von außen hiuzugcbrachteu Ansicht oder praktischen Absicht zu beugen sucht, wird durch diese Erscheinung selbst Lügen gestraft und wäre, wo

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/220>, abgerufen am 28.07.2024.