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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stoiber", an Johann Heinrich voß,

Freundschaft, und drang auf Vollendung. Diesen Brief möchte ich gerne als das
Erste und Letzte ansehn. Aber sein eisernes Stillschweigen üben den Fortgang meiner
Arbeit ist kränkend. Ich mußte meinem Herzen einmal Luft schaffen. Lieber Boie, Ab¬
sterben der Freundschaft ist ein gräßlicher Gedanke, Nun kommt dazu die dumme
Sache mit Lavater. Ich fürchte gar sehr, daß bei Stolberg eins auf das andre Ein¬
fluß habe. Er ist gerade der Antipode in Briefen von dem, der er hier mündlich war,
und dringt ein mit Machtsprüchen und Schmähungen, daß man zuletzt wohl nicht
weiter zurückweichen kann. Ich sinne hin und her, nichts zu thun, was mich gereuen
könnte, so wird es ja wohl noch vorübergehen." Man sieht, an einem aufmunternden
Freundeswort wäre dem guten Boß mitten unter den Geburtswehen seiner Ilias
viel gelegen gewesen; es blieb aus, denn die elegischen brieflichen Ergüsse Stolbergs
kann man doch dafür nicht nehmen. Und über Vorfälle, die sich hinter den Coulissen
abgespielt haben, sind wir ganz mangelhaft unterrichtet, klar ist nur, daß auch die
Stolbergschen Geschwister, namentlich die Gräfin Katharina, sich Voß gegenüber
verstimmt zeigten und dies ihn fühlen ließen.

Aber noch andres kam hinzu. Voß deutet in dem oben mitgetheilten Brief-
fragmcnt selbst "die dumme Sache mit Lavater" an. Wir wissen jetzt, daß Voß
recht gesehen. Er nannte damals sehr beißend Lnvnter: "den Engelreinen, den
eitlen, selbstsüchtigen Narren." Daß er in seinem Urtheil mit dem größten der
deutschen Dichter, mit Goethe, übereinstimmte, konnte er damals nicht wissen;
auch dieser hatte 1786 mit dein "Propheten" definitiv gebrochen, nnter seine
Existenz und die ehemalige Jugcndfreuudschaft "einen Strich gemacht." Der
gute Voß theilte allerdings einen Fehler seiner Zeit, er stimmte in das Geschrei
über Kryptokatholicismus ein, er witterte überall Jesuiten. Man lese nur die
betreffenden Nummern von Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek und der
Berliner Monatsschrift, und man wird an der Menge der Schriften, die für
und wider Lavater erschienen, ersehen, in welch hohem Maße die damalige ge¬
bildete Welt von diesen Fragen bewegt wurde. Mau ist gewohnt, nach Goethes
Vorgang über Nicolai zu spotten. Er zeigt für uns manche komische Seite,
aber niemand darf ihm Lauterkeit der Gesinnung bestreiten, niemand leugnen,
daß er ehrlich und tapfer für die Geistesfreiheit gekämpft hat. Ans Lavaters
Seite standen die Empfindsamen und Unklaren, mit ihnen mußte aufgeräumt
werden, wenn der deutsche Volksgeist nicht weibisch erschlaffen sollte. Das sah
Voß ein, das konnte oder wollte Stolberg nicht begreifen.

Und noch von etwas andrem, worauf uns die Briefe weisen, muß hier
geredet sein, nicht über Lessings Spinozismns und Jaeobis im Jahr 1785 er¬
schienene Schrift: "Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an H. Moses Mendels¬
sohn" ; nicht über Mendelssohns zu Anfang des Jahres 1786 veröffentlichte Gegen-


Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stoiber«, an Johann Heinrich voß,

Freundschaft, und drang auf Vollendung. Diesen Brief möchte ich gerne als das
Erste und Letzte ansehn. Aber sein eisernes Stillschweigen üben den Fortgang meiner
Arbeit ist kränkend. Ich mußte meinem Herzen einmal Luft schaffen. Lieber Boie, Ab¬
sterben der Freundschaft ist ein gräßlicher Gedanke, Nun kommt dazu die dumme
Sache mit Lavater. Ich fürchte gar sehr, daß bei Stolberg eins auf das andre Ein¬
fluß habe. Er ist gerade der Antipode in Briefen von dem, der er hier mündlich war,
und dringt ein mit Machtsprüchen und Schmähungen, daß man zuletzt wohl nicht
weiter zurückweichen kann. Ich sinne hin und her, nichts zu thun, was mich gereuen
könnte, so wird es ja wohl noch vorübergehen." Man sieht, an einem aufmunternden
Freundeswort wäre dem guten Boß mitten unter den Geburtswehen seiner Ilias
viel gelegen gewesen; es blieb aus, denn die elegischen brieflichen Ergüsse Stolbergs
kann man doch dafür nicht nehmen. Und über Vorfälle, die sich hinter den Coulissen
abgespielt haben, sind wir ganz mangelhaft unterrichtet, klar ist nur, daß auch die
Stolbergschen Geschwister, namentlich die Gräfin Katharina, sich Voß gegenüber
verstimmt zeigten und dies ihn fühlen ließen.

Aber noch andres kam hinzu. Voß deutet in dem oben mitgetheilten Brief-
fragmcnt selbst „die dumme Sache mit Lavater" an. Wir wissen jetzt, daß Voß
recht gesehen. Er nannte damals sehr beißend Lnvnter: „den Engelreinen, den
eitlen, selbstsüchtigen Narren." Daß er in seinem Urtheil mit dem größten der
deutschen Dichter, mit Goethe, übereinstimmte, konnte er damals nicht wissen;
auch dieser hatte 1786 mit dein „Propheten" definitiv gebrochen, nnter seine
Existenz und die ehemalige Jugcndfreuudschaft „einen Strich gemacht." Der
gute Voß theilte allerdings einen Fehler seiner Zeit, er stimmte in das Geschrei
über Kryptokatholicismus ein, er witterte überall Jesuiten. Man lese nur die
betreffenden Nummern von Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek und der
Berliner Monatsschrift, und man wird an der Menge der Schriften, die für
und wider Lavater erschienen, ersehen, in welch hohem Maße die damalige ge¬
bildete Welt von diesen Fragen bewegt wurde. Mau ist gewohnt, nach Goethes
Vorgang über Nicolai zu spotten. Er zeigt für uns manche komische Seite,
aber niemand darf ihm Lauterkeit der Gesinnung bestreiten, niemand leugnen,
daß er ehrlich und tapfer für die Geistesfreiheit gekämpft hat. Ans Lavaters
Seite standen die Empfindsamen und Unklaren, mit ihnen mußte aufgeräumt
werden, wenn der deutsche Volksgeist nicht weibisch erschlaffen sollte. Das sah
Voß ein, das konnte oder wollte Stolberg nicht begreifen.

Und noch von etwas andrem, worauf uns die Briefe weisen, muß hier
geredet sein, nicht über Lessings Spinozismns und Jaeobis im Jahr 1785 er¬
schienene Schrift: „Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an H. Moses Mendels¬
sohn" ; nicht über Mendelssohns zu Anfang des Jahres 1786 veröffentlichte Gegen-


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[0209] Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stoiber«, an Johann Heinrich voß, Freundschaft, und drang auf Vollendung. Diesen Brief möchte ich gerne als das Erste und Letzte ansehn. Aber sein eisernes Stillschweigen üben den Fortgang meiner Arbeit ist kränkend. Ich mußte meinem Herzen einmal Luft schaffen. Lieber Boie, Ab¬ sterben der Freundschaft ist ein gräßlicher Gedanke, Nun kommt dazu die dumme Sache mit Lavater. Ich fürchte gar sehr, daß bei Stolberg eins auf das andre Ein¬ fluß habe. Er ist gerade der Antipode in Briefen von dem, der er hier mündlich war, und dringt ein mit Machtsprüchen und Schmähungen, daß man zuletzt wohl nicht weiter zurückweichen kann. Ich sinne hin und her, nichts zu thun, was mich gereuen könnte, so wird es ja wohl noch vorübergehen." Man sieht, an einem aufmunternden Freundeswort wäre dem guten Boß mitten unter den Geburtswehen seiner Ilias viel gelegen gewesen; es blieb aus, denn die elegischen brieflichen Ergüsse Stolbergs kann man doch dafür nicht nehmen. Und über Vorfälle, die sich hinter den Coulissen abgespielt haben, sind wir ganz mangelhaft unterrichtet, klar ist nur, daß auch die Stolbergschen Geschwister, namentlich die Gräfin Katharina, sich Voß gegenüber verstimmt zeigten und dies ihn fühlen ließen. Aber noch andres kam hinzu. Voß deutet in dem oben mitgetheilten Brief- fragmcnt selbst „die dumme Sache mit Lavater" an. Wir wissen jetzt, daß Voß recht gesehen. Er nannte damals sehr beißend Lnvnter: „den Engelreinen, den eitlen, selbstsüchtigen Narren." Daß er in seinem Urtheil mit dem größten der deutschen Dichter, mit Goethe, übereinstimmte, konnte er damals nicht wissen; auch dieser hatte 1786 mit dein „Propheten" definitiv gebrochen, nnter seine Existenz und die ehemalige Jugcndfreuudschaft „einen Strich gemacht." Der gute Voß theilte allerdings einen Fehler seiner Zeit, er stimmte in das Geschrei über Kryptokatholicismus ein, er witterte überall Jesuiten. Man lese nur die betreffenden Nummern von Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek und der Berliner Monatsschrift, und man wird an der Menge der Schriften, die für und wider Lavater erschienen, ersehen, in welch hohem Maße die damalige ge¬ bildete Welt von diesen Fragen bewegt wurde. Mau ist gewohnt, nach Goethes Vorgang über Nicolai zu spotten. Er zeigt für uns manche komische Seite, aber niemand darf ihm Lauterkeit der Gesinnung bestreiten, niemand leugnen, daß er ehrlich und tapfer für die Geistesfreiheit gekämpft hat. Ans Lavaters Seite standen die Empfindsamen und Unklaren, mit ihnen mußte aufgeräumt werden, wenn der deutsche Volksgeist nicht weibisch erschlaffen sollte. Das sah Voß ein, das konnte oder wollte Stolberg nicht begreifen. Und noch von etwas andrem, worauf uns die Briefe weisen, muß hier geredet sein, nicht über Lessings Spinozismns und Jaeobis im Jahr 1785 er¬ schienene Schrift: „Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an H. Moses Mendels¬ sohn" ; nicht über Mendelssohns zu Anfang des Jahres 1786 veröffentlichte Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/209>, abgerufen am 23.07.2024.