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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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bleibt man im Verein, auch wenn man nicht die Rolle eines Fcnseurs spielt.
Denn wer weiß, wozu es gut thut und wer weiß, ob die Bethätigung wissen¬
schaftlichen Sinnes, die durch die Betheiligung an den Versammlungen des Ver¬
eins bewiesen ist, nicht den Vorgesetzten, der jene Vereinigung unter seine Fittiche
nimmt, günstig stimmt. Andre besuchen eine solche Versammlung, um mit Be¬
hagen hier gleichsam unter moralischer Flagge ihr Bier zu trinken: die gewöhn¬
lichste Species des deutscheu Vereinsbummlers.

Wir haben gerade die Lehrervereine herausgegriffen. Nicht als ob diese
schlechter wären als andre, sondern weil unsern Beobachtungen nach die Referate
von ihren Sitzungen in den Loealblüttern voll der plattesten Phrasen und der
gewöhnlichsten Wichtigthuerei sind. Nicht viel anders sind die meisten Schrift¬
stellervereine, geschlossen zu gegenseitiger Lobhudelei und Versichcrnngscmstalteu
gegen gerechte Kritik,

Und um solcher Vereine willen verläßt der Mann, nachdem er des
Tages über der Arbeit gesessen, seine Familie und giebt Geld und Gesundheit
dahin!

Wenden wir uus von den sogenannten wissenschaftlichen Vereinigungen und
den Vereinen von Berufsgenossen, die einen ernsten Zweck zu haben behaupten, zu
den andern Vereinigungen, Eine Classification ist hier unmöglich. Alles, selbst
das geringste, nebensächlichste wird zum Gegenstand eines Vereins als Opfer aus-
ersehen. Nehmen wir das Annoncenblatt einer größern Provinzinlstadt in die
Hand, um die Anzeige" von Vereinsversammlungen zu'studiren! Wir überfliegen
die große Menge der Gesangvereine mit ihren hochtrabenden Namen, die Kegel-,
Ruder-, Reitelubs. Weiter komme" die Militärvereinc, Bürgervercine zur Wahrung
gemeinnütziger Interessen, Vereine der Nord-, Ost-, Süd-, Westvorstadt, Vereine
der Schlosser, Uhrmacher ?c,, Hausbesitzer- und Miethervcreine, die Thierschutz¬
vereine, die Bildnngsvereine, endlich die Wohlthätigkeits- und religiösen Vereine.
Vereine um Vereine und kein Ende! Und das hat regelmäßige Wochenvcrsammlnng
entweder mit wissenschaftlichem Vortrag oder nur mit gemüthlicher Zusammen¬
kunft, das hat Vorstandssitzungen, hat Statuten und jährliche Beiträge und wenn
es ganz vollkommen ist, hat es eine gestickte Fahne und feiert es aller Zeit¬
abschnitte, die durch 5 oder 10 theilbar sind, ein Stiftungsfest!

Welches Capital an Zeit und an Geld geht hier verloren und welche Ein¬
buße muß das Familienleben unter solchen Verhältnissen erleiden!

Wozu viele solcher Vereine gegründet werde", ist uns ein vollständiges
Räthsel. Da finden wir einen Verein von Kanarienzüchtern und einen Verein
von Hundeliebhabcrn. Gewiß werden die Statuten dieser ehrenwerthen Vereine
mit ernsthafter Miene von hohen Aufgaben und heiligen Interessen sprechen.


bleibt man im Verein, auch wenn man nicht die Rolle eines Fcnseurs spielt.
Denn wer weiß, wozu es gut thut und wer weiß, ob die Bethätigung wissen¬
schaftlichen Sinnes, die durch die Betheiligung an den Versammlungen des Ver¬
eins bewiesen ist, nicht den Vorgesetzten, der jene Vereinigung unter seine Fittiche
nimmt, günstig stimmt. Andre besuchen eine solche Versammlung, um mit Be¬
hagen hier gleichsam unter moralischer Flagge ihr Bier zu trinken: die gewöhn¬
lichste Species des deutscheu Vereinsbummlers.

Wir haben gerade die Lehrervereine herausgegriffen. Nicht als ob diese
schlechter wären als andre, sondern weil unsern Beobachtungen nach die Referate
von ihren Sitzungen in den Loealblüttern voll der plattesten Phrasen und der
gewöhnlichsten Wichtigthuerei sind. Nicht viel anders sind die meisten Schrift¬
stellervereine, geschlossen zu gegenseitiger Lobhudelei und Versichcrnngscmstalteu
gegen gerechte Kritik,

Und um solcher Vereine willen verläßt der Mann, nachdem er des
Tages über der Arbeit gesessen, seine Familie und giebt Geld und Gesundheit
dahin!

Wenden wir uus von den sogenannten wissenschaftlichen Vereinigungen und
den Vereinen von Berufsgenossen, die einen ernsten Zweck zu haben behaupten, zu
den andern Vereinigungen, Eine Classification ist hier unmöglich. Alles, selbst
das geringste, nebensächlichste wird zum Gegenstand eines Vereins als Opfer aus-
ersehen. Nehmen wir das Annoncenblatt einer größern Provinzinlstadt in die
Hand, um die Anzeige« von Vereinsversammlungen zu'studiren! Wir überfliegen
die große Menge der Gesangvereine mit ihren hochtrabenden Namen, die Kegel-,
Ruder-, Reitelubs. Weiter komme» die Militärvereinc, Bürgervercine zur Wahrung
gemeinnütziger Interessen, Vereine der Nord-, Ost-, Süd-, Westvorstadt, Vereine
der Schlosser, Uhrmacher ?c,, Hausbesitzer- und Miethervcreine, die Thierschutz¬
vereine, die Bildnngsvereine, endlich die Wohlthätigkeits- und religiösen Vereine.
Vereine um Vereine und kein Ende! Und das hat regelmäßige Wochenvcrsammlnng
entweder mit wissenschaftlichem Vortrag oder nur mit gemüthlicher Zusammen¬
kunft, das hat Vorstandssitzungen, hat Statuten und jährliche Beiträge und wenn
es ganz vollkommen ist, hat es eine gestickte Fahne und feiert es aller Zeit¬
abschnitte, die durch 5 oder 10 theilbar sind, ein Stiftungsfest!

Welches Capital an Zeit und an Geld geht hier verloren und welche Ein¬
buße muß das Familienleben unter solchen Verhältnissen erleiden!

Wozu viele solcher Vereine gegründet werde», ist uns ein vollständiges
Räthsel. Da finden wir einen Verein von Kanarienzüchtern und einen Verein
von Hundeliebhabcrn. Gewiß werden die Statuten dieser ehrenwerthen Vereine
mit ernsthafter Miene von hohen Aufgaben und heiligen Interessen sprechen.


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[0195] bleibt man im Verein, auch wenn man nicht die Rolle eines Fcnseurs spielt. Denn wer weiß, wozu es gut thut und wer weiß, ob die Bethätigung wissen¬ schaftlichen Sinnes, die durch die Betheiligung an den Versammlungen des Ver¬ eins bewiesen ist, nicht den Vorgesetzten, der jene Vereinigung unter seine Fittiche nimmt, günstig stimmt. Andre besuchen eine solche Versammlung, um mit Be¬ hagen hier gleichsam unter moralischer Flagge ihr Bier zu trinken: die gewöhn¬ lichste Species des deutscheu Vereinsbummlers. Wir haben gerade die Lehrervereine herausgegriffen. Nicht als ob diese schlechter wären als andre, sondern weil unsern Beobachtungen nach die Referate von ihren Sitzungen in den Loealblüttern voll der plattesten Phrasen und der gewöhnlichsten Wichtigthuerei sind. Nicht viel anders sind die meisten Schrift¬ stellervereine, geschlossen zu gegenseitiger Lobhudelei und Versichcrnngscmstalteu gegen gerechte Kritik, Und um solcher Vereine willen verläßt der Mann, nachdem er des Tages über der Arbeit gesessen, seine Familie und giebt Geld und Gesundheit dahin! Wenden wir uus von den sogenannten wissenschaftlichen Vereinigungen und den Vereinen von Berufsgenossen, die einen ernsten Zweck zu haben behaupten, zu den andern Vereinigungen, Eine Classification ist hier unmöglich. Alles, selbst das geringste, nebensächlichste wird zum Gegenstand eines Vereins als Opfer aus- ersehen. Nehmen wir das Annoncenblatt einer größern Provinzinlstadt in die Hand, um die Anzeige« von Vereinsversammlungen zu'studiren! Wir überfliegen die große Menge der Gesangvereine mit ihren hochtrabenden Namen, die Kegel-, Ruder-, Reitelubs. Weiter komme» die Militärvereinc, Bürgervercine zur Wahrung gemeinnütziger Interessen, Vereine der Nord-, Ost-, Süd-, Westvorstadt, Vereine der Schlosser, Uhrmacher ?c,, Hausbesitzer- und Miethervcreine, die Thierschutz¬ vereine, die Bildnngsvereine, endlich die Wohlthätigkeits- und religiösen Vereine. Vereine um Vereine und kein Ende! Und das hat regelmäßige Wochenvcrsammlnng entweder mit wissenschaftlichem Vortrag oder nur mit gemüthlicher Zusammen¬ kunft, das hat Vorstandssitzungen, hat Statuten und jährliche Beiträge und wenn es ganz vollkommen ist, hat es eine gestickte Fahne und feiert es aller Zeit¬ abschnitte, die durch 5 oder 10 theilbar sind, ein Stiftungsfest! Welches Capital an Zeit und an Geld geht hier verloren und welche Ein¬ buße muß das Familienleben unter solchen Verhältnissen erleiden! Wozu viele solcher Vereine gegründet werde», ist uns ein vollständiges Räthsel. Da finden wir einen Verein von Kanarienzüchtern und einen Verein von Hundeliebhabcrn. Gewiß werden die Statuten dieser ehrenwerthen Vereine mit ernsthafter Miene von hohen Aufgaben und heiligen Interessen sprechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/195>, abgerufen am 25.08.2024.