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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Eine nationale Arankheit,

wohl begabte Studenten sind nicht schon als "VercinSbummler", wie der treffende
akademische Ausdruck lautet, zu Grunde gegangen! Mancher, der in alleil Vereinen
die Rolle eines Führers übernahm und durch seine Gaben zugleich die größten
Hoffnungen erweckte, ist später durch weniger begabte, aber ihre Kräfte concen-
trirende Genossen überholt worden.

Natürlich sprechen wir nicht gegen alle Vereine. Wenn Studenten einen
Gesangverein oder einen Turnverein bilden, der seinem Namen wirklich Ehre
macht und nicht bloß die Folie zu Trinkgelagen hergicbt, so lvird niemand einen
solchen Verein, wenn er seine Mitglieder nicht allzusehr in Anspruch nimmt, für
schädlich erklären können. Aber was hat es für einen Zweck, wenn Studenten
sich zu irgend einer Sache vereinigen, die einer geschlossnen Gesellschaft, einer
geregelten gemeinsamen Arbeit nicht bedarf? Gab es doch einmal an der Leipziger
Universität, um nur dies Beispiel hervorzuheben, einen Akademischen Gabelsberger
Stenogrnphenverein und einen akademischen Schachverein. Beide Vereine trugen
sehr schöne bunte Mützen, hatten Vorsitzende, Secretäre, Statuten und suchten
vor andern Sterblichen einen besondern Staat mit parlamentarischem Hokuspokus
zu bilden. Bedarf es denn zur Pflege des Schachspiels oder der Stenographie
einer besondern Vereinigung und gesetzt, sie wäre nöthig, was soll eine solche
Vereinigung, die ganz nebensächliche Zwecke verfolgt, an einer deutschen Hochschule?

Wir haben bisher diejenigen Gesellschaftskreise ins Auge gefaßt, die in erster
Linie dazu berufen sind, auf das geistige Leben unsrer Nation Einfluß zu ge¬
winnen. Wir mögen aber unsern Blick hinlenken, wohin wir wollen. Ueberall
dieselbe Erscheinung, überall das Streben in der Öffentlichkeit zu Vereinen zu¬
sammenzutreten, Vereinen, die dem Leben der Familie nur Schaden bringen und
den Mann seinen Pflichten entführen.

Da kommt in erster Linie die große Menge der Fachvereine. Aerzte, Lite-
raten, Lehrer, Buchhändler, kurz ein jeder Stand ist mit seinem Vereine gesegnet,
der nach den Statuten selbstverständlich die Interessen der Mitglieder oder der
Berufsgenossen auf das wärmste vertritt, gegenseitige Anregung und freundschaft¬
liches Nähertreten der Theilnehmer verspricht. Gewiß können solche Vereine,
namentlich entfernt von den großen Städten, in Gegenden, die eine schwache
literarische Bewegung haben, manches gute bewirken, und wir köunen uns recht
gut vorstellen, wie z. B. ein tüchtiges, wissenschaftlich fortarbeitendes Mitglied in
einem ärztlichen Verein eiuer kleinen Prvvinzicilstadt anregend auf seine Collegen
wirken kann. Im allgemeinen aber müssen wir gestehen, daß die meisten dieser
Vereine über ein gemüthliches Zusammensein lind Biertrinken nicht Hinaufkommen.

Den widerwärtigsten Eindruck macht es jedoch, wenn solche Vereine Ver¬
bindung mit der Loealpresse unterhalten und daselbst zum besten geben, worüber


Eine nationale Arankheit,

wohl begabte Studenten sind nicht schon als „VercinSbummler", wie der treffende
akademische Ausdruck lautet, zu Grunde gegangen! Mancher, der in alleil Vereinen
die Rolle eines Führers übernahm und durch seine Gaben zugleich die größten
Hoffnungen erweckte, ist später durch weniger begabte, aber ihre Kräfte concen-
trirende Genossen überholt worden.

Natürlich sprechen wir nicht gegen alle Vereine. Wenn Studenten einen
Gesangverein oder einen Turnverein bilden, der seinem Namen wirklich Ehre
macht und nicht bloß die Folie zu Trinkgelagen hergicbt, so lvird niemand einen
solchen Verein, wenn er seine Mitglieder nicht allzusehr in Anspruch nimmt, für
schädlich erklären können. Aber was hat es für einen Zweck, wenn Studenten
sich zu irgend einer Sache vereinigen, die einer geschlossnen Gesellschaft, einer
geregelten gemeinsamen Arbeit nicht bedarf? Gab es doch einmal an der Leipziger
Universität, um nur dies Beispiel hervorzuheben, einen Akademischen Gabelsberger
Stenogrnphenverein und einen akademischen Schachverein. Beide Vereine trugen
sehr schöne bunte Mützen, hatten Vorsitzende, Secretäre, Statuten und suchten
vor andern Sterblichen einen besondern Staat mit parlamentarischem Hokuspokus
zu bilden. Bedarf es denn zur Pflege des Schachspiels oder der Stenographie
einer besondern Vereinigung und gesetzt, sie wäre nöthig, was soll eine solche
Vereinigung, die ganz nebensächliche Zwecke verfolgt, an einer deutschen Hochschule?

Wir haben bisher diejenigen Gesellschaftskreise ins Auge gefaßt, die in erster
Linie dazu berufen sind, auf das geistige Leben unsrer Nation Einfluß zu ge¬
winnen. Wir mögen aber unsern Blick hinlenken, wohin wir wollen. Ueberall
dieselbe Erscheinung, überall das Streben in der Öffentlichkeit zu Vereinen zu¬
sammenzutreten, Vereinen, die dem Leben der Familie nur Schaden bringen und
den Mann seinen Pflichten entführen.

Da kommt in erster Linie die große Menge der Fachvereine. Aerzte, Lite-
raten, Lehrer, Buchhändler, kurz ein jeder Stand ist mit seinem Vereine gesegnet,
der nach den Statuten selbstverständlich die Interessen der Mitglieder oder der
Berufsgenossen auf das wärmste vertritt, gegenseitige Anregung und freundschaft¬
liches Nähertreten der Theilnehmer verspricht. Gewiß können solche Vereine,
namentlich entfernt von den großen Städten, in Gegenden, die eine schwache
literarische Bewegung haben, manches gute bewirken, und wir köunen uns recht
gut vorstellen, wie z. B. ein tüchtiges, wissenschaftlich fortarbeitendes Mitglied in
einem ärztlichen Verein eiuer kleinen Prvvinzicilstadt anregend auf seine Collegen
wirken kann. Im allgemeinen aber müssen wir gestehen, daß die meisten dieser
Vereine über ein gemüthliches Zusammensein lind Biertrinken nicht Hinaufkommen.

Den widerwärtigsten Eindruck macht es jedoch, wenn solche Vereine Ver¬
bindung mit der Loealpresse unterhalten und daselbst zum besten geben, worüber


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[0193] Eine nationale Arankheit, wohl begabte Studenten sind nicht schon als „VercinSbummler", wie der treffende akademische Ausdruck lautet, zu Grunde gegangen! Mancher, der in alleil Vereinen die Rolle eines Führers übernahm und durch seine Gaben zugleich die größten Hoffnungen erweckte, ist später durch weniger begabte, aber ihre Kräfte concen- trirende Genossen überholt worden. Natürlich sprechen wir nicht gegen alle Vereine. Wenn Studenten einen Gesangverein oder einen Turnverein bilden, der seinem Namen wirklich Ehre macht und nicht bloß die Folie zu Trinkgelagen hergicbt, so lvird niemand einen solchen Verein, wenn er seine Mitglieder nicht allzusehr in Anspruch nimmt, für schädlich erklären können. Aber was hat es für einen Zweck, wenn Studenten sich zu irgend einer Sache vereinigen, die einer geschlossnen Gesellschaft, einer geregelten gemeinsamen Arbeit nicht bedarf? Gab es doch einmal an der Leipziger Universität, um nur dies Beispiel hervorzuheben, einen Akademischen Gabelsberger Stenogrnphenverein und einen akademischen Schachverein. Beide Vereine trugen sehr schöne bunte Mützen, hatten Vorsitzende, Secretäre, Statuten und suchten vor andern Sterblichen einen besondern Staat mit parlamentarischem Hokuspokus zu bilden. Bedarf es denn zur Pflege des Schachspiels oder der Stenographie einer besondern Vereinigung und gesetzt, sie wäre nöthig, was soll eine solche Vereinigung, die ganz nebensächliche Zwecke verfolgt, an einer deutschen Hochschule? Wir haben bisher diejenigen Gesellschaftskreise ins Auge gefaßt, die in erster Linie dazu berufen sind, auf das geistige Leben unsrer Nation Einfluß zu ge¬ winnen. Wir mögen aber unsern Blick hinlenken, wohin wir wollen. Ueberall dieselbe Erscheinung, überall das Streben in der Öffentlichkeit zu Vereinen zu¬ sammenzutreten, Vereinen, die dem Leben der Familie nur Schaden bringen und den Mann seinen Pflichten entführen. Da kommt in erster Linie die große Menge der Fachvereine. Aerzte, Lite- raten, Lehrer, Buchhändler, kurz ein jeder Stand ist mit seinem Vereine gesegnet, der nach den Statuten selbstverständlich die Interessen der Mitglieder oder der Berufsgenossen auf das wärmste vertritt, gegenseitige Anregung und freundschaft¬ liches Nähertreten der Theilnehmer verspricht. Gewiß können solche Vereine, namentlich entfernt von den großen Städten, in Gegenden, die eine schwache literarische Bewegung haben, manches gute bewirken, und wir köunen uns recht gut vorstellen, wie z. B. ein tüchtiges, wissenschaftlich fortarbeitendes Mitglied in einem ärztlichen Verein eiuer kleinen Prvvinzicilstadt anregend auf seine Collegen wirken kann. Im allgemeinen aber müssen wir gestehen, daß die meisten dieser Vereine über ein gemüthliches Zusammensein lind Biertrinken nicht Hinaufkommen. Den widerwärtigsten Eindruck macht es jedoch, wenn solche Vereine Ver¬ bindung mit der Loealpresse unterhalten und daselbst zum besten geben, worüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/193>, abgerufen am 25.08.2024.