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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Gründlichkeit oder die deutsche Treue, Ja wir können dreist behaupten, daß das
Familienleben bei den Slaven und Romanen meist inniger ist. Würdiger jeden¬
falls, geachteter ist die Stellung der Frau bei jenen Völkern, denn hier ist die
Fran die wirkliche Gefährtin des Lebens, sie bildet sich am Manne weiter, der
sie über die wichtigsten literarischen oder politischen Ereignisse unterrichtet, ist
nicht das deutsche Aschenbrödel, welches der Mann als Köchin oder Stuben¬
mädchen ansieht, und das, nachdem es den auf der höhern Töchterschule beige¬
brachten unverdauten Stoff glücklich vergessen hat, bald von den Kindern in
Urtheil und Wissen überholt wird, >

Den Grund des Verfalls unsres Familienlebens einzusehen ist keinesfalls
schwer für den, der sehen will. Man durchstreife des Abends die Straßen unsrer
Städte und trete in eine Restauration ein: dort sitzt mit Ausnahme der wenigen,
welche Berufsgeschäfte an das Haus binden, der deutsche Bürger in schlechter,
von Tabaksqualm erfüllter Luft hinter dem Bierglase, dort ist sein Heim. Seine
Familienwohnuug aber ist ihm nur Speisehaus und Schlafstelle, die unter Obhut
der Frau stehen.

Es liegt uns fern hier auf die Trinkkrankheit in Deutschland einzugehen,
die in erschreckender Weise überhandnimmt und ernste Maßregeln der Gesetzgebung
herausfordert, wir wollen hier mir auf ein andres Leiden aufmerksam machen,
das eng mit dem genannten verbunden auftritt und an dem Verfall des deutscheu
Familienlebens erheblichen Antheil hat: es ist dies die Vereinskrankheit.

Die Vercinskrcmkheit steckt dem Deutschen im Blute. Sie macht sich bereits
aus den Gymnasien in den verbotnen Verbindungen Luft und entfaltet sich zu
schönster Blüthe auf unsern Universitäten. Der Eintritt in eine Vereinigung
zwingt den einzelnen sich eine gewisse Virtuosität im Biertrinken zu erwerben,
zwingt ihn seine besten und.schönsten Stunden in elenden, tabaksqualm verpesteten
Localen unter meist seichtem Gespräch zu verbringen, untergräbt seine Gesund¬
heit und entzieht ihm die Zeit zu seiner wissenschaftluhen Ausbildung.

Freilich giebt eS anch wissenschaftliche Vereine auf den Universitäten, die
mit großer Emphase ihre Bestrebungen in das beste Licht zu setzen wissen. Mancher
dieser Vereine mag gut sein, die Mehrzahl derselben ist es nicht. Viel Streber-
thum, viele unreife wissenschaftliche Versuche, die Lust am Vielreden wird man
überall finde", selten aber ernste, tüchtige Arbeit. Wer etwas ordentliches lernen
will, findet in den Collegien und den Seminarien hinreichend Gelegenheit sich
in seinen Studien zu fördern und wer es recht ernst mit seiner Bildung meint,
der wird die geringe Zeit, die ihm übrig bleibt, darauf verwenden, auf andern
Gebieten sich zu unterrichten und aus diesem Grunde lieber mit Studenten andrer
Faeultciten oder mit Angehörigen eines andern Berufes verkehren. Wie viele


Gründlichkeit oder die deutsche Treue, Ja wir können dreist behaupten, daß das
Familienleben bei den Slaven und Romanen meist inniger ist. Würdiger jeden¬
falls, geachteter ist die Stellung der Frau bei jenen Völkern, denn hier ist die
Fran die wirkliche Gefährtin des Lebens, sie bildet sich am Manne weiter, der
sie über die wichtigsten literarischen oder politischen Ereignisse unterrichtet, ist
nicht das deutsche Aschenbrödel, welches der Mann als Köchin oder Stuben¬
mädchen ansieht, und das, nachdem es den auf der höhern Töchterschule beige¬
brachten unverdauten Stoff glücklich vergessen hat, bald von den Kindern in
Urtheil und Wissen überholt wird, >

Den Grund des Verfalls unsres Familienlebens einzusehen ist keinesfalls
schwer für den, der sehen will. Man durchstreife des Abends die Straßen unsrer
Städte und trete in eine Restauration ein: dort sitzt mit Ausnahme der wenigen,
welche Berufsgeschäfte an das Haus binden, der deutsche Bürger in schlechter,
von Tabaksqualm erfüllter Luft hinter dem Bierglase, dort ist sein Heim. Seine
Familienwohnuug aber ist ihm nur Speisehaus und Schlafstelle, die unter Obhut
der Frau stehen.

Es liegt uns fern hier auf die Trinkkrankheit in Deutschland einzugehen,
die in erschreckender Weise überhandnimmt und ernste Maßregeln der Gesetzgebung
herausfordert, wir wollen hier mir auf ein andres Leiden aufmerksam machen,
das eng mit dem genannten verbunden auftritt und an dem Verfall des deutscheu
Familienlebens erheblichen Antheil hat: es ist dies die Vereinskrankheit.

Die Vercinskrcmkheit steckt dem Deutschen im Blute. Sie macht sich bereits
aus den Gymnasien in den verbotnen Verbindungen Luft und entfaltet sich zu
schönster Blüthe auf unsern Universitäten. Der Eintritt in eine Vereinigung
zwingt den einzelnen sich eine gewisse Virtuosität im Biertrinken zu erwerben,
zwingt ihn seine besten und.schönsten Stunden in elenden, tabaksqualm verpesteten
Localen unter meist seichtem Gespräch zu verbringen, untergräbt seine Gesund¬
heit und entzieht ihm die Zeit zu seiner wissenschaftluhen Ausbildung.

Freilich giebt eS anch wissenschaftliche Vereine auf den Universitäten, die
mit großer Emphase ihre Bestrebungen in das beste Licht zu setzen wissen. Mancher
dieser Vereine mag gut sein, die Mehrzahl derselben ist es nicht. Viel Streber-
thum, viele unreife wissenschaftliche Versuche, die Lust am Vielreden wird man
überall finde», selten aber ernste, tüchtige Arbeit. Wer etwas ordentliches lernen
will, findet in den Collegien und den Seminarien hinreichend Gelegenheit sich
in seinen Studien zu fördern und wer es recht ernst mit seiner Bildung meint,
der wird die geringe Zeit, die ihm übrig bleibt, darauf verwenden, auf andern
Gebieten sich zu unterrichten und aus diesem Grunde lieber mit Studenten andrer
Faeultciten oder mit Angehörigen eines andern Berufes verkehren. Wie viele


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[0192] Gründlichkeit oder die deutsche Treue, Ja wir können dreist behaupten, daß das Familienleben bei den Slaven und Romanen meist inniger ist. Würdiger jeden¬ falls, geachteter ist die Stellung der Frau bei jenen Völkern, denn hier ist die Fran die wirkliche Gefährtin des Lebens, sie bildet sich am Manne weiter, der sie über die wichtigsten literarischen oder politischen Ereignisse unterrichtet, ist nicht das deutsche Aschenbrödel, welches der Mann als Köchin oder Stuben¬ mädchen ansieht, und das, nachdem es den auf der höhern Töchterschule beige¬ brachten unverdauten Stoff glücklich vergessen hat, bald von den Kindern in Urtheil und Wissen überholt wird, > Den Grund des Verfalls unsres Familienlebens einzusehen ist keinesfalls schwer für den, der sehen will. Man durchstreife des Abends die Straßen unsrer Städte und trete in eine Restauration ein: dort sitzt mit Ausnahme der wenigen, welche Berufsgeschäfte an das Haus binden, der deutsche Bürger in schlechter, von Tabaksqualm erfüllter Luft hinter dem Bierglase, dort ist sein Heim. Seine Familienwohnuug aber ist ihm nur Speisehaus und Schlafstelle, die unter Obhut der Frau stehen. Es liegt uns fern hier auf die Trinkkrankheit in Deutschland einzugehen, die in erschreckender Weise überhandnimmt und ernste Maßregeln der Gesetzgebung herausfordert, wir wollen hier mir auf ein andres Leiden aufmerksam machen, das eng mit dem genannten verbunden auftritt und an dem Verfall des deutscheu Familienlebens erheblichen Antheil hat: es ist dies die Vereinskrankheit. Die Vercinskrcmkheit steckt dem Deutschen im Blute. Sie macht sich bereits aus den Gymnasien in den verbotnen Verbindungen Luft und entfaltet sich zu schönster Blüthe auf unsern Universitäten. Der Eintritt in eine Vereinigung zwingt den einzelnen sich eine gewisse Virtuosität im Biertrinken zu erwerben, zwingt ihn seine besten und.schönsten Stunden in elenden, tabaksqualm verpesteten Localen unter meist seichtem Gespräch zu verbringen, untergräbt seine Gesund¬ heit und entzieht ihm die Zeit zu seiner wissenschaftluhen Ausbildung. Freilich giebt eS anch wissenschaftliche Vereine auf den Universitäten, die mit großer Emphase ihre Bestrebungen in das beste Licht zu setzen wissen. Mancher dieser Vereine mag gut sein, die Mehrzahl derselben ist es nicht. Viel Streber- thum, viele unreife wissenschaftliche Versuche, die Lust am Vielreden wird man überall finde», selten aber ernste, tüchtige Arbeit. Wer etwas ordentliches lernen will, findet in den Collegien und den Seminarien hinreichend Gelegenheit sich in seinen Studien zu fördern und wer es recht ernst mit seiner Bildung meint, der wird die geringe Zeit, die ihm übrig bleibt, darauf verwenden, auf andern Gebieten sich zu unterrichten und aus diesem Grunde lieber mit Studenten andrer Faeultciten oder mit Angehörigen eines andern Berufes verkehren. Wie viele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/192>, abgerufen am 25.08.2024.