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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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als Flußgöttcr gekennzeichnet sind. Der eine sitzt, auf eine Urne gestützt, der
andre steht hinter ihm und trägt eine Muschel auf dem Rücken, aus der Wasser
fließt. Die Körperfarbe dieses letztem zeigt ein schwärzliches Grau; auch ist sein
Kopf negerartig gebildet. Mit Rücksicht auf diese Umstände und die Thiere,
die insbesondre für Afrika charakteristisch sind -- man hielt zu Rubens' Zeit
auch den Tiger für einen Bewohner Afrikas -- hat man in der Gefährtin des
Meergottes die Libye sehen wollen, die Apollodorvs, Nonnos u. a. die Gattin
Poseidons nennen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß Rubens diesen
Mythos gekannt hat. Aus seinem Briefwechsel mit dem französischen Parla¬
mentsrathe Fabri de Peiresc, dem Antwerpener Stndtseeretär Gevaerts und mit
Franciscus Junius, dein Verfasser des Buches xiotnra vstsrum, wissen wir,
daß Rubens sich im Vollbesitze der classischen Gelehrsamkeit seiner Zeit befand.
Er führte mit seinen gelehrten Correspondenten förmliche Disputationen über
archäologische Fragen und entwickelte dabei eine große Kenntniß des Alterthums
und einen ungewöhnlichen Scharfsinn. Sein Geist umfaßte beinahe alle Gebiete
des Wissens: er war der lateinischen Sprache so vollkommen mächtig, daß er sich
in derselben nicht ungeschickt ausdrücken konnte, und daß er auch das Griechische
verstand, beweist ein hie und da in seine Briefe eingestreutes griechisches, auch
in griechischen Charakteren nicdergeschriebnes Wort. Es ist also sehr wohl mög¬
lich, daß Rubens den Apollodoros gelesen hat, der zum ersten Male 1555 in
Rom gedruckt wurde. Die erste Ausgabe der Dionysiaka des Nonnos, aus
welchem Rubens ebenfalls geschöpft haben kann, erschien sogar in Antwerpen 1569.

Indessen kam es dem Meister sicherlich nicht bloß darauf an, einen ver¬
legner Mythos zur Darstellung zubringen: die Figuren sowohl wie die Thiere
und die mit ihnen verbundne Action waren ihm Symbole eines tiefern Sinns.
Von Hause aus neigte Rubens wenig zur Allegorie. In der bildungs- und
eindrucksfähigsten Zeit seines Lebens kam er in die sinnlich-heitre Sphäre Italiens,
in welcher sich seine künstlerischen Anschauungen an Tizian, Veronese und Tinto-
retto, den großen Venetianern, heranbildeten. Zu Giulio Romano, dessen Fresken
er in Mantua täglich vor Augen haben konnte, trat er in kein näheres Ver¬
hältniß: es ist natürlich, daß der frostige Raphaelit dem Manne, der nach dem
Ausspruche Guido Neris "Blut unter seine Farben mischte," fremd bleiben
mußte. In Rom zog ihn außer Michelangelo der energische Naturalismus
Caravaggios mächtig an, und so bildete sich aus diesen Elementen der eigentlich
Rnbenssche Stil.

Als er 1608, durch die Nachricht von der schwere,? Erkrankung seiner Mutter
beflügelt, nach Hause eilte, nahm er, wie uns Bcllvri, ein gleichzeitiger Künstler¬
biograph, berichtet, ein Altarbild mit sich, welches er für die Kirche Sa. Maria


als Flußgöttcr gekennzeichnet sind. Der eine sitzt, auf eine Urne gestützt, der
andre steht hinter ihm und trägt eine Muschel auf dem Rücken, aus der Wasser
fließt. Die Körperfarbe dieses letztem zeigt ein schwärzliches Grau; auch ist sein
Kopf negerartig gebildet. Mit Rücksicht auf diese Umstände und die Thiere,
die insbesondre für Afrika charakteristisch sind — man hielt zu Rubens' Zeit
auch den Tiger für einen Bewohner Afrikas — hat man in der Gefährtin des
Meergottes die Libye sehen wollen, die Apollodorvs, Nonnos u. a. die Gattin
Poseidons nennen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß Rubens diesen
Mythos gekannt hat. Aus seinem Briefwechsel mit dem französischen Parla¬
mentsrathe Fabri de Peiresc, dem Antwerpener Stndtseeretär Gevaerts und mit
Franciscus Junius, dein Verfasser des Buches xiotnra vstsrum, wissen wir,
daß Rubens sich im Vollbesitze der classischen Gelehrsamkeit seiner Zeit befand.
Er führte mit seinen gelehrten Correspondenten förmliche Disputationen über
archäologische Fragen und entwickelte dabei eine große Kenntniß des Alterthums
und einen ungewöhnlichen Scharfsinn. Sein Geist umfaßte beinahe alle Gebiete
des Wissens: er war der lateinischen Sprache so vollkommen mächtig, daß er sich
in derselben nicht ungeschickt ausdrücken konnte, und daß er auch das Griechische
verstand, beweist ein hie und da in seine Briefe eingestreutes griechisches, auch
in griechischen Charakteren nicdergeschriebnes Wort. Es ist also sehr wohl mög¬
lich, daß Rubens den Apollodoros gelesen hat, der zum ersten Male 1555 in
Rom gedruckt wurde. Die erste Ausgabe der Dionysiaka des Nonnos, aus
welchem Rubens ebenfalls geschöpft haben kann, erschien sogar in Antwerpen 1569.

Indessen kam es dem Meister sicherlich nicht bloß darauf an, einen ver¬
legner Mythos zur Darstellung zubringen: die Figuren sowohl wie die Thiere
und die mit ihnen verbundne Action waren ihm Symbole eines tiefern Sinns.
Von Hause aus neigte Rubens wenig zur Allegorie. In der bildungs- und
eindrucksfähigsten Zeit seines Lebens kam er in die sinnlich-heitre Sphäre Italiens,
in welcher sich seine künstlerischen Anschauungen an Tizian, Veronese und Tinto-
retto, den großen Venetianern, heranbildeten. Zu Giulio Romano, dessen Fresken
er in Mantua täglich vor Augen haben konnte, trat er in kein näheres Ver¬
hältniß: es ist natürlich, daß der frostige Raphaelit dem Manne, der nach dem
Ausspruche Guido Neris „Blut unter seine Farben mischte," fremd bleiben
mußte. In Rom zog ihn außer Michelangelo der energische Naturalismus
Caravaggios mächtig an, und so bildete sich aus diesen Elementen der eigentlich
Rnbenssche Stil.

Als er 1608, durch die Nachricht von der schwere,? Erkrankung seiner Mutter
beflügelt, nach Hause eilte, nahm er, wie uns Bcllvri, ein gleichzeitiger Künstler¬
biograph, berichtet, ein Altarbild mit sich, welches er für die Kirche Sa. Maria


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/183>, abgerufen am 23.07.2024.