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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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stach es Schmutzer, und niemand hat bis vor kurzem an der Originalität und
Güte des Bildes gezweifelt.

Als das Gemälde in Berlin der königlichen Galerie einverleibt worden war,
gab sich zunächst in den künstlerischen Kreisen eine gewisse Enttäuschung kund.
Die Galerie ist nicht arm an Meisterwerken von Rubens Hand, die sür ver-
schiedne Perioden des Künstlers charakteristisch sind. Aus dem letzten Jahrzehnt
seiner Thätigkeit besitzen wir eine heilige Cäeilin, die Züge seiner zweiten Gattin,
Helena Fourment, tragend, die er 1630 heiratete, ein ganz von seiner Hand
ausgeführtes Wunderwerk von eoloristischer Wirkung und Farbeufülle, ferner eine
Kröiinng der Maria und eine höchst energische Hirschjagd der Diana, aus der
mittlern Zeit eine Auferweckung des Lazarus, die Skizze zu dem Altarbilde der
Augustinerkirche in Antwerpen (Vermählung der heiligen Katharina), endlich aus
der Zeit nach seiner Rückkehr aus Italien einen heiligen Sebastian.

Man erwartete nun billig, daß das neue Gemälde, in Anbetracht des Preises,
nicht bloß eine Vermehrung, sondern auch eine Bereicherung der Galerie reprä-
sentiren würde. Man hat sich aber in dieser Erwartung so sehr getäuscht, daß
die allgemeine Enttäuschung sich mitunter in sehr energischen Worten Luft machte.
Bevor wir die künstlerischen Qualitäten des Bildes würdigen, wollen wir den
Versuch machen, dasselbe geschichtlich zu fixiren, d. h. ihm innerhalb der Thätig¬
keit des Meisters eine Stelle anzuweisen. Die Hauptfiguren des Gemäldes, dessen
Beschreibung zunächst folgen mag, sind Neptun und ein unbekleidetes Weib,
welches nach dem Namen der bekanntesten Gattin des Meerbeherrschers Amphitrite
genannt worden ist. Neptun sitzt mit übereinander geschlagner Beinen ans einem
Felsen. Die Rechte stützt er auf einen Dreizack, und uni seine Hüften ist ein
blaues Gewand geschlagen. Er blickt zu seiner neben ihm stehenden, ganz un¬
bekleideten Gefährtin empor, welche den rechten Arm auf seiue Schulteru gelegt
hat. Vor ihnen nimmt den Vordergrund des Bildes ein leicht gekräuseltes Ge¬
wässer ein, aus welchem ein greiser, weißbärtiger Triton mit halbem Leibe empor¬
taucht und der Göttin eine Niesenmuschel darreicht, die mit Perlen, kleinen
Muscheln nud Korallen angefüllt ist. Während die Göttin einen Kvrallenzweig
aus der Muschel nimmt, legt ein kleiner Amor, der ihr zur Seite schwebt, eine
Schnur von Perlen um ihren Arm. Neben dem Triton ist eine ganz licht¬
blonde Nereide mit dem Oberkörper sichtbar, welche huldigend zu der Göttin
aufschaut und sich dabei gegen ein Krokodil lehnt. Rechts vom Beschauer bricht
ein gewaltiges Nilpferd mit aufgesperrtem Maule durch das Schilf, links bewegt
sich ein Löwe und neben ihm rin feindseliger Miene ein Tiger, noch weiter
links ein Nashorn, das etwa nur bis zur Hälfte sichtbar ist. Aus derselben
Seite sieht man ganz im Hintergründe zwei Gestalten, die durch ihre Attribute


stach es Schmutzer, und niemand hat bis vor kurzem an der Originalität und
Güte des Bildes gezweifelt.

Als das Gemälde in Berlin der königlichen Galerie einverleibt worden war,
gab sich zunächst in den künstlerischen Kreisen eine gewisse Enttäuschung kund.
Die Galerie ist nicht arm an Meisterwerken von Rubens Hand, die sür ver-
schiedne Perioden des Künstlers charakteristisch sind. Aus dem letzten Jahrzehnt
seiner Thätigkeit besitzen wir eine heilige Cäeilin, die Züge seiner zweiten Gattin,
Helena Fourment, tragend, die er 1630 heiratete, ein ganz von seiner Hand
ausgeführtes Wunderwerk von eoloristischer Wirkung und Farbeufülle, ferner eine
Kröiinng der Maria und eine höchst energische Hirschjagd der Diana, aus der
mittlern Zeit eine Auferweckung des Lazarus, die Skizze zu dem Altarbilde der
Augustinerkirche in Antwerpen (Vermählung der heiligen Katharina), endlich aus
der Zeit nach seiner Rückkehr aus Italien einen heiligen Sebastian.

Man erwartete nun billig, daß das neue Gemälde, in Anbetracht des Preises,
nicht bloß eine Vermehrung, sondern auch eine Bereicherung der Galerie reprä-
sentiren würde. Man hat sich aber in dieser Erwartung so sehr getäuscht, daß
die allgemeine Enttäuschung sich mitunter in sehr energischen Worten Luft machte.
Bevor wir die künstlerischen Qualitäten des Bildes würdigen, wollen wir den
Versuch machen, dasselbe geschichtlich zu fixiren, d. h. ihm innerhalb der Thätig¬
keit des Meisters eine Stelle anzuweisen. Die Hauptfiguren des Gemäldes, dessen
Beschreibung zunächst folgen mag, sind Neptun und ein unbekleidetes Weib,
welches nach dem Namen der bekanntesten Gattin des Meerbeherrschers Amphitrite
genannt worden ist. Neptun sitzt mit übereinander geschlagner Beinen ans einem
Felsen. Die Rechte stützt er auf einen Dreizack, und uni seine Hüften ist ein
blaues Gewand geschlagen. Er blickt zu seiner neben ihm stehenden, ganz un¬
bekleideten Gefährtin empor, welche den rechten Arm auf seiue Schulteru gelegt
hat. Vor ihnen nimmt den Vordergrund des Bildes ein leicht gekräuseltes Ge¬
wässer ein, aus welchem ein greiser, weißbärtiger Triton mit halbem Leibe empor¬
taucht und der Göttin eine Niesenmuschel darreicht, die mit Perlen, kleinen
Muscheln nud Korallen angefüllt ist. Während die Göttin einen Kvrallenzweig
aus der Muschel nimmt, legt ein kleiner Amor, der ihr zur Seite schwebt, eine
Schnur von Perlen um ihren Arm. Neben dem Triton ist eine ganz licht¬
blonde Nereide mit dem Oberkörper sichtbar, welche huldigend zu der Göttin
aufschaut und sich dabei gegen ein Krokodil lehnt. Rechts vom Beschauer bricht
ein gewaltiges Nilpferd mit aufgesperrtem Maule durch das Schilf, links bewegt
sich ein Löwe und neben ihm rin feindseliger Miene ein Tiger, noch weiter
links ein Nashorn, das etwa nur bis zur Hälfte sichtbar ist. Aus derselben
Seite sieht man ganz im Hintergründe zwei Gestalten, die durch ihre Attribute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/182>, abgerufen am 23.07.2024.