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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Max Maria von Jöcher,

sieht die beiden im Garten weinend, händeringend stehen -- da weiß sie alles
und liegt im Augenblick bewußtlos zu ihren Füßen, Das vierjährige Söhnchen
Max war ihr nachgelaufen. Fast vierzig Jahre sind seitdem vergangen, aber
in seinem Ohr gellt heute noch der Schrei, mit dem ihn die Mutter umklammerte,
als sie aus tvdtenähnlicher Ohnmacht auf dem Rasen liegend erwachte und das
thränenbeströmte Kindergesicht über sich gebeugt sah,"--Trotz dieses frühen
Verlustes empfand der heranwachsende Knabe alle Segnungen, die es bringen
kann von großen, guten, weitgekanntcn und allgeliebten Menschen abzustammen,
Carl Maria von Weber hatte zahlreiche Freunde, thätige, wackre, einflußreiche,
hinterlassen. Längst ehe der Name seines Vaters für den jungen Max Maria
eine Art Freibrief an das Interesse und die Theilnahme weiter Kreise werden
konnte, erachteten es einzelne dieser Freunde (unter ihnen namentlich der Zoolog
Lichtenstein in Berlin) als eine heilige Pflicht, der Wittwe des Componisten in
der Erziehung und Förderung ihrer Söhne und namentlich des begabten Max
Maria (der jüngre Bruder Alexander starb in frühem Lebensalter im Jahre 1844)
beizustehen. Nachdem er das Gymnasium absolvirt, entschied sich Weber für die
Laufbahn des Technikers und Ingenieurs, die zu Ausgang der dreißiger Jahre
in Deutschland eine völlig neue war und über deren beste Vorbedingungen und
Bildungsziele noch die wunderlichsten Anschauungen herrschten. Der junge Ingenieur
gehörte zu den wenigen, denen die herrschende Gcihrung und wilde Waldfreiheit,
welche im gleichen Beruf Männer der verschiedensten Art vereinigte, in der Haupt¬
sache zu gute kam. Er besuchte die neuerrichtete Dresdner technische Vildnngs-
anstält, damals noch weit von der spätern Organisation und Ausstattung als
Hochschule entfernt, aber den einen Vortheil bietend, daß ihre sogenannnte "obere
Abtheilung", in der bereits die volle wissenschaftliche Durchbildung von Technikern
erstrebt wurde, gegenüber der von hundert Schülern besuchten untern Abtheilung
nur 13 Studirende zählte, denen die immerhin schon vorhandnen vorzügliche"!
Lehrkräfte eingehende Theilnahme widmen konnten. Da man aber noch voraus¬
setzte, daß die praktische Ausbildung der wissenschaftlichen nicht zu folgen habe,
sondern mit ihr Hand in Hand gehen müsse, ward diese praktische Ausbildung
für den jungen Techniker in den großen Verhältnissen der Borsigschen Maschineu-
werkstätteu in Berlin gesucht, Und hier Ware" es nnn wieder die Vortheile seiner
socialen Lage, die Empfehlungen, die Weber in seinem Namen und in der Theil¬
nahme vieler besaß, welche den großen Tondichter gekannt, die den jungen Ingenieur
davor bewahrten in der Einseitigkeit einer Fachbildung aufzugehen, von der man
in jener Zeit gelegentlich noch annahm, daß sie die geistige Theilnahme an anßertech-
nischen Dingen und die gesellige Bildung ziemlich ausschließe, Weber bezog gleich¬
zeitig die Universität und hörte nicht bloß eine Reihe von Vorlesungen, sondern studirte


Max Maria von Jöcher,

sieht die beiden im Garten weinend, händeringend stehen — da weiß sie alles
und liegt im Augenblick bewußtlos zu ihren Füßen, Das vierjährige Söhnchen
Max war ihr nachgelaufen. Fast vierzig Jahre sind seitdem vergangen, aber
in seinem Ohr gellt heute noch der Schrei, mit dem ihn die Mutter umklammerte,
als sie aus tvdtenähnlicher Ohnmacht auf dem Rasen liegend erwachte und das
thränenbeströmte Kindergesicht über sich gebeugt sah,"--Trotz dieses frühen
Verlustes empfand der heranwachsende Knabe alle Segnungen, die es bringen
kann von großen, guten, weitgekanntcn und allgeliebten Menschen abzustammen,
Carl Maria von Weber hatte zahlreiche Freunde, thätige, wackre, einflußreiche,
hinterlassen. Längst ehe der Name seines Vaters für den jungen Max Maria
eine Art Freibrief an das Interesse und die Theilnahme weiter Kreise werden
konnte, erachteten es einzelne dieser Freunde (unter ihnen namentlich der Zoolog
Lichtenstein in Berlin) als eine heilige Pflicht, der Wittwe des Componisten in
der Erziehung und Förderung ihrer Söhne und namentlich des begabten Max
Maria (der jüngre Bruder Alexander starb in frühem Lebensalter im Jahre 1844)
beizustehen. Nachdem er das Gymnasium absolvirt, entschied sich Weber für die
Laufbahn des Technikers und Ingenieurs, die zu Ausgang der dreißiger Jahre
in Deutschland eine völlig neue war und über deren beste Vorbedingungen und
Bildungsziele noch die wunderlichsten Anschauungen herrschten. Der junge Ingenieur
gehörte zu den wenigen, denen die herrschende Gcihrung und wilde Waldfreiheit,
welche im gleichen Beruf Männer der verschiedensten Art vereinigte, in der Haupt¬
sache zu gute kam. Er besuchte die neuerrichtete Dresdner technische Vildnngs-
anstält, damals noch weit von der spätern Organisation und Ausstattung als
Hochschule entfernt, aber den einen Vortheil bietend, daß ihre sogenannnte „obere
Abtheilung", in der bereits die volle wissenschaftliche Durchbildung von Technikern
erstrebt wurde, gegenüber der von hundert Schülern besuchten untern Abtheilung
nur 13 Studirende zählte, denen die immerhin schon vorhandnen vorzügliche»!
Lehrkräfte eingehende Theilnahme widmen konnten. Da man aber noch voraus¬
setzte, daß die praktische Ausbildung der wissenschaftlichen nicht zu folgen habe,
sondern mit ihr Hand in Hand gehen müsse, ward diese praktische Ausbildung
für den jungen Techniker in den großen Verhältnissen der Borsigschen Maschineu-
werkstätteu in Berlin gesucht, Und hier Ware» es nnn wieder die Vortheile seiner
socialen Lage, die Empfehlungen, die Weber in seinem Namen und in der Theil¬
nahme vieler besaß, welche den großen Tondichter gekannt, die den jungen Ingenieur
davor bewahrten in der Einseitigkeit einer Fachbildung aufzugehen, von der man
in jener Zeit gelegentlich noch annahm, daß sie die geistige Theilnahme an anßertech-
nischen Dingen und die gesellige Bildung ziemlich ausschließe, Weber bezog gleich¬
zeitig die Universität und hörte nicht bloß eine Reihe von Vorlesungen, sondern studirte


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[0176] Max Maria von Jöcher, sieht die beiden im Garten weinend, händeringend stehen — da weiß sie alles und liegt im Augenblick bewußtlos zu ihren Füßen, Das vierjährige Söhnchen Max war ihr nachgelaufen. Fast vierzig Jahre sind seitdem vergangen, aber in seinem Ohr gellt heute noch der Schrei, mit dem ihn die Mutter umklammerte, als sie aus tvdtenähnlicher Ohnmacht auf dem Rasen liegend erwachte und das thränenbeströmte Kindergesicht über sich gebeugt sah,"--Trotz dieses frühen Verlustes empfand der heranwachsende Knabe alle Segnungen, die es bringen kann von großen, guten, weitgekanntcn und allgeliebten Menschen abzustammen, Carl Maria von Weber hatte zahlreiche Freunde, thätige, wackre, einflußreiche, hinterlassen. Längst ehe der Name seines Vaters für den jungen Max Maria eine Art Freibrief an das Interesse und die Theilnahme weiter Kreise werden konnte, erachteten es einzelne dieser Freunde (unter ihnen namentlich der Zoolog Lichtenstein in Berlin) als eine heilige Pflicht, der Wittwe des Componisten in der Erziehung und Förderung ihrer Söhne und namentlich des begabten Max Maria (der jüngre Bruder Alexander starb in frühem Lebensalter im Jahre 1844) beizustehen. Nachdem er das Gymnasium absolvirt, entschied sich Weber für die Laufbahn des Technikers und Ingenieurs, die zu Ausgang der dreißiger Jahre in Deutschland eine völlig neue war und über deren beste Vorbedingungen und Bildungsziele noch die wunderlichsten Anschauungen herrschten. Der junge Ingenieur gehörte zu den wenigen, denen die herrschende Gcihrung und wilde Waldfreiheit, welche im gleichen Beruf Männer der verschiedensten Art vereinigte, in der Haupt¬ sache zu gute kam. Er besuchte die neuerrichtete Dresdner technische Vildnngs- anstält, damals noch weit von der spätern Organisation und Ausstattung als Hochschule entfernt, aber den einen Vortheil bietend, daß ihre sogenannnte „obere Abtheilung", in der bereits die volle wissenschaftliche Durchbildung von Technikern erstrebt wurde, gegenüber der von hundert Schülern besuchten untern Abtheilung nur 13 Studirende zählte, denen die immerhin schon vorhandnen vorzügliche»! Lehrkräfte eingehende Theilnahme widmen konnten. Da man aber noch voraus¬ setzte, daß die praktische Ausbildung der wissenschaftlichen nicht zu folgen habe, sondern mit ihr Hand in Hand gehen müsse, ward diese praktische Ausbildung für den jungen Techniker in den großen Verhältnissen der Borsigschen Maschineu- werkstätteu in Berlin gesucht, Und hier Ware» es nnn wieder die Vortheile seiner socialen Lage, die Empfehlungen, die Weber in seinem Namen und in der Theil¬ nahme vieler besaß, welche den großen Tondichter gekannt, die den jungen Ingenieur davor bewahrten in der Einseitigkeit einer Fachbildung aufzugehen, von der man in jener Zeit gelegentlich noch annahm, daß sie die geistige Theilnahme an anßertech- nischen Dingen und die gesellige Bildung ziemlich ausschließe, Weber bezog gleich¬ zeitig die Universität und hörte nicht bloß eine Reihe von Vorlesungen, sondern studirte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/176>, abgerufen am 24.07.2024.