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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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o3in Jugendfreund Goethes,

Warum versuch' ich denn noch immer ein Gedicht?
Warum, da inn'rar Trieb mir fehlet,
Und selbst das Reimen mich oft qniilet,
Ist denn mein Saitenspiel nicht still?

Auch über Weise herrscht Gewohnheit als Tyrann,
Der selbst ein kleines Lied nicht wohl vermissen kann.
Vielleicht, das; Ihr ein schlechtes eher mir verzeihet,
Und denket: Er wird schwach;
Es ist doch gut gemeint; der Schwäche sieht man nach.
Mit solcher Hoffnung sey auch dieses dir geweihet.
Nimm nun den Wunsch, den ich in meinem Garten,
Wo noch die Rosen blüh'n, für dich gethan,
"Daß deiner lange noch der Freude Rosen warten,"
Als Freund vom alten Sänger an.

Zum Schluß stehe hier noch Bchrischs Geburtstagsgedicht aus dem Jahre 1797
mit den Anmerkungen, die er selbst hinzugefügt hat.


Wenn ich, wie unser Oberalter Gleim,
In Versen fühlt' und dächte*),
Wenn mir der lcichtgefundne Reim
Auch Bild und Ausdruck brächte,
Du sähest heute ein Gedicht
Bon nicht gemeiner Länge,
Und thäts der Verse Güte nicht,
So ehrte deinen Tag doch mind'stars ihre Menge.
Ritt ich so leicht und kiihn wie unser Voß^)
Wenn er den Pegasus beschreitet,
Und an des Freundes Tag' ihm frisch entgegen reitet,
Und holte mir das edle Flügelroß
Die Verse, so wie ihm, sogleich zu ganzen Schonten
Ich würde heute nicht im Singen zaghaft stocken;
Ein solches Tischlied sang' ich deinen Kindern vor,
Sie siingcn's dir, und gern vernahm's das Vaterohr.



*) Der achtzigjährige Dichter in Halberstadt versifizirt immer noch. Es soll ihm Be
dürfniß seyn, jeden Morgen wenigstens ein Stück Verse zu schreiben. Man merkt aber an
ihnen die Menge der Winter, die der würdige Greis erlebt hat.
**) Herr Hofrath Voß hat abermals einen Musenalmanach für 17S8 herausgegeben,
worinnen (die Uebersetzungen mitgezählt) 21 Stück von seiner Arbeit sind. Davon sind nenn
Stück eigentliche Lieder, welche aber mit seinen frühern verglichen, sehr viel verlieren. Auf
der 98. Seite findet man ein Tischlied an des Freundes Geburtstage von 10 sechSzeiligen
Strophen, welches doch wohl etwas zu lang ist. Dazu werden noch jedes mal die beiden
letzten Verse der Strophen im Chor wiederholt, ohne daß man eben die Ursache diese Wieder¬
holung einsieht.
o3in Jugendfreund Goethes,

Warum versuch' ich denn noch immer ein Gedicht?
Warum, da inn'rar Trieb mir fehlet,
Und selbst das Reimen mich oft qniilet,
Ist denn mein Saitenspiel nicht still?

Auch über Weise herrscht Gewohnheit als Tyrann,
Der selbst ein kleines Lied nicht wohl vermissen kann.
Vielleicht, das; Ihr ein schlechtes eher mir verzeihet,
Und denket: Er wird schwach;
Es ist doch gut gemeint; der Schwäche sieht man nach.
Mit solcher Hoffnung sey auch dieses dir geweihet.
Nimm nun den Wunsch, den ich in meinem Garten,
Wo noch die Rosen blüh'n, für dich gethan,
„Daß deiner lange noch der Freude Rosen warten,"
Als Freund vom alten Sänger an.

Zum Schluß stehe hier noch Bchrischs Geburtstagsgedicht aus dem Jahre 1797
mit den Anmerkungen, die er selbst hinzugefügt hat.


Wenn ich, wie unser Oberalter Gleim,
In Versen fühlt' und dächte*),
Wenn mir der lcichtgefundne Reim
Auch Bild und Ausdruck brächte,
Du sähest heute ein Gedicht
Bon nicht gemeiner Länge,
Und thäts der Verse Güte nicht,
So ehrte deinen Tag doch mind'stars ihre Menge.
Ritt ich so leicht und kiihn wie unser Voß^)
Wenn er den Pegasus beschreitet,
Und an des Freundes Tag' ihm frisch entgegen reitet,
Und holte mir das edle Flügelroß
Die Verse, so wie ihm, sogleich zu ganzen Schonten
Ich würde heute nicht im Singen zaghaft stocken;
Ein solches Tischlied sang' ich deinen Kindern vor,
Sie siingcn's dir, und gern vernahm's das Vaterohr.



*) Der achtzigjährige Dichter in Halberstadt versifizirt immer noch. Es soll ihm Be
dürfniß seyn, jeden Morgen wenigstens ein Stück Verse zu schreiben. Man merkt aber an
ihnen die Menge der Winter, die der würdige Greis erlebt hat.
**) Herr Hofrath Voß hat abermals einen Musenalmanach für 17S8 herausgegeben,
worinnen (die Uebersetzungen mitgezählt) 21 Stück von seiner Arbeit sind. Davon sind nenn
Stück eigentliche Lieder, welche aber mit seinen frühern verglichen, sehr viel verlieren. Auf
der 98. Seite findet man ein Tischlied an des Freundes Geburtstage von 10 sechSzeiligen
Strophen, welches doch wohl etwas zu lang ist. Dazu werden noch jedes mal die beiden
letzten Verse der Strophen im Chor wiederholt, ohne daß man eben die Ursache diese Wieder¬
holung einsieht.
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[0166] o3in Jugendfreund Goethes, Warum versuch' ich denn noch immer ein Gedicht? Warum, da inn'rar Trieb mir fehlet, Und selbst das Reimen mich oft qniilet, Ist denn mein Saitenspiel nicht still? Auch über Weise herrscht Gewohnheit als Tyrann, Der selbst ein kleines Lied nicht wohl vermissen kann. Vielleicht, das; Ihr ein schlechtes eher mir verzeihet, Und denket: Er wird schwach; Es ist doch gut gemeint; der Schwäche sieht man nach. Mit solcher Hoffnung sey auch dieses dir geweihet. Nimm nun den Wunsch, den ich in meinem Garten, Wo noch die Rosen blüh'n, für dich gethan, „Daß deiner lange noch der Freude Rosen warten," Als Freund vom alten Sänger an. Zum Schluß stehe hier noch Bchrischs Geburtstagsgedicht aus dem Jahre 1797 mit den Anmerkungen, die er selbst hinzugefügt hat. Wenn ich, wie unser Oberalter Gleim, In Versen fühlt' und dächte*), Wenn mir der lcichtgefundne Reim Auch Bild und Ausdruck brächte, Du sähest heute ein Gedicht Bon nicht gemeiner Länge, Und thäts der Verse Güte nicht, So ehrte deinen Tag doch mind'stars ihre Menge. Ritt ich so leicht und kiihn wie unser Voß^) Wenn er den Pegasus beschreitet, Und an des Freundes Tag' ihm frisch entgegen reitet, Und holte mir das edle Flügelroß Die Verse, so wie ihm, sogleich zu ganzen Schonten Ich würde heute nicht im Singen zaghaft stocken; Ein solches Tischlied sang' ich deinen Kindern vor, Sie siingcn's dir, und gern vernahm's das Vaterohr. *) Der achtzigjährige Dichter in Halberstadt versifizirt immer noch. Es soll ihm Be dürfniß seyn, jeden Morgen wenigstens ein Stück Verse zu schreiben. Man merkt aber an ihnen die Menge der Winter, die der würdige Greis erlebt hat. **) Herr Hofrath Voß hat abermals einen Musenalmanach für 17S8 herausgegeben, worinnen (die Uebersetzungen mitgezählt) 21 Stück von seiner Arbeit sind. Davon sind nenn Stück eigentliche Lieder, welche aber mit seinen frühern verglichen, sehr viel verlieren. Auf der 98. Seite findet man ein Tischlied an des Freundes Geburtstage von 10 sechSzeiligen Strophen, welches doch wohl etwas zu lang ist. Dazu werden noch jedes mal die beiden letzten Verse der Strophen im Chor wiederholt, ohne daß man eben die Ursache diese Wieder¬ holung einsieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/166>, abgerufen am 23.07.2024.