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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Estiennes.

bereiten wollen, die gänzliche Verwüstung seiner Kirche im Königreiche Frank¬
reich zu sehen.

Ueber seine Eltern spricht er folgendermaßen: "Mein Vater war Jakob
Estiennc und meine Mutter Johanna Minuel, beide von rechtlicher Familie. Ich
war die erste Frucht ihrer Ehe. Sie erzogen mich mit großer Sorgfalt in der
Erkenntniß unsrer heiligen Religion. Bemerket hierin das Glück derjenigen, welche
von frommen Eltern geboren, in der zum Heil nothwendigen Erkenntniß der
Wahrheit erzogen werden, und das Unglück derer, die von ungläubige" Eltern
entsprossen oder aus Irrthum von ihnen in solchen Grundsätzen erzogen sind,
die nur zum Verderben ihrer Seele führen, wenn nicht Gott durch seine große
Barmherzigkeit sie daraus errettet. Auch lernet noch hieraus, meine lieben
Kinder, eine Pflicht, die jeder Mensch, der um sein Heil besorgt ist, zu erfüllen
hat, nämlich sich nicht damit zu begnügen, daß er, wenn er zu dem Alter der
Erkenntniß gelangt ist, nach den in der Kindheit erhaltnen Lehren in Betreff
der Religion urtheilt, sondern daß wir selbst in der heiligen Schrift forschen, ob
wir auf dem rechten Wege sind, und worin wir uns, wenn wir dieses gefunden,
immer mehr und mehr befestigen sollen. Und dies ist es, welches auch ich zu
meinem großen Troste gethan habe. Auch ist nichts im stände gewesen, noch
wird mit Gottes Hilfe im stände sein, mich in Betreff meiner Religion zu er¬
schüttern, welche ich allen Gütern dieser Welt vorziehe." Damit ist sein religiöser
Standpunkt gekennzeichnet.

Estiennes Vater war Buchdrucker. Ob er mit der berühmten Buchdrucker¬
familie gleichen Namens in Paris verwandt war, läßt sich nicht beweisen. Der
Verfasser der Denkwürdigkeiten schweigt darüber. Im Jahre 1661 siedelte der
Vater nach Metz über, wo es ihm trotz der Hindernisse, die ihm die Jesuiten
in den Weg legten, gelang, eine Buchdruckerei und Buchhandlung zu begründen.
Nachdem der älteste Sohn Jakob hier in der väterlichen Officin seine erste Ausbil¬
dung empfangen, wurde er, 15 Jahre alt, zu einem großen Buchdrucker nach Rouen
in die Lehre gebracht. Wohl erwies sich Jakob so geschickt, daß er seinen Unter¬
halt verdienen konnte, aber seine "gar zu ausgelassne Aufführung" ermüdete die
Geduld seines braven Lehrherrn so, daß er schon nach einem Jahre den Ab¬
schied erhielt. Eigenmächtig, ohne den Vater zu befragen, begab er sich nach
Paris. Aber auch hier gelang es ihm nicht, sich in der guten Stellung, die
er in einem Buchladen der Rue Se. Jaques erhielt, sich zu behaupten. "Aus¬
schweifungen und lustiges Leben" brachten ihn bald um seinen Posten und um
sein Geld. Nur mit Unterstützung guter Freunde war es ihm möglich, Metz
wieder zu erreichen, wo der gütige Vater den Verlornen Sohn liebevoll aufnahm.
Zwei Jahre lang arbeitete Estienne bei seinem Vater. Doch auch hier führte der


Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Estiennes.

bereiten wollen, die gänzliche Verwüstung seiner Kirche im Königreiche Frank¬
reich zu sehen.

Ueber seine Eltern spricht er folgendermaßen: „Mein Vater war Jakob
Estiennc und meine Mutter Johanna Minuel, beide von rechtlicher Familie. Ich
war die erste Frucht ihrer Ehe. Sie erzogen mich mit großer Sorgfalt in der
Erkenntniß unsrer heiligen Religion. Bemerket hierin das Glück derjenigen, welche
von frommen Eltern geboren, in der zum Heil nothwendigen Erkenntniß der
Wahrheit erzogen werden, und das Unglück derer, die von ungläubige» Eltern
entsprossen oder aus Irrthum von ihnen in solchen Grundsätzen erzogen sind,
die nur zum Verderben ihrer Seele führen, wenn nicht Gott durch seine große
Barmherzigkeit sie daraus errettet. Auch lernet noch hieraus, meine lieben
Kinder, eine Pflicht, die jeder Mensch, der um sein Heil besorgt ist, zu erfüllen
hat, nämlich sich nicht damit zu begnügen, daß er, wenn er zu dem Alter der
Erkenntniß gelangt ist, nach den in der Kindheit erhaltnen Lehren in Betreff
der Religion urtheilt, sondern daß wir selbst in der heiligen Schrift forschen, ob
wir auf dem rechten Wege sind, und worin wir uns, wenn wir dieses gefunden,
immer mehr und mehr befestigen sollen. Und dies ist es, welches auch ich zu
meinem großen Troste gethan habe. Auch ist nichts im stände gewesen, noch
wird mit Gottes Hilfe im stände sein, mich in Betreff meiner Religion zu er¬
schüttern, welche ich allen Gütern dieser Welt vorziehe." Damit ist sein religiöser
Standpunkt gekennzeichnet.

Estiennes Vater war Buchdrucker. Ob er mit der berühmten Buchdrucker¬
familie gleichen Namens in Paris verwandt war, läßt sich nicht beweisen. Der
Verfasser der Denkwürdigkeiten schweigt darüber. Im Jahre 1661 siedelte der
Vater nach Metz über, wo es ihm trotz der Hindernisse, die ihm die Jesuiten
in den Weg legten, gelang, eine Buchdruckerei und Buchhandlung zu begründen.
Nachdem der älteste Sohn Jakob hier in der väterlichen Officin seine erste Ausbil¬
dung empfangen, wurde er, 15 Jahre alt, zu einem großen Buchdrucker nach Rouen
in die Lehre gebracht. Wohl erwies sich Jakob so geschickt, daß er seinen Unter¬
halt verdienen konnte, aber seine „gar zu ausgelassne Aufführung" ermüdete die
Geduld seines braven Lehrherrn so, daß er schon nach einem Jahre den Ab¬
schied erhielt. Eigenmächtig, ohne den Vater zu befragen, begab er sich nach
Paris. Aber auch hier gelang es ihm nicht, sich in der guten Stellung, die
er in einem Buchladen der Rue Se. Jaques erhielt, sich zu behaupten. „Aus¬
schweifungen und lustiges Leben" brachten ihn bald um seinen Posten und um
sein Geld. Nur mit Unterstützung guter Freunde war es ihm möglich, Metz
wieder zu erreichen, wo der gütige Vater den Verlornen Sohn liebevoll aufnahm.
Zwei Jahre lang arbeitete Estienne bei seinem Vater. Doch auch hier führte der


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[0115] Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Estiennes. bereiten wollen, die gänzliche Verwüstung seiner Kirche im Königreiche Frank¬ reich zu sehen. Ueber seine Eltern spricht er folgendermaßen: „Mein Vater war Jakob Estiennc und meine Mutter Johanna Minuel, beide von rechtlicher Familie. Ich war die erste Frucht ihrer Ehe. Sie erzogen mich mit großer Sorgfalt in der Erkenntniß unsrer heiligen Religion. Bemerket hierin das Glück derjenigen, welche von frommen Eltern geboren, in der zum Heil nothwendigen Erkenntniß der Wahrheit erzogen werden, und das Unglück derer, die von ungläubige» Eltern entsprossen oder aus Irrthum von ihnen in solchen Grundsätzen erzogen sind, die nur zum Verderben ihrer Seele führen, wenn nicht Gott durch seine große Barmherzigkeit sie daraus errettet. Auch lernet noch hieraus, meine lieben Kinder, eine Pflicht, die jeder Mensch, der um sein Heil besorgt ist, zu erfüllen hat, nämlich sich nicht damit zu begnügen, daß er, wenn er zu dem Alter der Erkenntniß gelangt ist, nach den in der Kindheit erhaltnen Lehren in Betreff der Religion urtheilt, sondern daß wir selbst in der heiligen Schrift forschen, ob wir auf dem rechten Wege sind, und worin wir uns, wenn wir dieses gefunden, immer mehr und mehr befestigen sollen. Und dies ist es, welches auch ich zu meinem großen Troste gethan habe. Auch ist nichts im stände gewesen, noch wird mit Gottes Hilfe im stände sein, mich in Betreff meiner Religion zu er¬ schüttern, welche ich allen Gütern dieser Welt vorziehe." Damit ist sein religiöser Standpunkt gekennzeichnet. Estiennes Vater war Buchdrucker. Ob er mit der berühmten Buchdrucker¬ familie gleichen Namens in Paris verwandt war, läßt sich nicht beweisen. Der Verfasser der Denkwürdigkeiten schweigt darüber. Im Jahre 1661 siedelte der Vater nach Metz über, wo es ihm trotz der Hindernisse, die ihm die Jesuiten in den Weg legten, gelang, eine Buchdruckerei und Buchhandlung zu begründen. Nachdem der älteste Sohn Jakob hier in der väterlichen Officin seine erste Ausbil¬ dung empfangen, wurde er, 15 Jahre alt, zu einem großen Buchdrucker nach Rouen in die Lehre gebracht. Wohl erwies sich Jakob so geschickt, daß er seinen Unter¬ halt verdienen konnte, aber seine „gar zu ausgelassne Aufführung" ermüdete die Geduld seines braven Lehrherrn so, daß er schon nach einem Jahre den Ab¬ schied erhielt. Eigenmächtig, ohne den Vater zu befragen, begab er sich nach Paris. Aber auch hier gelang es ihm nicht, sich in der guten Stellung, die er in einem Buchladen der Rue Se. Jaques erhielt, sich zu behaupten. „Aus¬ schweifungen und lustiges Leben" brachten ihn bald um seinen Posten und um sein Geld. Nur mit Unterstützung guter Freunde war es ihm möglich, Metz wieder zu erreichen, wo der gütige Vater den Verlornen Sohn liebevoll aufnahm. Zwei Jahre lang arbeitete Estienne bei seinem Vater. Doch auch hier führte der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/115>, abgerufen am 28.09.2024.