Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Sprachliche Nenbildiulgen. drucks der schlagenden Richtigkeit erwehren konnte, und jedermann brauchte es Legen wir nun einmal denselben Maßstab an eine Anzahl der in den neugebildete Hauptwörter sind Jetztzeit und Rttckünßcrung, neugebildete Unter den Zeitwörtern hat man seit kurzem nen gebildet belassen (wir Sprachliche Nenbildiulgen. drucks der schlagenden Richtigkeit erwehren konnte, und jedermann brauchte es Legen wir nun einmal denselben Maßstab an eine Anzahl der in den neugebildete Hauptwörter sind Jetztzeit und Rttckünßcrung, neugebildete Unter den Zeitwörtern hat man seit kurzem nen gebildet belassen (wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0579" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149563"/> <fw type="header" place="top"> Sprachliche Nenbildiulgen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1621" prev="#ID_1620"> drucks der schlagenden Richtigkeit erwehren konnte, und jedermann brauchte es<lb/> ihm nach.</p><lb/> <p xml:id="ID_1622"> Legen wir nun einmal denselben Maßstab an eine Anzahl der in den<lb/> letzten Jahren aufgekommenen Neubildungen und fragen wir: Sind sie nöthig?<lb/> Sind sie richtig? Sind sie schön? sind sie eine Bereicherung unsrer Sprache?</p><lb/> <p xml:id="ID_1623"> neugebildete Hauptwörter sind Jetztzeit und Rttckünßcrung, neugebildete<lb/> Eigenschaftswörter selbstredend, unerfindlich, verläßlich. Die Wörter sind<lb/> sämmtlich richtig gebildet, aber sämmtlich — überflüssig, denn die, welche durch sie<lb/> verdrängt werden sollen: Gegenwart, Antwort, selbstverständlich, unbe¬<lb/> greiflich (unverständlich, unerklärlich, unfaßbar), zuverlässig, haben weder von<lb/> ihrer alten Kraft etwas eingebüßt, noch haben sie ihre alte Bedeutung verschoben.<lb/> Wohl aber ist Rückänßerung ein häßlich schleppendes Wort. Jetztzeit mit seinem<lb/> doppelten dz eine Beleidigung des Ohres, unerfindlich geradezu eine Albern¬<lb/> heit. Erfinden und verstehen (oder begreifen) wird kein Mensch miteinander<lb/> vertauschen; wie ist es daher möglich, daß unerfindlich dasselbe bedeute wie<lb/> unbegreiflich? Selbstredend scheint sich zu empfehlen durch eine gewisse<lb/> Plastik des Ausdrucks: das Wort will doch Wohl sagen, eine Sache sei so klar<lb/> und einleuchtend, daß man keine Silbe darüber zu verlieren brauche, daß sie<lb/> gleichsam selber und für sich selber spreche. Trotzdem ist das Wort weder noth¬<lb/> wendig noch schön.</p><lb/> <p xml:id="ID_1624" next="#ID_1625"> Unter den Zeitwörtern hat man seit kurzem nen gebildet belassen (wir<lb/> wollen es bei der bisherigen Einrichtung belassen) und belege» sein (ein Haus<lb/> ist in der oder jener Straße belegen) für das bisherige lassen und gelegen<lb/> sein, beides ebenso überflüssig wie häßlich. Die Vorsilbe be- ist aus bei ent¬<lb/> standen. In dem ersten Beispiele ist sie unnöthig, denn das bei ist schon vorher<lb/> ausgedrückt, im zweiten geradezu sinnlos. Nicht neugebildet, aber in neuem Sinne<lb/> angewandt erscheinen seit einiger Zeit verziehen, fortsetzen, fortlassen und<lb/> fortkommen; sie werden gebraucht für ziehen oder ausziehen (er ist in eine<lb/> andre Straße verzogen) wegsetzen, wegkommen und weglassen, und ihnen<lb/> hat sich das neugebildete Wort fortfallen (für wegfallen) angeschlossen.<lb/> Hier scheint der pessimistische Zug etwas im Spiele zu sein, denn die Leute,<lb/> welche mit Vorliebe die Zusammensetzungen mit fort- brauchen, bilden sich<lb/> ein, feiner und vornehmer zu sprechen. In Wahrheit liegt eine bedauerliche Ab¬<lb/> stumpfung des Sprachgefühls vor. Zwischen fort und weg wird zwar in Zu¬<lb/> sammensetzungen auch sonst bisweilen kein Unterschied gemacht, aber der Unter¬<lb/> schied ist vorhanden und wird von sprachlich feinfühligen Menschen überall be¬<lb/> obachtet. Fort wird gebraucht im Sinne von vorwärts, nach vorn, dagegen<lb/> weg für seitwärts, aus dem Wege, auf die Seite. In der Volksmasse</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0579]
Sprachliche Nenbildiulgen.
drucks der schlagenden Richtigkeit erwehren konnte, und jedermann brauchte es
ihm nach.
Legen wir nun einmal denselben Maßstab an eine Anzahl der in den
letzten Jahren aufgekommenen Neubildungen und fragen wir: Sind sie nöthig?
Sind sie richtig? Sind sie schön? sind sie eine Bereicherung unsrer Sprache?
neugebildete Hauptwörter sind Jetztzeit und Rttckünßcrung, neugebildete
Eigenschaftswörter selbstredend, unerfindlich, verläßlich. Die Wörter sind
sämmtlich richtig gebildet, aber sämmtlich — überflüssig, denn die, welche durch sie
verdrängt werden sollen: Gegenwart, Antwort, selbstverständlich, unbe¬
greiflich (unverständlich, unerklärlich, unfaßbar), zuverlässig, haben weder von
ihrer alten Kraft etwas eingebüßt, noch haben sie ihre alte Bedeutung verschoben.
Wohl aber ist Rückänßerung ein häßlich schleppendes Wort. Jetztzeit mit seinem
doppelten dz eine Beleidigung des Ohres, unerfindlich geradezu eine Albern¬
heit. Erfinden und verstehen (oder begreifen) wird kein Mensch miteinander
vertauschen; wie ist es daher möglich, daß unerfindlich dasselbe bedeute wie
unbegreiflich? Selbstredend scheint sich zu empfehlen durch eine gewisse
Plastik des Ausdrucks: das Wort will doch Wohl sagen, eine Sache sei so klar
und einleuchtend, daß man keine Silbe darüber zu verlieren brauche, daß sie
gleichsam selber und für sich selber spreche. Trotzdem ist das Wort weder noth¬
wendig noch schön.
Unter den Zeitwörtern hat man seit kurzem nen gebildet belassen (wir
wollen es bei der bisherigen Einrichtung belassen) und belege» sein (ein Haus
ist in der oder jener Straße belegen) für das bisherige lassen und gelegen
sein, beides ebenso überflüssig wie häßlich. Die Vorsilbe be- ist aus bei ent¬
standen. In dem ersten Beispiele ist sie unnöthig, denn das bei ist schon vorher
ausgedrückt, im zweiten geradezu sinnlos. Nicht neugebildet, aber in neuem Sinne
angewandt erscheinen seit einiger Zeit verziehen, fortsetzen, fortlassen und
fortkommen; sie werden gebraucht für ziehen oder ausziehen (er ist in eine
andre Straße verzogen) wegsetzen, wegkommen und weglassen, und ihnen
hat sich das neugebildete Wort fortfallen (für wegfallen) angeschlossen.
Hier scheint der pessimistische Zug etwas im Spiele zu sein, denn die Leute,
welche mit Vorliebe die Zusammensetzungen mit fort- brauchen, bilden sich
ein, feiner und vornehmer zu sprechen. In Wahrheit liegt eine bedauerliche Ab¬
stumpfung des Sprachgefühls vor. Zwischen fort und weg wird zwar in Zu¬
sammensetzungen auch sonst bisweilen kein Unterschied gemacht, aber der Unter¬
schied ist vorhanden und wird von sprachlich feinfühligen Menschen überall be¬
obachtet. Fort wird gebraucht im Sinne von vorwärts, nach vorn, dagegen
weg für seitwärts, aus dem Wege, auf die Seite. In der Volksmasse
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |