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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die griechische Frage.

auf der Hand, daß jeder Unparteiische es einsehen müsse. Die Conferenz habe
denn auch in Wirklichkeit nichts andres vorgenommen, als daß sie sich der zwei
Jahre vorher angcbotnen freundschaftlichen Vermittlung unterzogen habe.

Aus dieser klaren und unbestreitbare!? Darstellung folgert der französische
Diplomat, daß die Conferenzbeschlüsse, die ja nur im Berliner Friedensverträge
von 1878 ihre Begründung hätten, nichts anders sein könnten, als freundschaft¬
liche Vorschläge, die jedoch für die Türkei keineswegs einen zwingenden Charakter
hätten, und zu deren Ausführung die Pforte von den Mächten nicht angehalten
werden könne. Nachdem die Depesche dann den Gang der betreffenden Cvngreß-
vcrhandlungen noch kurz angegeben hat, schließt sie mit den Worten:

"Alle vorhcrgcgangncn Anzeichen beweisen, daß auf dem Berliner Kongresse,
so wie nuf der Conferenz nichts geschehen ist, was Griechenland ein Recht ver¬
liehe, seine Ansprüche mit Gewaltmitteln aufrecht zu erhalten, wie es dies zu thun
die Absicht hat. Hätte Europa für gut befunden, eine Entscheidung zu geben,
welche mit Waffengewalt durchzusetzen wäre, so würde es dies gesagt und uicht
einem Staate, dessen Bedeutung so gering ist wie diejenige Griechenlands, die ge¬
fährliche Pflicht übertragen haben, mit Gewaltschritten einem solchen Urtheile Gel¬
tung zu verschaffen. Um die Friedensbedingungen festzustellen, hatte sich Europa
in Berlin zusammengefunden, in dieser Absicht wurde der Vertrag vom. 13. Juli
1878 unterzeichnet, und zu demselben Zwecke beauftragte man die Berliner Con-
ferenz mit dem Versuche, Vorschläge zur Bestimmung einer schwierigen und viel-
bcstrittueu Grenze zu macheu. Es wäre mehr als beklagenswert!), wenn so viele
Arbeiten für den Frieden in einem schrecklichen Kriege verloren gingen, der den
offenkundigsten und theuersten Interessen Europas zuwiderlaufen würde, der den
Weltfrieden und die Bestrebungen der Civilisation so ernster Gefahr aussetzen könnte,
und der heraufbeschworen würde dnrch ein Volk, dem Europa so viele Beweise von
Freundschaft gegeben hat, und das sich nicht über die geringste Vertragsverletzung
zu seinem Schaden beklagen kann."

Man findet wohl ohne Mühe heraus, daß die Behauptungen der Griechen
in leeren Phrasen bestehen, und daß die türkische Auffassung wenigstens eine
gewisse Berechtigung im menschlichen Gefühl hat, daß aber die französische, der
Oesterreich-Ungarn und Deutschland in allen Hauptpunkten beipflichten, allein
das Lob verdient, politisch und rechtlich die richtige zu sein.




Die griechische Frage.

auf der Hand, daß jeder Unparteiische es einsehen müsse. Die Conferenz habe
denn auch in Wirklichkeit nichts andres vorgenommen, als daß sie sich der zwei
Jahre vorher angcbotnen freundschaftlichen Vermittlung unterzogen habe.

Aus dieser klaren und unbestreitbare!? Darstellung folgert der französische
Diplomat, daß die Conferenzbeschlüsse, die ja nur im Berliner Friedensverträge
von 1878 ihre Begründung hätten, nichts anders sein könnten, als freundschaft¬
liche Vorschläge, die jedoch für die Türkei keineswegs einen zwingenden Charakter
hätten, und zu deren Ausführung die Pforte von den Mächten nicht angehalten
werden könne. Nachdem die Depesche dann den Gang der betreffenden Cvngreß-
vcrhandlungen noch kurz angegeben hat, schließt sie mit den Worten:

„Alle vorhcrgcgangncn Anzeichen beweisen, daß auf dem Berliner Kongresse,
so wie nuf der Conferenz nichts geschehen ist, was Griechenland ein Recht ver¬
liehe, seine Ansprüche mit Gewaltmitteln aufrecht zu erhalten, wie es dies zu thun
die Absicht hat. Hätte Europa für gut befunden, eine Entscheidung zu geben,
welche mit Waffengewalt durchzusetzen wäre, so würde es dies gesagt und uicht
einem Staate, dessen Bedeutung so gering ist wie diejenige Griechenlands, die ge¬
fährliche Pflicht übertragen haben, mit Gewaltschritten einem solchen Urtheile Gel¬
tung zu verschaffen. Um die Friedensbedingungen festzustellen, hatte sich Europa
in Berlin zusammengefunden, in dieser Absicht wurde der Vertrag vom. 13. Juli
1878 unterzeichnet, und zu demselben Zwecke beauftragte man die Berliner Con-
ferenz mit dem Versuche, Vorschläge zur Bestimmung einer schwierigen und viel-
bcstrittueu Grenze zu macheu. Es wäre mehr als beklagenswert!), wenn so viele
Arbeiten für den Frieden in einem schrecklichen Kriege verloren gingen, der den
offenkundigsten und theuersten Interessen Europas zuwiderlaufen würde, der den
Weltfrieden und die Bestrebungen der Civilisation so ernster Gefahr aussetzen könnte,
und der heraufbeschworen würde dnrch ein Volk, dem Europa so viele Beweise von
Freundschaft gegeben hat, und das sich nicht über die geringste Vertragsverletzung
zu seinem Schaden beklagen kann."

Man findet wohl ohne Mühe heraus, daß die Behauptungen der Griechen
in leeren Phrasen bestehen, und daß die türkische Auffassung wenigstens eine
gewisse Berechtigung im menschlichen Gefühl hat, daß aber die französische, der
Oesterreich-Ungarn und Deutschland in allen Hauptpunkten beipflichten, allein
das Lob verdient, politisch und rechtlich die richtige zu sein.




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[0560] Die griechische Frage. auf der Hand, daß jeder Unparteiische es einsehen müsse. Die Conferenz habe denn auch in Wirklichkeit nichts andres vorgenommen, als daß sie sich der zwei Jahre vorher angcbotnen freundschaftlichen Vermittlung unterzogen habe. Aus dieser klaren und unbestreitbare!? Darstellung folgert der französische Diplomat, daß die Conferenzbeschlüsse, die ja nur im Berliner Friedensverträge von 1878 ihre Begründung hätten, nichts anders sein könnten, als freundschaft¬ liche Vorschläge, die jedoch für die Türkei keineswegs einen zwingenden Charakter hätten, und zu deren Ausführung die Pforte von den Mächten nicht angehalten werden könne. Nachdem die Depesche dann den Gang der betreffenden Cvngreß- vcrhandlungen noch kurz angegeben hat, schließt sie mit den Worten: „Alle vorhcrgcgangncn Anzeichen beweisen, daß auf dem Berliner Kongresse, so wie nuf der Conferenz nichts geschehen ist, was Griechenland ein Recht ver¬ liehe, seine Ansprüche mit Gewaltmitteln aufrecht zu erhalten, wie es dies zu thun die Absicht hat. Hätte Europa für gut befunden, eine Entscheidung zu geben, welche mit Waffengewalt durchzusetzen wäre, so würde es dies gesagt und uicht einem Staate, dessen Bedeutung so gering ist wie diejenige Griechenlands, die ge¬ fährliche Pflicht übertragen haben, mit Gewaltschritten einem solchen Urtheile Gel¬ tung zu verschaffen. Um die Friedensbedingungen festzustellen, hatte sich Europa in Berlin zusammengefunden, in dieser Absicht wurde der Vertrag vom. 13. Juli 1878 unterzeichnet, und zu demselben Zwecke beauftragte man die Berliner Con- ferenz mit dem Versuche, Vorschläge zur Bestimmung einer schwierigen und viel- bcstrittueu Grenze zu macheu. Es wäre mehr als beklagenswert!), wenn so viele Arbeiten für den Frieden in einem schrecklichen Kriege verloren gingen, der den offenkundigsten und theuersten Interessen Europas zuwiderlaufen würde, der den Weltfrieden und die Bestrebungen der Civilisation so ernster Gefahr aussetzen könnte, und der heraufbeschworen würde dnrch ein Volk, dem Europa so viele Beweise von Freundschaft gegeben hat, und das sich nicht über die geringste Vertragsverletzung zu seinem Schaden beklagen kann." Man findet wohl ohne Mühe heraus, daß die Behauptungen der Griechen in leeren Phrasen bestehen, und daß die türkische Auffassung wenigstens eine gewisse Berechtigung im menschlichen Gefühl hat, daß aber die französische, der Oesterreich-Ungarn und Deutschland in allen Hauptpunkten beipflichten, allein das Lob verdient, politisch und rechtlich die richtige zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/560>, abgerufen am 27.12.2024.