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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die griechische Frage.

erwarten hätte, daß es 1877 dein Reiche der Osmanen nicht den Gnadenstoß ge¬
geben hat? , . , Griechenland wird Angesichts seines guten von Europa bestätigten
Rechts die Möglichkeit einer Niederlage nicht berechnen; aber wenn uns eine solche
treffen sollte, so ist es eine Frage, ob die emancipirten Völkerschaften des Balkans
und der untern Donau ruhige Zuschauer eiuer neuen asiatischen Invasion bleiben
werden, welche, nachdem sie Griechenland bezwungen, sehr wohl ihre Erfolge gegen
die durch den Berliner Friedensvertrag befreite" fortsetzen könnte. Nein, weniger
friedliebend als die Hellenen 1877, weniger vertrauend auf die Gerechtigkeitsliebe
der Großmächte, werden diese Völker mit uns die Fahne des Befreiungskrieges ent¬
falten, Länder, die noch von der Türkei occupirt siud, und von denen sie kein Document
der Welt zum legitimen Eigenthümer zu machen vermag,"

Ergänzt wird diese Darlegung des Standpunktes und der Absichten der
griechischen Regierung durch eine spätere Note, in der es heißt, wie die Türkei
sich stets mit Ausflüchten und Verschleppung zu helfen gesucht, so habe sie es
auch dem 13. Protokoll des Congresses gegenüber gemacht, und ihr übler Wille
habe alsdann die Berliner Conferenz veranlaßt. "Infolge des Protests der
türkischen Regierung," sagt Cvmmunduros nun weiter, "zeigte der Präsident der
Conferenz Herrn Sadullah Bey an, daß die Entscheidung der Bevollmächtigten
dem Geiste und Buchstaben des Berliner Friedensvertrags entspreche. Durch
diese nach feierlicher Berathung einstimmig gefaßten Beschlüsse ist die Grenzlinie
festgesetzt worden, die Griechenland jetzt beansprucht, und die nach den Worten
des französischen Bevollmächtigten die größten Vortheile und die kleinste" Nach¬
theile bietet." Weiterhin sucht der griechische Minister nachzuweisen, daß die Pforte
selbst in diplomatischen Noten die Beschlüsse der Conferenz als solche und nicht
als bloße Rathschläge anerkannt habe, worauf er sich beschwert, daß diese selbe
türkische Regierung die Beschlüsse nur als einfache Rathschläge ansehen und ihre
Ausführung verweigern wolle. Stark durch den Beschluß Europas, habe aber
Griechenland seine militärischen Vorbereitungen getroffen, um im rechten Augen¬
blicke "endgiltig die ihm abgetretnen Provinzen zu besetzen und in ihnen Ordnung
und Ruhe herzustellen." Nachdem dann die Depesche darauf hingewiesen, daß
die Erregtheit und Leidenschaftlichkeit der griechischen Bevölkerung einen Besorgnis;
erregenden Grad erreicht habe, schließt sie mit den Worten: "Europa hat in seinem
Gerechtigkeitsgefühle beschlossen, was recht und billig ist, und es wird nun die
Mittel anwenden müssen, welche ihm nothwendig zu sein scheinen, um jene Be¬
schlüsse auszuführen und den Frieden im Orient auf eine feste Unterlage zu
begründen."

Die Stellung, welche die Pforte zu der Frage einnimmt, ergiebt sich aus
ihren letzten Noten und Cirenlaren, noch deutlicher aber wohl aus der Unter¬
redung, welche der Stambuler Correspondent des "Staudard" in der ersten Woche
des März mit einem hochgestellten türkischen Staatsmanne hatte, und welche wir


Grenzboim I. 1881. 73
Die griechische Frage.

erwarten hätte, daß es 1877 dein Reiche der Osmanen nicht den Gnadenstoß ge¬
geben hat? , . , Griechenland wird Angesichts seines guten von Europa bestätigten
Rechts die Möglichkeit einer Niederlage nicht berechnen; aber wenn uns eine solche
treffen sollte, so ist es eine Frage, ob die emancipirten Völkerschaften des Balkans
und der untern Donau ruhige Zuschauer eiuer neuen asiatischen Invasion bleiben
werden, welche, nachdem sie Griechenland bezwungen, sehr wohl ihre Erfolge gegen
die durch den Berliner Friedensvertrag befreite» fortsetzen könnte. Nein, weniger
friedliebend als die Hellenen 1877, weniger vertrauend auf die Gerechtigkeitsliebe
der Großmächte, werden diese Völker mit uns die Fahne des Befreiungskrieges ent¬
falten, Länder, die noch von der Türkei occupirt siud, und von denen sie kein Document
der Welt zum legitimen Eigenthümer zu machen vermag,"

Ergänzt wird diese Darlegung des Standpunktes und der Absichten der
griechischen Regierung durch eine spätere Note, in der es heißt, wie die Türkei
sich stets mit Ausflüchten und Verschleppung zu helfen gesucht, so habe sie es
auch dem 13. Protokoll des Congresses gegenüber gemacht, und ihr übler Wille
habe alsdann die Berliner Conferenz veranlaßt. „Infolge des Protests der
türkischen Regierung," sagt Cvmmunduros nun weiter, „zeigte der Präsident der
Conferenz Herrn Sadullah Bey an, daß die Entscheidung der Bevollmächtigten
dem Geiste und Buchstaben des Berliner Friedensvertrags entspreche. Durch
diese nach feierlicher Berathung einstimmig gefaßten Beschlüsse ist die Grenzlinie
festgesetzt worden, die Griechenland jetzt beansprucht, und die nach den Worten
des französischen Bevollmächtigten die größten Vortheile und die kleinste» Nach¬
theile bietet." Weiterhin sucht der griechische Minister nachzuweisen, daß die Pforte
selbst in diplomatischen Noten die Beschlüsse der Conferenz als solche und nicht
als bloße Rathschläge anerkannt habe, worauf er sich beschwert, daß diese selbe
türkische Regierung die Beschlüsse nur als einfache Rathschläge ansehen und ihre
Ausführung verweigern wolle. Stark durch den Beschluß Europas, habe aber
Griechenland seine militärischen Vorbereitungen getroffen, um im rechten Augen¬
blicke „endgiltig die ihm abgetretnen Provinzen zu besetzen und in ihnen Ordnung
und Ruhe herzustellen." Nachdem dann die Depesche darauf hingewiesen, daß
die Erregtheit und Leidenschaftlichkeit der griechischen Bevölkerung einen Besorgnis;
erregenden Grad erreicht habe, schließt sie mit den Worten: „Europa hat in seinem
Gerechtigkeitsgefühle beschlossen, was recht und billig ist, und es wird nun die
Mittel anwenden müssen, welche ihm nothwendig zu sein scheinen, um jene Be¬
schlüsse auszuführen und den Frieden im Orient auf eine feste Unterlage zu
begründen."

Die Stellung, welche die Pforte zu der Frage einnimmt, ergiebt sich aus
ihren letzten Noten und Cirenlaren, noch deutlicher aber wohl aus der Unter¬
redung, welche der Stambuler Correspondent des „Staudard" in der ersten Woche
des März mit einem hochgestellten türkischen Staatsmanne hatte, und welche wir


Grenzboim I. 1881. 73
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[0557] Die griechische Frage. erwarten hätte, daß es 1877 dein Reiche der Osmanen nicht den Gnadenstoß ge¬ geben hat? , . , Griechenland wird Angesichts seines guten von Europa bestätigten Rechts die Möglichkeit einer Niederlage nicht berechnen; aber wenn uns eine solche treffen sollte, so ist es eine Frage, ob die emancipirten Völkerschaften des Balkans und der untern Donau ruhige Zuschauer eiuer neuen asiatischen Invasion bleiben werden, welche, nachdem sie Griechenland bezwungen, sehr wohl ihre Erfolge gegen die durch den Berliner Friedensvertrag befreite» fortsetzen könnte. Nein, weniger friedliebend als die Hellenen 1877, weniger vertrauend auf die Gerechtigkeitsliebe der Großmächte, werden diese Völker mit uns die Fahne des Befreiungskrieges ent¬ falten, Länder, die noch von der Türkei occupirt siud, und von denen sie kein Document der Welt zum legitimen Eigenthümer zu machen vermag," Ergänzt wird diese Darlegung des Standpunktes und der Absichten der griechischen Regierung durch eine spätere Note, in der es heißt, wie die Türkei sich stets mit Ausflüchten und Verschleppung zu helfen gesucht, so habe sie es auch dem 13. Protokoll des Congresses gegenüber gemacht, und ihr übler Wille habe alsdann die Berliner Conferenz veranlaßt. „Infolge des Protests der türkischen Regierung," sagt Cvmmunduros nun weiter, „zeigte der Präsident der Conferenz Herrn Sadullah Bey an, daß die Entscheidung der Bevollmächtigten dem Geiste und Buchstaben des Berliner Friedensvertrags entspreche. Durch diese nach feierlicher Berathung einstimmig gefaßten Beschlüsse ist die Grenzlinie festgesetzt worden, die Griechenland jetzt beansprucht, und die nach den Worten des französischen Bevollmächtigten die größten Vortheile und die kleinste» Nach¬ theile bietet." Weiterhin sucht der griechische Minister nachzuweisen, daß die Pforte selbst in diplomatischen Noten die Beschlüsse der Conferenz als solche und nicht als bloße Rathschläge anerkannt habe, worauf er sich beschwert, daß diese selbe türkische Regierung die Beschlüsse nur als einfache Rathschläge ansehen und ihre Ausführung verweigern wolle. Stark durch den Beschluß Europas, habe aber Griechenland seine militärischen Vorbereitungen getroffen, um im rechten Augen¬ blicke „endgiltig die ihm abgetretnen Provinzen zu besetzen und in ihnen Ordnung und Ruhe herzustellen." Nachdem dann die Depesche darauf hingewiesen, daß die Erregtheit und Leidenschaftlichkeit der griechischen Bevölkerung einen Besorgnis; erregenden Grad erreicht habe, schließt sie mit den Worten: „Europa hat in seinem Gerechtigkeitsgefühle beschlossen, was recht und billig ist, und es wird nun die Mittel anwenden müssen, welche ihm nothwendig zu sein scheinen, um jene Be¬ schlüsse auszuführen und den Frieden im Orient auf eine feste Unterlage zu begründen." Die Stellung, welche die Pforte zu der Frage einnimmt, ergiebt sich aus ihren letzten Noten und Cirenlaren, noch deutlicher aber wohl aus der Unter¬ redung, welche der Stambuler Correspondent des „Staudard" in der ersten Woche des März mit einem hochgestellten türkischen Staatsmanne hatte, und welche wir Grenzboim I. 1881. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/557>, abgerufen am 29.12.2024.