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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Der Uaisermord in Petersburg.

Petersburgs nur zu oft und zu grell bemerklich machte, besonders erfreulich an-
muthete. Alexander der Dritte ist ferner -- 1846 geboren, also erst 36 Jahre alt --
ein verhältnißmäßig noch junger Mann, in der Fülle seiner Kraft und den be¬
rechtigte" Bedürfnissen, Forderungen und Bestrebungen der neuesten Zeit nicht
grundsätzlich abhold. Man will wissen, daß er der Partei nicht fern stehe, welche
an eine constitutionelle Umgestaltung der staatlichen Form Rußlands denkt.
Wäre das richtig, so wird er unsers Ernchtens in dieser Richtung nicht sofort
ans Werk gehen und, wenn er einmal dazu verschreitet, vorsichtig und maßvoll
verfahren. Nicht sofort, weil das wie ein erzwungenes Nachgeben gegen die
wahnsinnige Rotte aussehen würde, deren Bestrebungen soeben in der Ermordung
seines Vaters gipfelten, und die durch keinerlei mit der Vernunft vereinbare
Zugeständnisse zu befriedigen ist. Sehr vorsichtig und maßvoll, weil die große
Mehrzahl des russischen Volkes nicht entfernt gereift für ein rein Verfassung^
mäßiges Leben ist, ja vielleicht niemals dafür geeignet sein wird. Sollte der
neue Zar daher beschlossen haben oder sich im Laufe der Zeit bewogen finden,
gewisse constitutionelle Einrichtungen zu gewähren, so werden dieselben sicherlich
nicht auf irgendwelche" Parlamentarismus, auf keine belgische oder norwegische
Verfassung hinauslaufen und selbst mit dem, was der Art in Deutschland be¬
steht, nur sehr geringe Aehnlichkeit haben. Aber mit Bestimmtheit ist nicht zu
sagen, ob der Kaiser, wenn er als Zarewitsch wirklich der eonstitutio"eilen Doetri"
zugethan gewesen wäre, nach seiner Thronbesteigung noch so denkt. Die modernen
Fürsten, auch die russischen, sind nicht unabhängig von öffentlicher Meinung
oder der Partcidoetrin, die sich dafür ausgiebt. Dynastien haben das Bedürfniß,
alle Parteien zu vertreten und für sich zu interessiren, und so verbreiten Kron¬
prinzen häufig um sich den Ruf, entgegengesetzter politischer oder religiöser An¬
sicht als der Throniuhnber zu sein, namentlich liberal zu sein, wenn dieser con-
servativ, oder sehr liberal zu sein, wenn dieser es nur sehr müßig ist. Kommen
sie dann zur Gewalt und mit ihr zur Verantwortlichkeit für ihre Entschließung
und Richtung, so treten sie aus der Theorie, wenn sie ihr überhaupt im Ernste
gehuldigt haben, in die Praxis und vor die Welt der Thatsachen, und hier geben
nicht Velleitäten, sondern die Umstünde, die Verhältnisse den Ausschlag. Ru߬
land ist ein absolut regierter Staat, der Wille des Zaren ist allmächtig, aber
doch nicht so allmächtig, daß er über diesen Zwang hinaus regieren, daß er
Unmöglichkeiten möglich machen könnte.

Das letztere gilt in unserm Falle auch von der auswärtigen Politik, be¬
züglich deren wir uns, soweit sie das Verhalten Rußlands zur Pforte und zu
England betrifft, keine Conjecturen erlauben, da sie von zukünftigen Konstel¬
lationen abhängen wird, welche sich nicht oder wenigstens nicht genau berechnen


Der Uaisermord in Petersburg.

Petersburgs nur zu oft und zu grell bemerklich machte, besonders erfreulich an-
muthete. Alexander der Dritte ist ferner — 1846 geboren, also erst 36 Jahre alt —
ein verhältnißmäßig noch junger Mann, in der Fülle seiner Kraft und den be¬
rechtigte» Bedürfnissen, Forderungen und Bestrebungen der neuesten Zeit nicht
grundsätzlich abhold. Man will wissen, daß er der Partei nicht fern stehe, welche
an eine constitutionelle Umgestaltung der staatlichen Form Rußlands denkt.
Wäre das richtig, so wird er unsers Ernchtens in dieser Richtung nicht sofort
ans Werk gehen und, wenn er einmal dazu verschreitet, vorsichtig und maßvoll
verfahren. Nicht sofort, weil das wie ein erzwungenes Nachgeben gegen die
wahnsinnige Rotte aussehen würde, deren Bestrebungen soeben in der Ermordung
seines Vaters gipfelten, und die durch keinerlei mit der Vernunft vereinbare
Zugeständnisse zu befriedigen ist. Sehr vorsichtig und maßvoll, weil die große
Mehrzahl des russischen Volkes nicht entfernt gereift für ein rein Verfassung^
mäßiges Leben ist, ja vielleicht niemals dafür geeignet sein wird. Sollte der
neue Zar daher beschlossen haben oder sich im Laufe der Zeit bewogen finden,
gewisse constitutionelle Einrichtungen zu gewähren, so werden dieselben sicherlich
nicht auf irgendwelche» Parlamentarismus, auf keine belgische oder norwegische
Verfassung hinauslaufen und selbst mit dem, was der Art in Deutschland be¬
steht, nur sehr geringe Aehnlichkeit haben. Aber mit Bestimmtheit ist nicht zu
sagen, ob der Kaiser, wenn er als Zarewitsch wirklich der eonstitutio»eilen Doetri»
zugethan gewesen wäre, nach seiner Thronbesteigung noch so denkt. Die modernen
Fürsten, auch die russischen, sind nicht unabhängig von öffentlicher Meinung
oder der Partcidoetrin, die sich dafür ausgiebt. Dynastien haben das Bedürfniß,
alle Parteien zu vertreten und für sich zu interessiren, und so verbreiten Kron¬
prinzen häufig um sich den Ruf, entgegengesetzter politischer oder religiöser An¬
sicht als der Throniuhnber zu sein, namentlich liberal zu sein, wenn dieser con-
servativ, oder sehr liberal zu sein, wenn dieser es nur sehr müßig ist. Kommen
sie dann zur Gewalt und mit ihr zur Verantwortlichkeit für ihre Entschließung
und Richtung, so treten sie aus der Theorie, wenn sie ihr überhaupt im Ernste
gehuldigt haben, in die Praxis und vor die Welt der Thatsachen, und hier geben
nicht Velleitäten, sondern die Umstünde, die Verhältnisse den Ausschlag. Ru߬
land ist ein absolut regierter Staat, der Wille des Zaren ist allmächtig, aber
doch nicht so allmächtig, daß er über diesen Zwang hinaus regieren, daß er
Unmöglichkeiten möglich machen könnte.

Das letztere gilt in unserm Falle auch von der auswärtigen Politik, be¬
züglich deren wir uns, soweit sie das Verhalten Rußlands zur Pforte und zu
England betrifft, keine Conjecturen erlauben, da sie von zukünftigen Konstel¬
lationen abhängen wird, welche sich nicht oder wenigstens nicht genau berechnen


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[0544] Der Uaisermord in Petersburg. Petersburgs nur zu oft und zu grell bemerklich machte, besonders erfreulich an- muthete. Alexander der Dritte ist ferner — 1846 geboren, also erst 36 Jahre alt — ein verhältnißmäßig noch junger Mann, in der Fülle seiner Kraft und den be¬ rechtigte» Bedürfnissen, Forderungen und Bestrebungen der neuesten Zeit nicht grundsätzlich abhold. Man will wissen, daß er der Partei nicht fern stehe, welche an eine constitutionelle Umgestaltung der staatlichen Form Rußlands denkt. Wäre das richtig, so wird er unsers Ernchtens in dieser Richtung nicht sofort ans Werk gehen und, wenn er einmal dazu verschreitet, vorsichtig und maßvoll verfahren. Nicht sofort, weil das wie ein erzwungenes Nachgeben gegen die wahnsinnige Rotte aussehen würde, deren Bestrebungen soeben in der Ermordung seines Vaters gipfelten, und die durch keinerlei mit der Vernunft vereinbare Zugeständnisse zu befriedigen ist. Sehr vorsichtig und maßvoll, weil die große Mehrzahl des russischen Volkes nicht entfernt gereift für ein rein Verfassung^ mäßiges Leben ist, ja vielleicht niemals dafür geeignet sein wird. Sollte der neue Zar daher beschlossen haben oder sich im Laufe der Zeit bewogen finden, gewisse constitutionelle Einrichtungen zu gewähren, so werden dieselben sicherlich nicht auf irgendwelche» Parlamentarismus, auf keine belgische oder norwegische Verfassung hinauslaufen und selbst mit dem, was der Art in Deutschland be¬ steht, nur sehr geringe Aehnlichkeit haben. Aber mit Bestimmtheit ist nicht zu sagen, ob der Kaiser, wenn er als Zarewitsch wirklich der eonstitutio»eilen Doetri» zugethan gewesen wäre, nach seiner Thronbesteigung noch so denkt. Die modernen Fürsten, auch die russischen, sind nicht unabhängig von öffentlicher Meinung oder der Partcidoetrin, die sich dafür ausgiebt. Dynastien haben das Bedürfniß, alle Parteien zu vertreten und für sich zu interessiren, und so verbreiten Kron¬ prinzen häufig um sich den Ruf, entgegengesetzter politischer oder religiöser An¬ sicht als der Throniuhnber zu sein, namentlich liberal zu sein, wenn dieser con- servativ, oder sehr liberal zu sein, wenn dieser es nur sehr müßig ist. Kommen sie dann zur Gewalt und mit ihr zur Verantwortlichkeit für ihre Entschließung und Richtung, so treten sie aus der Theorie, wenn sie ihr überhaupt im Ernste gehuldigt haben, in die Praxis und vor die Welt der Thatsachen, und hier geben nicht Velleitäten, sondern die Umstünde, die Verhältnisse den Ausschlag. Ru߬ land ist ein absolut regierter Staat, der Wille des Zaren ist allmächtig, aber doch nicht so allmächtig, daß er über diesen Zwang hinaus regieren, daß er Unmöglichkeiten möglich machen könnte. Das letztere gilt in unserm Falle auch von der auswärtigen Politik, be¬ züglich deren wir uns, soweit sie das Verhalten Rußlands zur Pforte und zu England betrifft, keine Conjecturen erlauben, da sie von zukünftigen Konstel¬ lationen abhängen wird, welche sich nicht oder wenigstens nicht genau berechnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/544>, abgerufen am 27.12.2024.