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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Schlioinmms Ilios,

Auf die dritte, die "verbrannte Stadt," läßt Schliemann noch eine vierte
und fünfte prähistorische Stadt folgen und betritt erst mit der sechsten, der so¬
genannten "lydischen Stadt," den Boden der Geschichte, Diese Stadt, von der
Schliemann keine Ruinen gefunden hat, baut er freilich auf einem sehr schwanken
Grunde ans. Er hat nämlich in einer Tiefe von durchschnittlich 6 Fuß, bis¬
weilen auch von nur 3--4 Fuß, eine Menge von Thonscherben und -gefäßeil
ausgegraben, die mit den in den Gräberfelder" von Roviv, Volterra, Bisman-
tvva, Billanvva und andern Orten Italiens gefundnen große Achnlichkeit haben.
Da nun nach Herodots Bericht Etrurien um 1200 v, Chr. durch Lydier coloni-
sirt worden ist, glaubt Schliemann auch eine Colonisation Hissnrliks und der
Trocis durch lydische Einwandrer annehmen zu müssen. Für eine viel spätere
Zeit, für das siebente Jahrhundert, ist die Herrschaft der Lydier in der Troas
historisch bezeugt. Man kann sich darnach ungefähr einen Begriff machen, wie
alt sich Schliemann seine prähistorischen Städte denkt, wenn er die erste historische
Stadt in das zwölfte Jahrhundert versetzt.

Die siebente und letzte Stadt ist Neu-Ilium, welches von den macedonischen
Zeiten bis ins dritte Jahrhundert uach Christo florirte. In den Ruinen eiues
dorischen Apvllontempels fand Schliemann eine Metope, welche den Sonnengott
auf einem Viergespann in vortrefflicher Arbeit zeigt. Man glaubt, daß diese
Sculptur dem vierten Jahrhundert vor Christo angehört. Sonst hat er die
Ruinen Neu-Jliums meist zerstören müssen, um nach dem, was er suchte, uach
seinen prähistorischen Städten vordringen zu können.

Wie aber auch das Urtheil der Wissenschaft über die Funde Schliemcmns
ausfallen mag, der kühne, unermüdliche Schatzgräber, der sich durch den bittersten
Spott nicht von der Erreichung seines phantastischen Zieles abschrecken ließ, hat
jedenfalls aus den Tiefen der Erde, in Mykenae sowohl wie in Hissarlit, ein
gewaltiges Material zu Tage gefordert, dessen wissenschaftliche Verarbeitung ge¬
raume Zeit in Anspruch nehmen und das den Alterthumsforschern noch manche
Räthsel aufgeben wird. Abgelöst von der Troja-Hypothese werden die Funde
unbefangen auf ihren Ursprung geprüft werden müssen, und vielleicht wird sich
dann ans Grund eines objectiven Standpunktes ein klareres und unzweideutigeres
Resultat ergeben, als eS Schliemmm in seinem voluminösen Werke zu erzielen
im Stande war. Hoffen wir, daß dieses Ergebniß dem "Wiederentdecker Trojas"
keine allzuherben Entäuschnngen bereite.


A. R.


Schlioinmms Ilios,

Auf die dritte, die „verbrannte Stadt," läßt Schliemann noch eine vierte
und fünfte prähistorische Stadt folgen und betritt erst mit der sechsten, der so¬
genannten „lydischen Stadt," den Boden der Geschichte, Diese Stadt, von der
Schliemann keine Ruinen gefunden hat, baut er freilich auf einem sehr schwanken
Grunde ans. Er hat nämlich in einer Tiefe von durchschnittlich 6 Fuß, bis¬
weilen auch von nur 3—4 Fuß, eine Menge von Thonscherben und -gefäßeil
ausgegraben, die mit den in den Gräberfelder» von Roviv, Volterra, Bisman-
tvva, Billanvva und andern Orten Italiens gefundnen große Achnlichkeit haben.
Da nun nach Herodots Bericht Etrurien um 1200 v, Chr. durch Lydier coloni-
sirt worden ist, glaubt Schliemann auch eine Colonisation Hissnrliks und der
Trocis durch lydische Einwandrer annehmen zu müssen. Für eine viel spätere
Zeit, für das siebente Jahrhundert, ist die Herrschaft der Lydier in der Troas
historisch bezeugt. Man kann sich darnach ungefähr einen Begriff machen, wie
alt sich Schliemann seine prähistorischen Städte denkt, wenn er die erste historische
Stadt in das zwölfte Jahrhundert versetzt.

Die siebente und letzte Stadt ist Neu-Ilium, welches von den macedonischen
Zeiten bis ins dritte Jahrhundert uach Christo florirte. In den Ruinen eiues
dorischen Apvllontempels fand Schliemann eine Metope, welche den Sonnengott
auf einem Viergespann in vortrefflicher Arbeit zeigt. Man glaubt, daß diese
Sculptur dem vierten Jahrhundert vor Christo angehört. Sonst hat er die
Ruinen Neu-Jliums meist zerstören müssen, um nach dem, was er suchte, uach
seinen prähistorischen Städten vordringen zu können.

Wie aber auch das Urtheil der Wissenschaft über die Funde Schliemcmns
ausfallen mag, der kühne, unermüdliche Schatzgräber, der sich durch den bittersten
Spott nicht von der Erreichung seines phantastischen Zieles abschrecken ließ, hat
jedenfalls aus den Tiefen der Erde, in Mykenae sowohl wie in Hissarlit, ein
gewaltiges Material zu Tage gefordert, dessen wissenschaftliche Verarbeitung ge¬
raume Zeit in Anspruch nehmen und das den Alterthumsforschern noch manche
Räthsel aufgeben wird. Abgelöst von der Troja-Hypothese werden die Funde
unbefangen auf ihren Ursprung geprüft werden müssen, und vielleicht wird sich
dann ans Grund eines objectiven Standpunktes ein klareres und unzweideutigeres
Resultat ergeben, als eS Schliemmm in seinem voluminösen Werke zu erzielen
im Stande war. Hoffen wir, daß dieses Ergebniß dem „Wiederentdecker Trojas"
keine allzuherben Entäuschnngen bereite.


A. R.


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[0533] Schlioinmms Ilios, Auf die dritte, die „verbrannte Stadt," läßt Schliemann noch eine vierte und fünfte prähistorische Stadt folgen und betritt erst mit der sechsten, der so¬ genannten „lydischen Stadt," den Boden der Geschichte, Diese Stadt, von der Schliemann keine Ruinen gefunden hat, baut er freilich auf einem sehr schwanken Grunde ans. Er hat nämlich in einer Tiefe von durchschnittlich 6 Fuß, bis¬ weilen auch von nur 3—4 Fuß, eine Menge von Thonscherben und -gefäßeil ausgegraben, die mit den in den Gräberfelder» von Roviv, Volterra, Bisman- tvva, Billanvva und andern Orten Italiens gefundnen große Achnlichkeit haben. Da nun nach Herodots Bericht Etrurien um 1200 v, Chr. durch Lydier coloni- sirt worden ist, glaubt Schliemann auch eine Colonisation Hissnrliks und der Trocis durch lydische Einwandrer annehmen zu müssen. Für eine viel spätere Zeit, für das siebente Jahrhundert, ist die Herrschaft der Lydier in der Troas historisch bezeugt. Man kann sich darnach ungefähr einen Begriff machen, wie alt sich Schliemann seine prähistorischen Städte denkt, wenn er die erste historische Stadt in das zwölfte Jahrhundert versetzt. Die siebente und letzte Stadt ist Neu-Ilium, welches von den macedonischen Zeiten bis ins dritte Jahrhundert uach Christo florirte. In den Ruinen eiues dorischen Apvllontempels fand Schliemann eine Metope, welche den Sonnengott auf einem Viergespann in vortrefflicher Arbeit zeigt. Man glaubt, daß diese Sculptur dem vierten Jahrhundert vor Christo angehört. Sonst hat er die Ruinen Neu-Jliums meist zerstören müssen, um nach dem, was er suchte, uach seinen prähistorischen Städten vordringen zu können. Wie aber auch das Urtheil der Wissenschaft über die Funde Schliemcmns ausfallen mag, der kühne, unermüdliche Schatzgräber, der sich durch den bittersten Spott nicht von der Erreichung seines phantastischen Zieles abschrecken ließ, hat jedenfalls aus den Tiefen der Erde, in Mykenae sowohl wie in Hissarlit, ein gewaltiges Material zu Tage gefordert, dessen wissenschaftliche Verarbeitung ge¬ raume Zeit in Anspruch nehmen und das den Alterthumsforschern noch manche Räthsel aufgeben wird. Abgelöst von der Troja-Hypothese werden die Funde unbefangen auf ihren Ursprung geprüft werden müssen, und vielleicht wird sich dann ans Grund eines objectiven Standpunktes ein klareres und unzweideutigeres Resultat ergeben, als eS Schliemmm in seinem voluminösen Werke zu erzielen im Stande war. Hoffen wir, daß dieses Ergebniß dem „Wiederentdecker Trojas" keine allzuherben Entäuschnngen bereite. A. R.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/533>, abgerufen am 27.12.2024.