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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Schliemcmns Ilios,

fangen phönizischer Schiffe beschäftigten, welche in der grauen Vorzeit bekanntlich
-- mittelst Küstenfahrt -- den Zwischenhandel zwischen dem astatischen Osten
und den Küstenstüdten Griechenlands besorgten, Geben uns die Herren Virchow
und Schliemann aber erst einmal das Recht, in den auf Hissarlik gefundnen
Goldschätzen Beutestücke zu sehen, so haben sie damit der Conjectur einen sehr
weiten Spielraum gelassen. Es liegt dann gar nicht mehr die Nothwendigkeit
vor, daß diese Goldgegcnstände, mögen sie nun von den Bewohner" Hissarliks
auf dem Wege des Handels oder dem des Seeraubs zusammengebracht sein, in
derjenigen Zeit erworben und später vergraben worden sind, deren Kunstcharakter
sie hinsichtlich der Form und der Ornamentik an sich tragen. Wie wenig gerade
die Ornamente für die chronologische Bestimmung der Goldgefäße u. s. w. ma߬
gebend sind, beweist der von dem Petersburger Archäologen Stephani gegen
Schliemann gemachte Einwurf, Stephani hat nämlich aus einer auffälligen Ver¬
wandtschaft der in Troja und Mykenae gefundnen Goldsachen mit gleichen Funden
aus südrussischen Gräbern, die erweislich dem ersten Jahrhundert nach Christo
angehören, den Schluß gezogen, daß auch die mhkenischen und trojanischen Funde
nachchristlichen Ursprungs sind. Er glaubt, daß die Heruler, die sich längere
Zeit im südlichen Rußland angesiedelt hatten und im Jahre 267 n. Chr, einen
Raubzug nach Kleinasien und Griecheisland, auf welchem sie auch die Troas
berührten, unternahmen, diese Schätze in Mykenae, wo sie ihre gestorbnen oder
im Kampfe gefallnen Krieger begruben, in Troja, wo sie vielleicht von den Ein¬
wohnern überfallen wurden und in der Eile den großen Schatz, der, wie sich
aus den vorgefundnen Spuren erkennen läßt, in eine Kiste verpackt war, nicht
mitnehmen konnten, zurückgelassen haben. Die Stephanischc Hypothese hat begreif¬
licherweise den Zorn des Herrn Schliemann ganz gewaltig erregt, und es entspann
sich infolge dessen in russischen Blättern eine lange Polemik, in deren Verlauf
Herr Schliemann an die Stelle seines sonstigen "liebenswürdigen Enthusiasmus"
einen recht unangenehmen Fanatismus treten ließ.

Wir wollen uns hier nicht mit der Frage beschäftigen, inwieweit die Hypo¬
these des Petersburger Gelehrten begründet ist. Es kommt uns hier nur daraus
an, ein übersichtliches Resums über den gegenwärtigen Stand der Trojafrage zu
geben, welches zur vorläufigen Orientirung dienen soll, ehe wir uns auf Grund
eigner Anschauung mit den Schliemannschen Fundgegenstünden selbst beschäftigen.
Zu diesem Zwecke sei auch noch eine andre Meinung erwähnt, die, wenn ich mich
recht erinnere, besonders von Ernst Curtius vertreten wird und derzufolge die
meisten der Thon- und Goldgegcnstände auf die gallische Invasion Kleinasiens
im dritten Jahrhundert vor Chr., also auch auf spätern barbarischen Ursprung
zurückgeführt werden.


Schliemcmns Ilios,

fangen phönizischer Schiffe beschäftigten, welche in der grauen Vorzeit bekanntlich
— mittelst Küstenfahrt — den Zwischenhandel zwischen dem astatischen Osten
und den Küstenstüdten Griechenlands besorgten, Geben uns die Herren Virchow
und Schliemann aber erst einmal das Recht, in den auf Hissarlik gefundnen
Goldschätzen Beutestücke zu sehen, so haben sie damit der Conjectur einen sehr
weiten Spielraum gelassen. Es liegt dann gar nicht mehr die Nothwendigkeit
vor, daß diese Goldgegcnstände, mögen sie nun von den Bewohner» Hissarliks
auf dem Wege des Handels oder dem des Seeraubs zusammengebracht sein, in
derjenigen Zeit erworben und später vergraben worden sind, deren Kunstcharakter
sie hinsichtlich der Form und der Ornamentik an sich tragen. Wie wenig gerade
die Ornamente für die chronologische Bestimmung der Goldgefäße u. s. w. ma߬
gebend sind, beweist der von dem Petersburger Archäologen Stephani gegen
Schliemann gemachte Einwurf, Stephani hat nämlich aus einer auffälligen Ver¬
wandtschaft der in Troja und Mykenae gefundnen Goldsachen mit gleichen Funden
aus südrussischen Gräbern, die erweislich dem ersten Jahrhundert nach Christo
angehören, den Schluß gezogen, daß auch die mhkenischen und trojanischen Funde
nachchristlichen Ursprungs sind. Er glaubt, daß die Heruler, die sich längere
Zeit im südlichen Rußland angesiedelt hatten und im Jahre 267 n. Chr, einen
Raubzug nach Kleinasien und Griecheisland, auf welchem sie auch die Troas
berührten, unternahmen, diese Schätze in Mykenae, wo sie ihre gestorbnen oder
im Kampfe gefallnen Krieger begruben, in Troja, wo sie vielleicht von den Ein¬
wohnern überfallen wurden und in der Eile den großen Schatz, der, wie sich
aus den vorgefundnen Spuren erkennen läßt, in eine Kiste verpackt war, nicht
mitnehmen konnten, zurückgelassen haben. Die Stephanischc Hypothese hat begreif¬
licherweise den Zorn des Herrn Schliemann ganz gewaltig erregt, und es entspann
sich infolge dessen in russischen Blättern eine lange Polemik, in deren Verlauf
Herr Schliemann an die Stelle seines sonstigen „liebenswürdigen Enthusiasmus"
einen recht unangenehmen Fanatismus treten ließ.

Wir wollen uns hier nicht mit der Frage beschäftigen, inwieweit die Hypo¬
these des Petersburger Gelehrten begründet ist. Es kommt uns hier nur daraus
an, ein übersichtliches Resums über den gegenwärtigen Stand der Trojafrage zu
geben, welches zur vorläufigen Orientirung dienen soll, ehe wir uns auf Grund
eigner Anschauung mit den Schliemannschen Fundgegenstünden selbst beschäftigen.
Zu diesem Zwecke sei auch noch eine andre Meinung erwähnt, die, wenn ich mich
recht erinnere, besonders von Ernst Curtius vertreten wird und derzufolge die
meisten der Thon- und Goldgegcnstände auf die gallische Invasion Kleinasiens
im dritten Jahrhundert vor Chr., also auch auf spätern barbarischen Ursprung
zurückgeführt werden.


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[0532] Schliemcmns Ilios, fangen phönizischer Schiffe beschäftigten, welche in der grauen Vorzeit bekanntlich — mittelst Küstenfahrt — den Zwischenhandel zwischen dem astatischen Osten und den Küstenstüdten Griechenlands besorgten, Geben uns die Herren Virchow und Schliemann aber erst einmal das Recht, in den auf Hissarlik gefundnen Goldschätzen Beutestücke zu sehen, so haben sie damit der Conjectur einen sehr weiten Spielraum gelassen. Es liegt dann gar nicht mehr die Nothwendigkeit vor, daß diese Goldgegcnstände, mögen sie nun von den Bewohner» Hissarliks auf dem Wege des Handels oder dem des Seeraubs zusammengebracht sein, in derjenigen Zeit erworben und später vergraben worden sind, deren Kunstcharakter sie hinsichtlich der Form und der Ornamentik an sich tragen. Wie wenig gerade die Ornamente für die chronologische Bestimmung der Goldgefäße u. s. w. ma߬ gebend sind, beweist der von dem Petersburger Archäologen Stephani gegen Schliemann gemachte Einwurf, Stephani hat nämlich aus einer auffälligen Ver¬ wandtschaft der in Troja und Mykenae gefundnen Goldsachen mit gleichen Funden aus südrussischen Gräbern, die erweislich dem ersten Jahrhundert nach Christo angehören, den Schluß gezogen, daß auch die mhkenischen und trojanischen Funde nachchristlichen Ursprungs sind. Er glaubt, daß die Heruler, die sich längere Zeit im südlichen Rußland angesiedelt hatten und im Jahre 267 n. Chr, einen Raubzug nach Kleinasien und Griecheisland, auf welchem sie auch die Troas berührten, unternahmen, diese Schätze in Mykenae, wo sie ihre gestorbnen oder im Kampfe gefallnen Krieger begruben, in Troja, wo sie vielleicht von den Ein¬ wohnern überfallen wurden und in der Eile den großen Schatz, der, wie sich aus den vorgefundnen Spuren erkennen läßt, in eine Kiste verpackt war, nicht mitnehmen konnten, zurückgelassen haben. Die Stephanischc Hypothese hat begreif¬ licherweise den Zorn des Herrn Schliemann ganz gewaltig erregt, und es entspann sich infolge dessen in russischen Blättern eine lange Polemik, in deren Verlauf Herr Schliemann an die Stelle seines sonstigen „liebenswürdigen Enthusiasmus" einen recht unangenehmen Fanatismus treten ließ. Wir wollen uns hier nicht mit der Frage beschäftigen, inwieweit die Hypo¬ these des Petersburger Gelehrten begründet ist. Es kommt uns hier nur daraus an, ein übersichtliches Resums über den gegenwärtigen Stand der Trojafrage zu geben, welches zur vorläufigen Orientirung dienen soll, ehe wir uns auf Grund eigner Anschauung mit den Schliemannschen Fundgegenstünden selbst beschäftigen. Zu diesem Zwecke sei auch noch eine andre Meinung erwähnt, die, wenn ich mich recht erinnere, besonders von Ernst Curtius vertreten wird und derzufolge die meisten der Thon- und Goldgegcnstände auf die gallische Invasion Kleinasiens im dritten Jahrhundert vor Chr., also auch auf spätern barbarischen Ursprung zurückgeführt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/532>, abgerufen am 27.12.2024.