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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Altonglischc Dramatiker.

sammenhang ihrer Natur und ihrer Werke wissen. Ein hohes Interesse würde
schon das Leben der drei Dramatiker, die im "Altenglischcn Theater" als Re¬
präsentanten der Nachshakcspeareschcn Zeit auftrctein Webster, Fort und Mas-
siuger bei der hervorstechenden Eigenart ihrer Dichtung darbieten. Wie die
Dinge liegen, ist geringe Hoffnung vorhanden, daß wir über Notizen von Geburt,
Studiengang, literarischen Leistungen und Tod hinaus kommen, Notizen, die
nicht einmal vollständig sind. Gleich bei John Webster lassen sie uns gründlich
im Stiche, wir kennen weder sein Geburth- noch Todesjahr noch die Stellung,
die er im Leben bekleidete. Er nennt sich einen Aorolnuit tiülor und ist viel¬
leicht nur der Sohn eines solchen gewesen, er dichtet mit Dckter, Marston und
Rowley zusammen, seine hervorragendsten Werke aber, den "Weißen Teufel" und
viel später die Tragödien "Die Herzogin von Amalfi" und "Appius und Vir¬
ginia" verfaßt er allein. Es lebt in seinen Werken eine selbständige, aber zum
Düften und Gewaltsamen neigende Phantasie, er hat die tiefsten Blicke in die
Nacht der menschlichen Natur und in die dämonische Kraft der Sünde gethan.
"Seine Gedanken haben," wie es der französische Literarhistoriker Taine aus¬
drückt, "ihren Wohnsitz zwischen Gräbern und Beinhäusern aufgeschlagen. Die
Stellen bei Hofe, sagt er, gleichen den Betten in einem Hospital, der Kopf des
einen liegt neben des andern Füßen, und so geht es immer abwärts. Derlei
Gleichnisse sind sein Element; im Schildern von Schurken, Verzweifelnden,
wüthenden Misanthropen, im Darstellen der frechen Verwilderung und raffinirten
Grausamkeit, besonders der italienischen Sitten, ist er unerreicht." Wesentlich
anders stellt sich John Fort dar, der zwar auch gelegentlich grausige und vor¬
wiegend tragische Stoffe behandelt, aber dabei versteht, "den Gegensatz des Edlen,
Milden, Rührender, in welchem seine Stärke liegt," herauszuarbeiten. Die
Lebensumstände John Forts sind etwas klarer als diejenigen Websters. 1386
in Usington geboren, Angehöriger einer angesehncn Devonshircfamilie, hatte
er die Rechte studirt, scheint als Anwalt gelebt zu haben und wird wenigstens
nicht müde zu versichern, daß er die Poesie nur als Nebenbeschäftigung treibe.
Nachdem er schon 1606 mit einem dichterischen Erstlingswerke hervorgetreten,
schrieb er erst in den beiden Jahrzehnten nach Shakespeares Tode seine Haupt¬
werke, "Die Hexe vou Edmvnton," "Das gebrochne Herz," "Giovanni und Anna¬
bella" (lis xii? sluz's s. vlroro) und "Perkin Warbck", letztres nicht in Bezug
auf deu Farbenreichthum und den Glanz einzelner Scenen, aber als Gesammt-
composition und nach der Seite der Charakteristik seine beste Leistung. Mit
Recht hebt der deutsche Uebersetzer in seiner Einleitung hervor, daß sich dies
Drama durch seine Form und Compositionsweisc, durch die glückliche Verbindung
des historisch-politischen Moments mit einem Familien- und Hcrzcnsinteresse dem


Altonglischc Dramatiker.

sammenhang ihrer Natur und ihrer Werke wissen. Ein hohes Interesse würde
schon das Leben der drei Dramatiker, die im „Altenglischcn Theater" als Re¬
präsentanten der Nachshakcspeareschcn Zeit auftrctein Webster, Fort und Mas-
siuger bei der hervorstechenden Eigenart ihrer Dichtung darbieten. Wie die
Dinge liegen, ist geringe Hoffnung vorhanden, daß wir über Notizen von Geburt,
Studiengang, literarischen Leistungen und Tod hinaus kommen, Notizen, die
nicht einmal vollständig sind. Gleich bei John Webster lassen sie uns gründlich
im Stiche, wir kennen weder sein Geburth- noch Todesjahr noch die Stellung,
die er im Leben bekleidete. Er nennt sich einen Aorolnuit tiülor und ist viel¬
leicht nur der Sohn eines solchen gewesen, er dichtet mit Dckter, Marston und
Rowley zusammen, seine hervorragendsten Werke aber, den „Weißen Teufel" und
viel später die Tragödien „Die Herzogin von Amalfi" und „Appius und Vir¬
ginia" verfaßt er allein. Es lebt in seinen Werken eine selbständige, aber zum
Düften und Gewaltsamen neigende Phantasie, er hat die tiefsten Blicke in die
Nacht der menschlichen Natur und in die dämonische Kraft der Sünde gethan.
„Seine Gedanken haben," wie es der französische Literarhistoriker Taine aus¬
drückt, „ihren Wohnsitz zwischen Gräbern und Beinhäusern aufgeschlagen. Die
Stellen bei Hofe, sagt er, gleichen den Betten in einem Hospital, der Kopf des
einen liegt neben des andern Füßen, und so geht es immer abwärts. Derlei
Gleichnisse sind sein Element; im Schildern von Schurken, Verzweifelnden,
wüthenden Misanthropen, im Darstellen der frechen Verwilderung und raffinirten
Grausamkeit, besonders der italienischen Sitten, ist er unerreicht." Wesentlich
anders stellt sich John Fort dar, der zwar auch gelegentlich grausige und vor¬
wiegend tragische Stoffe behandelt, aber dabei versteht, „den Gegensatz des Edlen,
Milden, Rührender, in welchem seine Stärke liegt," herauszuarbeiten. Die
Lebensumstände John Forts sind etwas klarer als diejenigen Websters. 1386
in Usington geboren, Angehöriger einer angesehncn Devonshircfamilie, hatte
er die Rechte studirt, scheint als Anwalt gelebt zu haben und wird wenigstens
nicht müde zu versichern, daß er die Poesie nur als Nebenbeschäftigung treibe.
Nachdem er schon 1606 mit einem dichterischen Erstlingswerke hervorgetreten,
schrieb er erst in den beiden Jahrzehnten nach Shakespeares Tode seine Haupt¬
werke, „Die Hexe vou Edmvnton," „Das gebrochne Herz," „Giovanni und Anna¬
bella" (lis xii? sluz's s. vlroro) und „Perkin Warbck", letztres nicht in Bezug
auf deu Farbenreichthum und den Glanz einzelner Scenen, aber als Gesammt-
composition und nach der Seite der Charakteristik seine beste Leistung. Mit
Recht hebt der deutsche Uebersetzer in seiner Einleitung hervor, daß sich dies
Drama durch seine Form und Compositionsweisc, durch die glückliche Verbindung
des historisch-politischen Moments mit einem Familien- und Hcrzcnsinteresse dem


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[0522] Altonglischc Dramatiker. sammenhang ihrer Natur und ihrer Werke wissen. Ein hohes Interesse würde schon das Leben der drei Dramatiker, die im „Altenglischcn Theater" als Re¬ präsentanten der Nachshakcspeareschcn Zeit auftrctein Webster, Fort und Mas- siuger bei der hervorstechenden Eigenart ihrer Dichtung darbieten. Wie die Dinge liegen, ist geringe Hoffnung vorhanden, daß wir über Notizen von Geburt, Studiengang, literarischen Leistungen und Tod hinaus kommen, Notizen, die nicht einmal vollständig sind. Gleich bei John Webster lassen sie uns gründlich im Stiche, wir kennen weder sein Geburth- noch Todesjahr noch die Stellung, die er im Leben bekleidete. Er nennt sich einen Aorolnuit tiülor und ist viel¬ leicht nur der Sohn eines solchen gewesen, er dichtet mit Dckter, Marston und Rowley zusammen, seine hervorragendsten Werke aber, den „Weißen Teufel" und viel später die Tragödien „Die Herzogin von Amalfi" und „Appius und Vir¬ ginia" verfaßt er allein. Es lebt in seinen Werken eine selbständige, aber zum Düften und Gewaltsamen neigende Phantasie, er hat die tiefsten Blicke in die Nacht der menschlichen Natur und in die dämonische Kraft der Sünde gethan. „Seine Gedanken haben," wie es der französische Literarhistoriker Taine aus¬ drückt, „ihren Wohnsitz zwischen Gräbern und Beinhäusern aufgeschlagen. Die Stellen bei Hofe, sagt er, gleichen den Betten in einem Hospital, der Kopf des einen liegt neben des andern Füßen, und so geht es immer abwärts. Derlei Gleichnisse sind sein Element; im Schildern von Schurken, Verzweifelnden, wüthenden Misanthropen, im Darstellen der frechen Verwilderung und raffinirten Grausamkeit, besonders der italienischen Sitten, ist er unerreicht." Wesentlich anders stellt sich John Fort dar, der zwar auch gelegentlich grausige und vor¬ wiegend tragische Stoffe behandelt, aber dabei versteht, „den Gegensatz des Edlen, Milden, Rührender, in welchem seine Stärke liegt," herauszuarbeiten. Die Lebensumstände John Forts sind etwas klarer als diejenigen Websters. 1386 in Usington geboren, Angehöriger einer angesehncn Devonshircfamilie, hatte er die Rechte studirt, scheint als Anwalt gelebt zu haben und wird wenigstens nicht müde zu versichern, daß er die Poesie nur als Nebenbeschäftigung treibe. Nachdem er schon 1606 mit einem dichterischen Erstlingswerke hervorgetreten, schrieb er erst in den beiden Jahrzehnten nach Shakespeares Tode seine Haupt¬ werke, „Die Hexe vou Edmvnton," „Das gebrochne Herz," „Giovanni und Anna¬ bella" (lis xii? sluz's s. vlroro) und „Perkin Warbck", letztres nicht in Bezug auf deu Farbenreichthum und den Glanz einzelner Scenen, aber als Gesammt- composition und nach der Seite der Charakteristik seine beste Leistung. Mit Recht hebt der deutsche Uebersetzer in seiner Einleitung hervor, daß sich dies Drama durch seine Form und Compositionsweisc, durch die glückliche Verbindung des historisch-politischen Moments mit einem Familien- und Hcrzcnsinteresse dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/522>, abgerufen am 27.12.2024.