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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Altenglische Dramatiker.

Vorstellen, die Regel. Mit dem Satiriker Thackerah möchten wir annehmen, daß
die Dichter lauter geschrieen haben werden als die andern. Und die Männer
des 17. Jahrhunderts scheinen im großen und ganzen merkwürdig starke Nerven
besessen zu haben, ihre unsichre und bedrängte Lage hinderte sie offenbar weder
den Tag zu nutzen noch den Tag zu genießen.

Die biographischen Notizen über die dramatischen Dichter aus Shakespeares
Blüthezeit und die nach ihm aufgetauchten fließen gerade reichlich genug, um
erkennen zu lassen, daß in der zweiten und dritten Generation Männer des ver¬
schiedensten Herkommens und Gepräges und der verschiedensten äußern Lebens¬
lage die Bühne mit Stücken versorgten. Die Männer, die mit Ben Jonson in
der Taverne "Zur Meermaid" zechten, zeigen offenbar nur noch in einzelnen
Zügen das Gesicht der ersten Stürmer und Dränger, welche, um mit den Puri¬
tanern zu reden, mit Greeue blasphemirt und mit Marlowe gelöst hatten. Jene
ersten Repräsentanten der neuen dramatischen Dichtung waren fast ausnahmslos
junge, kaum von der Universität gekommene Magister, verdorbene Studenten, geniale
Autodidakten gewesen, die sich auf Leben und Tod in den Strudel des Londoner
Lebens gestürzt hatten und von dem Gedanken, die ganze Welt mit ihren Höhen
und Tiefen auf die Bretter zu bringen, gewaltig angezogen wurden. Aus ihrer
persönlich gefährdeten Existenz wie ans ihrer Beobachtung der Welt ging eine
düstre, zu Zeiten wild pessimistische Anschauung vom menschlichen Dasein über¬
haupt in ihre Dramen über, eine schaudernde Todesfurcht contrastirt mit der
Geringschätzung, welche sie im ganzen für die Erfahrungen des Lebens zeigen.
Wir wissen nicht, wie weit Shakespeare noch der Genosse des Lebens und Treibens
gewesen ist, ihre Kunstart aber wirkt in seinem "Titus Andronikus" unzweifel¬
haft nach. Hier -- wie fast in allen Werken der Vorläufer, einige Episoden
Marlowes und noch mehrere Greenes ausgenommen -- folgt Blutthat auf Blut¬
that, und die umgebenden Menschen nehmen dieselben (bis sie selbst unmittelbar
betroffen werden) wie etwas hin, das gleichsam natürlich und jedenfalls alltäglich
sei. Wie eine Erlösung, wie der Glanz und die Wärme einer Frühlingssonne,
welche mitten zwischen dunklen Wolken und wilden Güssen siegreich hindurchbricht,
muß die Verknüpfung der Begebenheiten, die Gestaltenzeichnung in Shakespeares
"Romeo und Julia," im "Kaufmann von Venedig," muß der phantasievolle Reiz
des "Sommernachtstraums" gewirkt haben. Natürlich verdrängten weder sie noch
die später" Meisterwerke Shakespeares die Dichtungen alten Stils auf der Stelle,
aber den Einwirkungen der erreichten Kunstvollendung Shakespeares und den¬
jenigen der bewußten literarischen Tendenzen und der scharfen Verständigkeit Ben
Jonsons entzogen sich die Dichter, die vom Beginn des 17. Jahrhunderts an
auftraten, nicht mehr. Der Leser vergleiche nur in Prölß' "Altcnglischcm


Altenglische Dramatiker.

Vorstellen, die Regel. Mit dem Satiriker Thackerah möchten wir annehmen, daß
die Dichter lauter geschrieen haben werden als die andern. Und die Männer
des 17. Jahrhunderts scheinen im großen und ganzen merkwürdig starke Nerven
besessen zu haben, ihre unsichre und bedrängte Lage hinderte sie offenbar weder
den Tag zu nutzen noch den Tag zu genießen.

Die biographischen Notizen über die dramatischen Dichter aus Shakespeares
Blüthezeit und die nach ihm aufgetauchten fließen gerade reichlich genug, um
erkennen zu lassen, daß in der zweiten und dritten Generation Männer des ver¬
schiedensten Herkommens und Gepräges und der verschiedensten äußern Lebens¬
lage die Bühne mit Stücken versorgten. Die Männer, die mit Ben Jonson in
der Taverne „Zur Meermaid" zechten, zeigen offenbar nur noch in einzelnen
Zügen das Gesicht der ersten Stürmer und Dränger, welche, um mit den Puri¬
tanern zu reden, mit Greeue blasphemirt und mit Marlowe gelöst hatten. Jene
ersten Repräsentanten der neuen dramatischen Dichtung waren fast ausnahmslos
junge, kaum von der Universität gekommene Magister, verdorbene Studenten, geniale
Autodidakten gewesen, die sich auf Leben und Tod in den Strudel des Londoner
Lebens gestürzt hatten und von dem Gedanken, die ganze Welt mit ihren Höhen
und Tiefen auf die Bretter zu bringen, gewaltig angezogen wurden. Aus ihrer
persönlich gefährdeten Existenz wie ans ihrer Beobachtung der Welt ging eine
düstre, zu Zeiten wild pessimistische Anschauung vom menschlichen Dasein über¬
haupt in ihre Dramen über, eine schaudernde Todesfurcht contrastirt mit der
Geringschätzung, welche sie im ganzen für die Erfahrungen des Lebens zeigen.
Wir wissen nicht, wie weit Shakespeare noch der Genosse des Lebens und Treibens
gewesen ist, ihre Kunstart aber wirkt in seinem „Titus Andronikus" unzweifel¬
haft nach. Hier — wie fast in allen Werken der Vorläufer, einige Episoden
Marlowes und noch mehrere Greenes ausgenommen — folgt Blutthat auf Blut¬
that, und die umgebenden Menschen nehmen dieselben (bis sie selbst unmittelbar
betroffen werden) wie etwas hin, das gleichsam natürlich und jedenfalls alltäglich
sei. Wie eine Erlösung, wie der Glanz und die Wärme einer Frühlingssonne,
welche mitten zwischen dunklen Wolken und wilden Güssen siegreich hindurchbricht,
muß die Verknüpfung der Begebenheiten, die Gestaltenzeichnung in Shakespeares
„Romeo und Julia," im „Kaufmann von Venedig," muß der phantasievolle Reiz
des „Sommernachtstraums" gewirkt haben. Natürlich verdrängten weder sie noch
die später» Meisterwerke Shakespeares die Dichtungen alten Stils auf der Stelle,
aber den Einwirkungen der erreichten Kunstvollendung Shakespeares und den¬
jenigen der bewußten literarischen Tendenzen und der scharfen Verständigkeit Ben
Jonsons entzogen sich die Dichter, die vom Beginn des 17. Jahrhunderts an
auftraten, nicht mehr. Der Leser vergleiche nur in Prölß' „Altcnglischcm


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[0520] Altenglische Dramatiker. Vorstellen, die Regel. Mit dem Satiriker Thackerah möchten wir annehmen, daß die Dichter lauter geschrieen haben werden als die andern. Und die Männer des 17. Jahrhunderts scheinen im großen und ganzen merkwürdig starke Nerven besessen zu haben, ihre unsichre und bedrängte Lage hinderte sie offenbar weder den Tag zu nutzen noch den Tag zu genießen. Die biographischen Notizen über die dramatischen Dichter aus Shakespeares Blüthezeit und die nach ihm aufgetauchten fließen gerade reichlich genug, um erkennen zu lassen, daß in der zweiten und dritten Generation Männer des ver¬ schiedensten Herkommens und Gepräges und der verschiedensten äußern Lebens¬ lage die Bühne mit Stücken versorgten. Die Männer, die mit Ben Jonson in der Taverne „Zur Meermaid" zechten, zeigen offenbar nur noch in einzelnen Zügen das Gesicht der ersten Stürmer und Dränger, welche, um mit den Puri¬ tanern zu reden, mit Greeue blasphemirt und mit Marlowe gelöst hatten. Jene ersten Repräsentanten der neuen dramatischen Dichtung waren fast ausnahmslos junge, kaum von der Universität gekommene Magister, verdorbene Studenten, geniale Autodidakten gewesen, die sich auf Leben und Tod in den Strudel des Londoner Lebens gestürzt hatten und von dem Gedanken, die ganze Welt mit ihren Höhen und Tiefen auf die Bretter zu bringen, gewaltig angezogen wurden. Aus ihrer persönlich gefährdeten Existenz wie ans ihrer Beobachtung der Welt ging eine düstre, zu Zeiten wild pessimistische Anschauung vom menschlichen Dasein über¬ haupt in ihre Dramen über, eine schaudernde Todesfurcht contrastirt mit der Geringschätzung, welche sie im ganzen für die Erfahrungen des Lebens zeigen. Wir wissen nicht, wie weit Shakespeare noch der Genosse des Lebens und Treibens gewesen ist, ihre Kunstart aber wirkt in seinem „Titus Andronikus" unzweifel¬ haft nach. Hier — wie fast in allen Werken der Vorläufer, einige Episoden Marlowes und noch mehrere Greenes ausgenommen — folgt Blutthat auf Blut¬ that, und die umgebenden Menschen nehmen dieselben (bis sie selbst unmittelbar betroffen werden) wie etwas hin, das gleichsam natürlich und jedenfalls alltäglich sei. Wie eine Erlösung, wie der Glanz und die Wärme einer Frühlingssonne, welche mitten zwischen dunklen Wolken und wilden Güssen siegreich hindurchbricht, muß die Verknüpfung der Begebenheiten, die Gestaltenzeichnung in Shakespeares „Romeo und Julia," im „Kaufmann von Venedig," muß der phantasievolle Reiz des „Sommernachtstraums" gewirkt haben. Natürlich verdrängten weder sie noch die später» Meisterwerke Shakespeares die Dichtungen alten Stils auf der Stelle, aber den Einwirkungen der erreichten Kunstvollendung Shakespeares und den¬ jenigen der bewußten literarischen Tendenzen und der scharfen Verständigkeit Ben Jonsons entzogen sich die Dichter, die vom Beginn des 17. Jahrhunderts an auftraten, nicht mehr. Der Leser vergleiche nur in Prölß' „Altcnglischcm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/520>, abgerufen am 29.12.2024.