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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Altonglischo Dramatiker.

Die Werke der sämmtlichen genannten Dramatiker zeigen in einer gewissen
Uiifertigkeit, in einer eigenthümlichen Mischung von poetischer Größe und geschmack¬
losen, unreifem Pathos, in stellenweisem Haften an der äußerlichen epischen Dar¬
stellungsweise des mittelalterlichen Dramas, die jeder dieser dramatischen Poeten
für sich, aus eigner Kraft und auf eigne Gefahr zu überwinden hatte, einen ge¬
meinsamen Typus. Die Lust an der rohen Kraft, die unverkennbare Theilnahme,
mit welcher alle diese Dichter bei den heftigsten Antrieben und Leidenschaften der
menschlichen Natur, den Lebensäußerungen eines Egoismus, welcher von keiner
Pflicht und keinem höhern Bewußtsein gezügelt wird, verweilen, das Schwelgen
in Brutalität, grausamen Thaten und noch grausamerer Rache für diese Thaten
war das Resultat ihrer Erinnerungen und Lebensbeobachtnngeu, Indem sie
ihre Blicke über den engen bürgerlichen Kreis hinaus richteten, in welchem sie
geboren und erzogen waren, sahen sie auf der Bühne der großen Welt Gräuel,
gehässige Triumphe und blutige Niederlagen. Ihr Publieum war daran gewöhnt,
daß in jedem großen Spiel Glück und Leben eingesetzt ward. Die ersten Dramen
von Kyd, Lodge und Marlvwe wurden geschrieben, bevor Maria Stuart ihr
Haupt auf deu Block in der Halle von Fotheringay legte oder bald nachdem
der offne und geheime Kampf um die englische Krone mit Marias Hinrichtung
geendet. Ein unbündiges Wagen und Treiben, in Schranken gehalten und zu
Zeiten erschreckt durch harte Gesetze und brutale Justiz, aber selten überwunden
durch edle innere Bildung, bot sich dem Blick an der Oberfläche des Lebens
und entsprach in seiner übertreibender Widerspiegelung auf der Bühne den Idealen
der schaulustigen, aetionslustigen Menge, welche die in London neuerrichteten
Theater füllte. Es bleibt mehr zu bewundern, wie rasch die ältesten Dramatiker
der neuen weltlichen Bühne andre und bessere Elemente in ihre Dramen auf¬
nahmen, als es zu verwundern ist, daß sie die bezeichneten Elemente in ihrer
Dichtung duldeten und walten ließen.

Obgleich uns die Persönlichkeiten dieser ältesten Dichter nur in flüchtigen
Umrissen gezeichnet werden, so sind sie uns doch als Gattung vertraut genug.
Es war, was man auch im einzelnen dagegen sagen und beibringen mag, eine
Generation von Wildlingen, die unter dem Fluche eiues Standes litt, den sie
erst zu rechtfertigen hatte und dem die öffentliche Meinung, auch wo sie nicht
von den zeternden Puritanern beeinflußt wurde, durchaus entgegentrat. So
vielfachen Irrthümern Rümelin in seinen bekannten "Shakespearcstudien eines
Realisten" erlegen sein mag, darin hat er unbedingt das Rechte getroffen,! daß
die ältesten Dramatiker im Anschluß an ihre Genossen, die Schauspieler der neuen
Bühne (oft waren sie ja beides zugleich!) ungefähr eine Stellung eingenommen
haben, wie Seiltänzer, Athleten und Kunstreiter in spätrer Zeit. Man interessirte


Altonglischo Dramatiker.

Die Werke der sämmtlichen genannten Dramatiker zeigen in einer gewissen
Uiifertigkeit, in einer eigenthümlichen Mischung von poetischer Größe und geschmack¬
losen, unreifem Pathos, in stellenweisem Haften an der äußerlichen epischen Dar¬
stellungsweise des mittelalterlichen Dramas, die jeder dieser dramatischen Poeten
für sich, aus eigner Kraft und auf eigne Gefahr zu überwinden hatte, einen ge¬
meinsamen Typus. Die Lust an der rohen Kraft, die unverkennbare Theilnahme,
mit welcher alle diese Dichter bei den heftigsten Antrieben und Leidenschaften der
menschlichen Natur, den Lebensäußerungen eines Egoismus, welcher von keiner
Pflicht und keinem höhern Bewußtsein gezügelt wird, verweilen, das Schwelgen
in Brutalität, grausamen Thaten und noch grausamerer Rache für diese Thaten
war das Resultat ihrer Erinnerungen und Lebensbeobachtnngeu, Indem sie
ihre Blicke über den engen bürgerlichen Kreis hinaus richteten, in welchem sie
geboren und erzogen waren, sahen sie auf der Bühne der großen Welt Gräuel,
gehässige Triumphe und blutige Niederlagen. Ihr Publieum war daran gewöhnt,
daß in jedem großen Spiel Glück und Leben eingesetzt ward. Die ersten Dramen
von Kyd, Lodge und Marlvwe wurden geschrieben, bevor Maria Stuart ihr
Haupt auf deu Block in der Halle von Fotheringay legte oder bald nachdem
der offne und geheime Kampf um die englische Krone mit Marias Hinrichtung
geendet. Ein unbündiges Wagen und Treiben, in Schranken gehalten und zu
Zeiten erschreckt durch harte Gesetze und brutale Justiz, aber selten überwunden
durch edle innere Bildung, bot sich dem Blick an der Oberfläche des Lebens
und entsprach in seiner übertreibender Widerspiegelung auf der Bühne den Idealen
der schaulustigen, aetionslustigen Menge, welche die in London neuerrichteten
Theater füllte. Es bleibt mehr zu bewundern, wie rasch die ältesten Dramatiker
der neuen weltlichen Bühne andre und bessere Elemente in ihre Dramen auf¬
nahmen, als es zu verwundern ist, daß sie die bezeichneten Elemente in ihrer
Dichtung duldeten und walten ließen.

Obgleich uns die Persönlichkeiten dieser ältesten Dichter nur in flüchtigen
Umrissen gezeichnet werden, so sind sie uns doch als Gattung vertraut genug.
Es war, was man auch im einzelnen dagegen sagen und beibringen mag, eine
Generation von Wildlingen, die unter dem Fluche eiues Standes litt, den sie
erst zu rechtfertigen hatte und dem die öffentliche Meinung, auch wo sie nicht
von den zeternden Puritanern beeinflußt wurde, durchaus entgegentrat. So
vielfachen Irrthümern Rümelin in seinen bekannten „Shakespearcstudien eines
Realisten" erlegen sein mag, darin hat er unbedingt das Rechte getroffen,! daß
die ältesten Dramatiker im Anschluß an ihre Genossen, die Schauspieler der neuen
Bühne (oft waren sie ja beides zugleich!) ungefähr eine Stellung eingenommen
haben, wie Seiltänzer, Athleten und Kunstreiter in spätrer Zeit. Man interessirte


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[0517] Altonglischo Dramatiker. Die Werke der sämmtlichen genannten Dramatiker zeigen in einer gewissen Uiifertigkeit, in einer eigenthümlichen Mischung von poetischer Größe und geschmack¬ losen, unreifem Pathos, in stellenweisem Haften an der äußerlichen epischen Dar¬ stellungsweise des mittelalterlichen Dramas, die jeder dieser dramatischen Poeten für sich, aus eigner Kraft und auf eigne Gefahr zu überwinden hatte, einen ge¬ meinsamen Typus. Die Lust an der rohen Kraft, die unverkennbare Theilnahme, mit welcher alle diese Dichter bei den heftigsten Antrieben und Leidenschaften der menschlichen Natur, den Lebensäußerungen eines Egoismus, welcher von keiner Pflicht und keinem höhern Bewußtsein gezügelt wird, verweilen, das Schwelgen in Brutalität, grausamen Thaten und noch grausamerer Rache für diese Thaten war das Resultat ihrer Erinnerungen und Lebensbeobachtnngeu, Indem sie ihre Blicke über den engen bürgerlichen Kreis hinaus richteten, in welchem sie geboren und erzogen waren, sahen sie auf der Bühne der großen Welt Gräuel, gehässige Triumphe und blutige Niederlagen. Ihr Publieum war daran gewöhnt, daß in jedem großen Spiel Glück und Leben eingesetzt ward. Die ersten Dramen von Kyd, Lodge und Marlvwe wurden geschrieben, bevor Maria Stuart ihr Haupt auf deu Block in der Halle von Fotheringay legte oder bald nachdem der offne und geheime Kampf um die englische Krone mit Marias Hinrichtung geendet. Ein unbündiges Wagen und Treiben, in Schranken gehalten und zu Zeiten erschreckt durch harte Gesetze und brutale Justiz, aber selten überwunden durch edle innere Bildung, bot sich dem Blick an der Oberfläche des Lebens und entsprach in seiner übertreibender Widerspiegelung auf der Bühne den Idealen der schaulustigen, aetionslustigen Menge, welche die in London neuerrichteten Theater füllte. Es bleibt mehr zu bewundern, wie rasch die ältesten Dramatiker der neuen weltlichen Bühne andre und bessere Elemente in ihre Dramen auf¬ nahmen, als es zu verwundern ist, daß sie die bezeichneten Elemente in ihrer Dichtung duldeten und walten ließen. Obgleich uns die Persönlichkeiten dieser ältesten Dichter nur in flüchtigen Umrissen gezeichnet werden, so sind sie uns doch als Gattung vertraut genug. Es war, was man auch im einzelnen dagegen sagen und beibringen mag, eine Generation von Wildlingen, die unter dem Fluche eiues Standes litt, den sie erst zu rechtfertigen hatte und dem die öffentliche Meinung, auch wo sie nicht von den zeternden Puritanern beeinflußt wurde, durchaus entgegentrat. So vielfachen Irrthümern Rümelin in seinen bekannten „Shakespearcstudien eines Realisten" erlegen sein mag, darin hat er unbedingt das Rechte getroffen,! daß die ältesten Dramatiker im Anschluß an ihre Genossen, die Schauspieler der neuen Bühne (oft waren sie ja beides zugleich!) ungefähr eine Stellung eingenommen haben, wie Seiltänzer, Athleten und Kunstreiter in spätrer Zeit. Man interessirte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/517>, abgerufen am 28.12.2024.