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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Aus den Lriimenmgen eines dänischen Staatsmannes.

eine grüne Kerze in der Hand, bedeckt mit einer gelben, spitzen, roth und schwarz
geringelten Mütze, auf der ihre Schuld der Gotteslästerung, Ketzerei, Heuchelei
und Schändung des Heiligsten angezeigt war. Dank der Herrschaft milderer Sitten
wurde sie nicht zum Feuertode, sondern nnr zu achtjährigen strengen Disciplinar-
Gefängniß und sechsjähriger Verbannung aus allen Aufenthaltsorten des Hofes
verurtheilt.

Im Juli 1806 wurde Rist von seinem Posten abberufen. Er hatte zuletzt
als Geschäftsträger während längerer Abwesenheit des Gesandten fungirt und
wurde nun in dieser Stellung nach London berufen. Ueber Lissabon, wo er einige
Zeit verweilte, begab er sich nach seinein Bestimmungsorte. Wie ganz anders
erschien ihm, was er hier fand, gegenüber den Erfahrungen, die er in Rußland
und Spanien gemacht hatte! Das öffentliche Leben der Engländer, die Ver¬
einigung von Ordnung und freier Bewegung erregte in ihm den Eindruck des
Großartigen und Erhebenden. Dagegen konnte das gesellige Leben ihn wenig an¬
ziehen. Es war, soweit die große Welt in Betracht kam, noch oberflächlicher,
als es überhaupt zu sein Pflegt. Alles drehte sich um Modesachen und Privat-
verhältnisse, und pedantische, anspruchsvolle Steifheit machte den Verkehr lästig.
Das Familienleben Englands blieb Rist verschlossen. "Das ganze gesellige Leben
der Engländer, sagt er, von dem Thürklopfer an, bis zu der Sitte, keine Dame
zu grüßen, ohne von ihr anerkannt, bemerkt zu werden, scheint darauf eingerichtet
und abgesehen, sich einander gegenseitig vom Leibe zu halten." Außer deu
Mvrgenbesuchen fand jede Zusammenkunft nur auf besondere Einladungen statt.
Selbst Geschwister, die verschiedne Häuser bewohnten, konnten nur angemeldet
oder gebeten sich des Abends besuchen. Eine ergötzliche Schilderung giebt uns
Rist von einem arg.vmA-room der .Königin. "Die Königin stand an einem
Spiegeltischchen, ohne Umgebung; in der wildesten Unordnung wälzte sich ein
Strom, von Herren und Damen gemischt, unwillkürlich vorwärts geschoben, gegen
sie hin, an ihr vorbei, in steter Gefahr sie umzustoßen. Da ächzten und schrieen
auch wohl die schönen Damen, vergebens von ihren weiten Reifröcken geschützt,
aus denen die geschmackvoll gezierte Büste, wie die Rose aus einem plumpen
Blumentopf, hervorragte. Da siel die Tochter der Herzogin von Gordon, einer
hastigen, geistreichen Fran, in Ohnmacht, und die Mutter ertheilte einem Gent¬
leman, der sie auffing und stützte, anßer einem Schwall böser Reden, eine derbe
Ohrfeige. Da galt kein Anstand, kein Ansehen der Person; sich retten und durch¬
dringen war die Losung. Es ist unmöglich, sich von dem Mangel an Schicklichkeit
und Anstand, der bei diesen, am hellen Tage gehaltenen Hvfgalas herrschte, noch
von dem ungeschlachten Wesen, dem linkischer Aussehen des Engländers im Feier¬
kleide und Haarbeutel eine Vorstellung zu machen."


Aus den Lriimenmgen eines dänischen Staatsmannes.

eine grüne Kerze in der Hand, bedeckt mit einer gelben, spitzen, roth und schwarz
geringelten Mütze, auf der ihre Schuld der Gotteslästerung, Ketzerei, Heuchelei
und Schändung des Heiligsten angezeigt war. Dank der Herrschaft milderer Sitten
wurde sie nicht zum Feuertode, sondern nnr zu achtjährigen strengen Disciplinar-
Gefängniß und sechsjähriger Verbannung aus allen Aufenthaltsorten des Hofes
verurtheilt.

Im Juli 1806 wurde Rist von seinem Posten abberufen. Er hatte zuletzt
als Geschäftsträger während längerer Abwesenheit des Gesandten fungirt und
wurde nun in dieser Stellung nach London berufen. Ueber Lissabon, wo er einige
Zeit verweilte, begab er sich nach seinein Bestimmungsorte. Wie ganz anders
erschien ihm, was er hier fand, gegenüber den Erfahrungen, die er in Rußland
und Spanien gemacht hatte! Das öffentliche Leben der Engländer, die Ver¬
einigung von Ordnung und freier Bewegung erregte in ihm den Eindruck des
Großartigen und Erhebenden. Dagegen konnte das gesellige Leben ihn wenig an¬
ziehen. Es war, soweit die große Welt in Betracht kam, noch oberflächlicher,
als es überhaupt zu sein Pflegt. Alles drehte sich um Modesachen und Privat-
verhältnisse, und pedantische, anspruchsvolle Steifheit machte den Verkehr lästig.
Das Familienleben Englands blieb Rist verschlossen. „Das ganze gesellige Leben
der Engländer, sagt er, von dem Thürklopfer an, bis zu der Sitte, keine Dame
zu grüßen, ohne von ihr anerkannt, bemerkt zu werden, scheint darauf eingerichtet
und abgesehen, sich einander gegenseitig vom Leibe zu halten." Außer deu
Mvrgenbesuchen fand jede Zusammenkunft nur auf besondere Einladungen statt.
Selbst Geschwister, die verschiedne Häuser bewohnten, konnten nur angemeldet
oder gebeten sich des Abends besuchen. Eine ergötzliche Schilderung giebt uns
Rist von einem arg.vmA-room der .Königin. „Die Königin stand an einem
Spiegeltischchen, ohne Umgebung; in der wildesten Unordnung wälzte sich ein
Strom, von Herren und Damen gemischt, unwillkürlich vorwärts geschoben, gegen
sie hin, an ihr vorbei, in steter Gefahr sie umzustoßen. Da ächzten und schrieen
auch wohl die schönen Damen, vergebens von ihren weiten Reifröcken geschützt,
aus denen die geschmackvoll gezierte Büste, wie die Rose aus einem plumpen
Blumentopf, hervorragte. Da siel die Tochter der Herzogin von Gordon, einer
hastigen, geistreichen Fran, in Ohnmacht, und die Mutter ertheilte einem Gent¬
leman, der sie auffing und stützte, anßer einem Schwall böser Reden, eine derbe
Ohrfeige. Da galt kein Anstand, kein Ansehen der Person; sich retten und durch¬
dringen war die Losung. Es ist unmöglich, sich von dem Mangel an Schicklichkeit
und Anstand, der bei diesen, am hellen Tage gehaltenen Hvfgalas herrschte, noch
von dem ungeschlachten Wesen, dem linkischer Aussehen des Engländers im Feier¬
kleide und Haarbeutel eine Vorstellung zu machen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/474>, abgerufen am 29.12.2024.