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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Aus den Lrinnenmgen eines dänischen Staatsmannes,

an Anmuth und Würde zu verbergen." Hatte Rist in Jena vor allem philo¬
sophischen Studien sich gewidmet, so suchte seine nicht auf die cibstraete Specu-
lation, sondern vielmehr auf das Reale und Concrete angelegte Natur in Kiel,
wo er die akademischen Studien vollendete, wieder den Zusammenhang mit dem
geschichtlichen Element zu gewinnen. Daneben beschäftigte er sich eifrig mit der
Lectüre der neuern deutschen Dichtung, besonders mit Wieland und Goethe,

Ein Ausflug nach Kopenhagen im Sommer 1797 brachte die entscheidende
Wendung im Leben Nists, Er wurde Privatseeretär des dänischen Ministers,
des Grafen Schimmelmann. Barthold Georg Niebuhr war sein Vorgänger
in dieser Stellung gewesen. Es war eine neue Welt, die sich hier dem jungen
Manne erschloß. Ans dem stillen, eng geschlossnen Kreise wissenschaftlicher Be¬
strebungen war er in die laute Wirklichkeit der öffentlichen Kämpfe und Be¬
wegungen getreten, und manche Blicke in die Ordnung und Verwaltung eines
einzelnen Staats sowie in die internationalen Beziehungen waren ihm gestattet.
Immer mehr gewann er das Vertrauen des Ministers, der sich über die zartesten
öffentlichen und Privatverhältnisse gegen ihn aussprach, ihm auch größere Aus¬
arbeitungen für den Staatsrath und den König auftrug.

Es waren ausgezeichnete Männer, die damals den leitenden Einfluß auf die
Angelegenheiten Dänemarks ausübten, ebenso hervorragend durch Adel der Ge¬
sinnung und ideales Streben, wie durch geistige Begabung: neben Graf Schimmel-
mann die Grafen Bernstorff, Rantzau, Reventlow, alle von den neuen Ideen der
Zeit erfüllt, mit großen Plänen der Volkserziehung und Volksbeglückung sich
tragend. "Nur zu sehr, sagt Rist, ging der für alles jugendliche und höher
zielende Streben so lebhaft empfängliche Graf (Schimmelmann) auf solche Ideen
ein, deren Ausmalung uns mehr als einen Abend verkürzt hat; man hätte mögen
glauben, und er selbst meinte wohl auch, er werde seine Portefeuilles eines schönen
Tages abliefern und mit uns zur Gründung eines schönen und freien Landbau-
und Erziehung-Vereins nach großem Maßstabe hinausziehen."

In der That, eine wohlwollendere Regierung konnte nicht gedacht werden.
Das Reformwerk, das Struensee gewaltsam und unbesonnen begonnen hatte, war
nach kurzer Reaction wieder aufgenommen und weiter geführt worden. Es be¬
zog sich in erster Linie auf die Bauern; am 20. Juni 1788 wurde die Leib¬
eigenschaft aufgehoben und für die Bildung der Befreiten durch Verbesserung des
Volksschulwesens gesorgt. Günstig waren auch die äußern Verhältnisse, da die
Neutralität Dänemarks in den Europa erschütternden Kriegen den aufblühenden
Handel schützte. Und doch mußten die öffentlichen Zustände Dänemarks die
ernstesten Besorgnisse erregen. Die Finanzen waren ungeordnet. Die Regierung
verfuhr, wie wohlwollend auch immer, doch eigenmächtig, mehr uach Billigkeit


Aus den Lrinnenmgen eines dänischen Staatsmannes,

an Anmuth und Würde zu verbergen." Hatte Rist in Jena vor allem philo¬
sophischen Studien sich gewidmet, so suchte seine nicht auf die cibstraete Specu-
lation, sondern vielmehr auf das Reale und Concrete angelegte Natur in Kiel,
wo er die akademischen Studien vollendete, wieder den Zusammenhang mit dem
geschichtlichen Element zu gewinnen. Daneben beschäftigte er sich eifrig mit der
Lectüre der neuern deutschen Dichtung, besonders mit Wieland und Goethe,

Ein Ausflug nach Kopenhagen im Sommer 1797 brachte die entscheidende
Wendung im Leben Nists, Er wurde Privatseeretär des dänischen Ministers,
des Grafen Schimmelmann. Barthold Georg Niebuhr war sein Vorgänger
in dieser Stellung gewesen. Es war eine neue Welt, die sich hier dem jungen
Manne erschloß. Ans dem stillen, eng geschlossnen Kreise wissenschaftlicher Be¬
strebungen war er in die laute Wirklichkeit der öffentlichen Kämpfe und Be¬
wegungen getreten, und manche Blicke in die Ordnung und Verwaltung eines
einzelnen Staats sowie in die internationalen Beziehungen waren ihm gestattet.
Immer mehr gewann er das Vertrauen des Ministers, der sich über die zartesten
öffentlichen und Privatverhältnisse gegen ihn aussprach, ihm auch größere Aus¬
arbeitungen für den Staatsrath und den König auftrug.

Es waren ausgezeichnete Männer, die damals den leitenden Einfluß auf die
Angelegenheiten Dänemarks ausübten, ebenso hervorragend durch Adel der Ge¬
sinnung und ideales Streben, wie durch geistige Begabung: neben Graf Schimmel-
mann die Grafen Bernstorff, Rantzau, Reventlow, alle von den neuen Ideen der
Zeit erfüllt, mit großen Plänen der Volkserziehung und Volksbeglückung sich
tragend. „Nur zu sehr, sagt Rist, ging der für alles jugendliche und höher
zielende Streben so lebhaft empfängliche Graf (Schimmelmann) auf solche Ideen
ein, deren Ausmalung uns mehr als einen Abend verkürzt hat; man hätte mögen
glauben, und er selbst meinte wohl auch, er werde seine Portefeuilles eines schönen
Tages abliefern und mit uns zur Gründung eines schönen und freien Landbau-
und Erziehung-Vereins nach großem Maßstabe hinausziehen."

In der That, eine wohlwollendere Regierung konnte nicht gedacht werden.
Das Reformwerk, das Struensee gewaltsam und unbesonnen begonnen hatte, war
nach kurzer Reaction wieder aufgenommen und weiter geführt worden. Es be¬
zog sich in erster Linie auf die Bauern; am 20. Juni 1788 wurde die Leib¬
eigenschaft aufgehoben und für die Bildung der Befreiten durch Verbesserung des
Volksschulwesens gesorgt. Günstig waren auch die äußern Verhältnisse, da die
Neutralität Dänemarks in den Europa erschütternden Kriegen den aufblühenden
Handel schützte. Und doch mußten die öffentlichen Zustände Dänemarks die
ernstesten Besorgnisse erregen. Die Finanzen waren ungeordnet. Die Regierung
verfuhr, wie wohlwollend auch immer, doch eigenmächtig, mehr uach Billigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/470>, abgerufen am 28.12.2024.