Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance, An Ruf zunächst kam diesem Gedicht, das- eine ungeheure Zahl von Auf- Indem wir uns nunmehr der Betrachtung des gleichzeitigen italienischen Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance, An Ruf zunächst kam diesem Gedicht, das- eine ungeheure Zahl von Auf- Indem wir uns nunmehr der Betrachtung des gleichzeitigen italienischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149418"/> <fw type="header" place="top"> Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1183"> An Ruf zunächst kam diesem Gedicht, das- eine ungeheure Zahl von Auf-<lb/> lagen erlebte und zu verschiednen Malen commentirt wurde, die ebenfalls auf<lb/> Leos Anregung entstandene „Christiade" des Girolamo Vida, die an poetischem<lb/> Gehalt dem Werke Sannazars fast überlegen ist. Die grandiose Schilderung<lb/> des höllischen Rathes hielt selbst Tasso für würdig, sie fast wörtlich übersetzt<lb/> seinem „Befreiten Jerusalem" einzuverleiben. Daß Vida über eigene Phantasie ge¬<lb/> bietet, zeigt sich in Fällen, wo der biblische Bericht schweigt, wie bei der Erzählung<lb/> von der Ehebrecherin, deren äußeres und inneres Leben in meisterhaften Zügen<lb/> entwickelt wird, oder bei der Schilderung des Traumes, dnrch den die Gattin<lb/> des Pilatus erschreckt wird. Daneben finden sich freilich einzelne bedenkliche<lb/> Mißgriffe, wie die fo ganz am unrechten Orte eingeflochtene lange Erzählung<lb/> der Lebensgeschichte Christi, die Pilatus, von den Juden zur Fällung des Ur¬<lb/> theils gedrängt, nichtsdestoweniger geduldig anhört. Für deutsche Leser sind<lb/> Stellen wie die Versuchung des Judas durch ihre Aehnlichkeit mit Klopstocks<lb/> Messiade von besonderm Interesse, Anhangsweise möge noch der „Sarca" des<lb/> Cardinals Bembo, obwohl dem Inhalt nach ebensowohl der Idylle wie dem Epos<lb/> angehörig, hier Erwähnung finden, der in classischen Hexametern die Vermählung<lb/> jenes Flußgotts mit der Nymphe Garda schildert und die Seherin Mento den<lb/> einstigen Ruhm des Virgil aufs schwunghafteste prophezeien läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1184" next="#ID_1185"> Indem wir uns nunmehr der Betrachtung des gleichzeitigen italienischen<lb/> Dramas zuwenden, betreten wir ein Gebiet, aus welchem sich fast ausschließlich<lb/> die gelehrte Bildung thätig und herrschend zeigt. Es ist nicht zu entscheiden,<lb/> wie sich die dramatische Kunst in Italien entfaltet haben würde, wenn sie, wie<lb/> die griechische, ans nationalen Elementen hervorgegangen wäre. Die kirchlichen<lb/> Mysterien, in denen man oft den Ausgangspunkt des italienischen Dramas hat<lb/> erblicken wollen, lassen thatsächlich einen innern Zusammenhang mit dem kunst¬<lb/> mäßigen Drama, wie es sich im 15. Jahrhundert auszubilden begann, nicht er¬<lb/> kennen. Das Drama der Renaissance ist keine Frucht eines auf nationaler Grund¬<lb/> lage vollzvgnen künstlerischen Entwicklungsprozesses, sondern vielmehr eine Anleihe<lb/> von einer fremden, abgeschlossen vorliegenden Culturepvche, dem classischen Alter¬<lb/> thum. Das Studium desselben hatte bereits im 15. Jahrhundert das Verlangen<lb/> erweckt, auch in dramatischen Dichtungen mit den Alten zu wetteifern, und eine<lb/> Reihe von Nachahmungen hervorgerufen, die bis über die Hälfte des Jahrhun¬<lb/> derts nur in lateinischer Sprache aufträte». Lag darin von vornherein eine<lb/> Emancipation von allem Volksthümlichen ausgesprochen, so war es nicht minder<lb/> verhängnißvoll, daß die dramatischen Regeln, anstatt sich allmählich aus der<lb/> dichterischen und scenischen Praxis zu ergeben, bereits fertig vorlagen und es<lb/> lediglich galt, die gewählten Stoffe denselben möglichst anzupassen. Man nahm</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0434]
Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,
An Ruf zunächst kam diesem Gedicht, das- eine ungeheure Zahl von Auf-
lagen erlebte und zu verschiednen Malen commentirt wurde, die ebenfalls auf
Leos Anregung entstandene „Christiade" des Girolamo Vida, die an poetischem
Gehalt dem Werke Sannazars fast überlegen ist. Die grandiose Schilderung
des höllischen Rathes hielt selbst Tasso für würdig, sie fast wörtlich übersetzt
seinem „Befreiten Jerusalem" einzuverleiben. Daß Vida über eigene Phantasie ge¬
bietet, zeigt sich in Fällen, wo der biblische Bericht schweigt, wie bei der Erzählung
von der Ehebrecherin, deren äußeres und inneres Leben in meisterhaften Zügen
entwickelt wird, oder bei der Schilderung des Traumes, dnrch den die Gattin
des Pilatus erschreckt wird. Daneben finden sich freilich einzelne bedenkliche
Mißgriffe, wie die fo ganz am unrechten Orte eingeflochtene lange Erzählung
der Lebensgeschichte Christi, die Pilatus, von den Juden zur Fällung des Ur¬
theils gedrängt, nichtsdestoweniger geduldig anhört. Für deutsche Leser sind
Stellen wie die Versuchung des Judas durch ihre Aehnlichkeit mit Klopstocks
Messiade von besonderm Interesse, Anhangsweise möge noch der „Sarca" des
Cardinals Bembo, obwohl dem Inhalt nach ebensowohl der Idylle wie dem Epos
angehörig, hier Erwähnung finden, der in classischen Hexametern die Vermählung
jenes Flußgotts mit der Nymphe Garda schildert und die Seherin Mento den
einstigen Ruhm des Virgil aufs schwunghafteste prophezeien läßt.
Indem wir uns nunmehr der Betrachtung des gleichzeitigen italienischen
Dramas zuwenden, betreten wir ein Gebiet, aus welchem sich fast ausschließlich
die gelehrte Bildung thätig und herrschend zeigt. Es ist nicht zu entscheiden,
wie sich die dramatische Kunst in Italien entfaltet haben würde, wenn sie, wie
die griechische, ans nationalen Elementen hervorgegangen wäre. Die kirchlichen
Mysterien, in denen man oft den Ausgangspunkt des italienischen Dramas hat
erblicken wollen, lassen thatsächlich einen innern Zusammenhang mit dem kunst¬
mäßigen Drama, wie es sich im 15. Jahrhundert auszubilden begann, nicht er¬
kennen. Das Drama der Renaissance ist keine Frucht eines auf nationaler Grund¬
lage vollzvgnen künstlerischen Entwicklungsprozesses, sondern vielmehr eine Anleihe
von einer fremden, abgeschlossen vorliegenden Culturepvche, dem classischen Alter¬
thum. Das Studium desselben hatte bereits im 15. Jahrhundert das Verlangen
erweckt, auch in dramatischen Dichtungen mit den Alten zu wetteifern, und eine
Reihe von Nachahmungen hervorgerufen, die bis über die Hälfte des Jahrhun¬
derts nur in lateinischer Sprache aufträte». Lag darin von vornherein eine
Emancipation von allem Volksthümlichen ausgesprochen, so war es nicht minder
verhängnißvoll, daß die dramatischen Regeln, anstatt sich allmählich aus der
dichterischen und scenischen Praxis zu ergeben, bereits fertig vorlagen und es
lediglich galt, die gewählten Stoffe denselben möglichst anzupassen. Man nahm
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |