Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance. einen so glanzvollen Aufschwung nahmen, die Nulgärsprache mehr und mehr an Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts regt sich von neuem die Liebe zur Namentlich mit Anbruch des 16. Jahrhunderts, in jener Zeit also, die für Mau hat oft den Mangel an schöpferischer Kraft hervorgehoben, der zu der Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance. einen so glanzvollen Aufschwung nahmen, die Nulgärsprache mehr und mehr an Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts regt sich von neuem die Liebe zur Namentlich mit Anbruch des 16. Jahrhunderts, in jener Zeit also, die für Mau hat oft den Mangel an schöpferischer Kraft hervorgehoben, der zu der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149410"/> <fw type="header" place="top"> Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1159" prev="#ID_1158"> einen so glanzvollen Aufschwung nahmen, die Nulgärsprache mehr und mehr an<lb/> Ansehen. In lateinischen Gesängen mit den Alten mit den Preis zu ringen, wie<lb/> es Filelfo, ein zweiter Virgil in den Augen der Zeitgenossen, in seiner „Sforziade"<lb/> und Beceadelli in seinem berühmten „Hermaphrvditus" in formaler Hinsicht mit<lb/> erstaunlichem Geschick unternahm, Stil und Ton der lateinischen Elegiker so getreu<lb/> innezuhalten, daß selbst der vertrauteste Kenner hier ein ovidisches, dort ein<lb/> eatullischcs Poem vor sich zu haben meinte, das war das Ziel der gelehrten<lb/> Dichter, die von der festen Zuversicht auf Unsterblichkeit durchdrungen keine Ahnung<lb/> hatten, daß einer Poesie, die ausschließlich in der Vergangenheit wurzelt und sich<lb/> vornehm von der lebendigen Gegenwart abwendet, keine Zukunft blühen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1160"> Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts regt sich von neuem die Liebe zur<lb/> heimischen Dichtung. Das romantische Epos fand in dem Grafen von Seandiano<lb/> einen eben so begeisterten wie wohlgerüsteten Bahnbrecherz die „Areadia" des<lb/> Neapolitaners Sannazaro zeigte durch die bestrickende Zartheit ihrer Schilde¬<lb/> rungen und die vollendete Musik ihrer Verse, wessen die italienische Sprache<lb/> fähig war, und Angelo Poliziano gab in seinem schon erwähnten „Orfeo" das<lb/> erste Beispiel einer kunstvollen, wenn auch in engen Grenzen sich bewegenden<lb/> und noch stark lyrisch gefärbten italienischen Tragödie. Weit entfernt jedoch, der<lb/> nationalen Dichtung das Feld zu räumen, besteht die gelehrte Poesie daneben fort,<lb/> ja sie findet zum Theil unter denen, welchen die erstere die besten Leistungen dankte,<lb/> ihre bedeutendsten und gefeiertsten Vertreter, die sich selbst oft unähnlich genug<lb/> erscheinen, wenn man ihre Producte auf beiden Gebieten einander gegenüberstellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1161"> Namentlich mit Anbruch des 16. Jahrhunderts, in jener Zeit also, die für<lb/> die bildende Kunst deu Gipfel der Entwicklung bezeichnet, gewinnt die gelehrte<lb/> Dichtung — unter der wir nicht etwa bloß die in lateinischen Gewände auf¬<lb/> tretende, sondern auch die italienische, soweit sie in den Händen der Gelehrten<lb/> war, zu verstehen haben — mächtig an Ansehen und Umfang. Leo X. setzte<lb/> seinen Stolz darein, die Zierden der Literatur wie der Kunst an seinem glän¬<lb/> zenden Hofe zu vereinigen; zahlreiche Dichterakademien verbreiteten das Interesse<lb/> an der Poesie, wenn sie auch der Entwicklung derselben ungleich mehr Schaden<lb/> als Vortheil brachten, indem sie sich vermaßen, diese freieste aller Künste nach<lb/> rohen, pedantischen Formeln zu lehren und ebenso dem geistlosen Dilettantismus<lb/> wie einer schnellfertigen und oberflächlichen Kritik Vorschub leisteten. Daß das<lb/> Volk in seiner Gesammtheit solchen Bestrebungen fern blieb, kann nicht befremden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1162" next="#ID_1163"> Mau hat oft den Mangel an schöpferischer Kraft hervorgehoben, der zu der<lb/> Unzahl von Dichternamen, die Italien im 16. Jahrhundert auszuweisen hat, in<lb/> scharfem Widersprüche stehe. Dennoch finden sich fast innerhalb sämmtlicher<lb/> poetischer Gattungen Anläufe, die es in hohem Grade bedauern lassen, daß die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0426]
Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance.
einen so glanzvollen Aufschwung nahmen, die Nulgärsprache mehr und mehr an
Ansehen. In lateinischen Gesängen mit den Alten mit den Preis zu ringen, wie
es Filelfo, ein zweiter Virgil in den Augen der Zeitgenossen, in seiner „Sforziade"
und Beceadelli in seinem berühmten „Hermaphrvditus" in formaler Hinsicht mit
erstaunlichem Geschick unternahm, Stil und Ton der lateinischen Elegiker so getreu
innezuhalten, daß selbst der vertrauteste Kenner hier ein ovidisches, dort ein
eatullischcs Poem vor sich zu haben meinte, das war das Ziel der gelehrten
Dichter, die von der festen Zuversicht auf Unsterblichkeit durchdrungen keine Ahnung
hatten, daß einer Poesie, die ausschließlich in der Vergangenheit wurzelt und sich
vornehm von der lebendigen Gegenwart abwendet, keine Zukunft blühen kann.
Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts regt sich von neuem die Liebe zur
heimischen Dichtung. Das romantische Epos fand in dem Grafen von Seandiano
einen eben so begeisterten wie wohlgerüsteten Bahnbrecherz die „Areadia" des
Neapolitaners Sannazaro zeigte durch die bestrickende Zartheit ihrer Schilde¬
rungen und die vollendete Musik ihrer Verse, wessen die italienische Sprache
fähig war, und Angelo Poliziano gab in seinem schon erwähnten „Orfeo" das
erste Beispiel einer kunstvollen, wenn auch in engen Grenzen sich bewegenden
und noch stark lyrisch gefärbten italienischen Tragödie. Weit entfernt jedoch, der
nationalen Dichtung das Feld zu räumen, besteht die gelehrte Poesie daneben fort,
ja sie findet zum Theil unter denen, welchen die erstere die besten Leistungen dankte,
ihre bedeutendsten und gefeiertsten Vertreter, die sich selbst oft unähnlich genug
erscheinen, wenn man ihre Producte auf beiden Gebieten einander gegenüberstellt.
Namentlich mit Anbruch des 16. Jahrhunderts, in jener Zeit also, die für
die bildende Kunst deu Gipfel der Entwicklung bezeichnet, gewinnt die gelehrte
Dichtung — unter der wir nicht etwa bloß die in lateinischen Gewände auf¬
tretende, sondern auch die italienische, soweit sie in den Händen der Gelehrten
war, zu verstehen haben — mächtig an Ansehen und Umfang. Leo X. setzte
seinen Stolz darein, die Zierden der Literatur wie der Kunst an seinem glän¬
zenden Hofe zu vereinigen; zahlreiche Dichterakademien verbreiteten das Interesse
an der Poesie, wenn sie auch der Entwicklung derselben ungleich mehr Schaden
als Vortheil brachten, indem sie sich vermaßen, diese freieste aller Künste nach
rohen, pedantischen Formeln zu lehren und ebenso dem geistlosen Dilettantismus
wie einer schnellfertigen und oberflächlichen Kritik Vorschub leisteten. Daß das
Volk in seiner Gesammtheit solchen Bestrebungen fern blieb, kann nicht befremden.
Mau hat oft den Mangel an schöpferischer Kraft hervorgehoben, der zu der
Unzahl von Dichternamen, die Italien im 16. Jahrhundert auszuweisen hat, in
scharfem Widersprüche stehe. Dennoch finden sich fast innerhalb sämmtlicher
poetischer Gattungen Anläufe, die es in hohem Grade bedauern lassen, daß die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |