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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Gneisenau in den Jahren ^3^5 bis ^331^.

der Gesammtmasse der Nation, wodurch hauptsächlich nur unpraktische Gelehrte
und unruhige Advokaten !e. in die Versanunlung kommen würden; daß ferner,
bei aller Freiheit der Berathung dennoch dein König und seinen Ministern so
viel Macht verbleiben müsse, um den Staat, bei seiner gefährlichen Stellung
zwischen den großen Mächten, in achtbarer Stellung gegen das Ausland zu
erhalten und ferner zu entwickeln, denn wir in Preußen würden, bei einer so
demokratischen, stürmischen und gefahrvollen Konstitution wie die englische wahr¬
scheinlich zu Grunde gehen."

Als gegen die dreißiger Jahre hin revolutionäre Bewegungen fast alle
Staaten Europas durchzuckten, wurde sein Mißtrauen gegen den Liberalismus
immer größer. Hart urtheilt er über die Revolutionen in Spanien, Neapel
und Belgien und tadelt natürlich auch alle Wühlereien in Deutschland. Auch
die Uebertreibungen im Turnwesen wollten ihm wenig gefallen. "Das Turn¬
wesen," schreibt er, "hat zu meinem Leidwesen sein Wesen etwas zu weit ge¬
trieben. Gleichsam als ob Alles nur vorhanden wäre, um dem Turnwesen zu
dienen. So ist aber diese Classe von Leuten. In steten Uebertreibungen ver¬
schmähen sie das Erreichbare, um dem Phantastischen nachzujagen."

In den letzten Jahren seines Lebens zog sich Gneisenau, ungehalten über
die unerquicklichen politischen Kämpfe und die Art, wie auch sein Name oft
darin genannt wurde, fast ganz von der Politik zurück. "Ich will mich," heißt
es in dem Briefe an Gibsvne (Berlin, 2S. Febr. 1820), "auf meine Berufs¬
fragen, das heißt: die militärischen, beschränken, und die politischen nur insoweit
in das Auge fassen, als es meine Stellung im Staatsrath gebietet. Im steten
Widerspruch, sowohl mit der Kampzischen Partei als der der sogenannten hie¬
sigen Liberalen mich befindend, bin ich es überdrüssig, mich stets in Discussionen
gezogen und genannt zu sehen, meine Ansichten verstümmeln, in meine Reden
eine andere Auslegung bringen zu lassen, und nur Absichten und Pläne unter¬
legen zu lassen, die meinen Neigungen und Ueberzeugungen fremd sind. Somit
ist mein Wunsch, unberührt von den Streitigkeiten des Tages zu bleiben, wohl
sehr begründet, um so mehr, da der Streit beiderseits mit unredlichen Waffen
geführt wird."

Wir können diese Darstellung von dem Verhältniß Gneisenaus zu den wichtigsten
politischen Fragen jener Zeit nicht schließen, ohne der Bemerkungen zu gedenken,
die der General über einige Zeitgenossen machte, und die zwar selbstverständlich
nicht als endgiltige Urtheile aufzufassen sind, aber um ihres Urhebers willen
doch Beachtung verdienen.

Von Alexander I. sagt er (An Gibsone, 1818, S. 311): "Er ist ein arg¬
listiger Fürst, sucht zu täuschen und seine Rede ist nichts weiter als eine Coquetterie


Gneisenau in den Jahren ^3^5 bis ^331^.

der Gesammtmasse der Nation, wodurch hauptsächlich nur unpraktische Gelehrte
und unruhige Advokaten !e. in die Versanunlung kommen würden; daß ferner,
bei aller Freiheit der Berathung dennoch dein König und seinen Ministern so
viel Macht verbleiben müsse, um den Staat, bei seiner gefährlichen Stellung
zwischen den großen Mächten, in achtbarer Stellung gegen das Ausland zu
erhalten und ferner zu entwickeln, denn wir in Preußen würden, bei einer so
demokratischen, stürmischen und gefahrvollen Konstitution wie die englische wahr¬
scheinlich zu Grunde gehen."

Als gegen die dreißiger Jahre hin revolutionäre Bewegungen fast alle
Staaten Europas durchzuckten, wurde sein Mißtrauen gegen den Liberalismus
immer größer. Hart urtheilt er über die Revolutionen in Spanien, Neapel
und Belgien und tadelt natürlich auch alle Wühlereien in Deutschland. Auch
die Uebertreibungen im Turnwesen wollten ihm wenig gefallen. „Das Turn¬
wesen," schreibt er, „hat zu meinem Leidwesen sein Wesen etwas zu weit ge¬
trieben. Gleichsam als ob Alles nur vorhanden wäre, um dem Turnwesen zu
dienen. So ist aber diese Classe von Leuten. In steten Uebertreibungen ver¬
schmähen sie das Erreichbare, um dem Phantastischen nachzujagen."

In den letzten Jahren seines Lebens zog sich Gneisenau, ungehalten über
die unerquicklichen politischen Kämpfe und die Art, wie auch sein Name oft
darin genannt wurde, fast ganz von der Politik zurück. „Ich will mich," heißt
es in dem Briefe an Gibsvne (Berlin, 2S. Febr. 1820), „auf meine Berufs¬
fragen, das heißt: die militärischen, beschränken, und die politischen nur insoweit
in das Auge fassen, als es meine Stellung im Staatsrath gebietet. Im steten
Widerspruch, sowohl mit der Kampzischen Partei als der der sogenannten hie¬
sigen Liberalen mich befindend, bin ich es überdrüssig, mich stets in Discussionen
gezogen und genannt zu sehen, meine Ansichten verstümmeln, in meine Reden
eine andere Auslegung bringen zu lassen, und nur Absichten und Pläne unter¬
legen zu lassen, die meinen Neigungen und Ueberzeugungen fremd sind. Somit
ist mein Wunsch, unberührt von den Streitigkeiten des Tages zu bleiben, wohl
sehr begründet, um so mehr, da der Streit beiderseits mit unredlichen Waffen
geführt wird."

Wir können diese Darstellung von dem Verhältniß Gneisenaus zu den wichtigsten
politischen Fragen jener Zeit nicht schließen, ohne der Bemerkungen zu gedenken,
die der General über einige Zeitgenossen machte, und die zwar selbstverständlich
nicht als endgiltige Urtheile aufzufassen sind, aber um ihres Urhebers willen
doch Beachtung verdienen.

Von Alexander I. sagt er (An Gibsone, 1818, S. 311): „Er ist ein arg¬
listiger Fürst, sucht zu täuschen und seine Rede ist nichts weiter als eine Coquetterie


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[0403] Gneisenau in den Jahren ^3^5 bis ^331^. der Gesammtmasse der Nation, wodurch hauptsächlich nur unpraktische Gelehrte und unruhige Advokaten !e. in die Versanunlung kommen würden; daß ferner, bei aller Freiheit der Berathung dennoch dein König und seinen Ministern so viel Macht verbleiben müsse, um den Staat, bei seiner gefährlichen Stellung zwischen den großen Mächten, in achtbarer Stellung gegen das Ausland zu erhalten und ferner zu entwickeln, denn wir in Preußen würden, bei einer so demokratischen, stürmischen und gefahrvollen Konstitution wie die englische wahr¬ scheinlich zu Grunde gehen." Als gegen die dreißiger Jahre hin revolutionäre Bewegungen fast alle Staaten Europas durchzuckten, wurde sein Mißtrauen gegen den Liberalismus immer größer. Hart urtheilt er über die Revolutionen in Spanien, Neapel und Belgien und tadelt natürlich auch alle Wühlereien in Deutschland. Auch die Uebertreibungen im Turnwesen wollten ihm wenig gefallen. „Das Turn¬ wesen," schreibt er, „hat zu meinem Leidwesen sein Wesen etwas zu weit ge¬ trieben. Gleichsam als ob Alles nur vorhanden wäre, um dem Turnwesen zu dienen. So ist aber diese Classe von Leuten. In steten Uebertreibungen ver¬ schmähen sie das Erreichbare, um dem Phantastischen nachzujagen." In den letzten Jahren seines Lebens zog sich Gneisenau, ungehalten über die unerquicklichen politischen Kämpfe und die Art, wie auch sein Name oft darin genannt wurde, fast ganz von der Politik zurück. „Ich will mich," heißt es in dem Briefe an Gibsvne (Berlin, 2S. Febr. 1820), „auf meine Berufs¬ fragen, das heißt: die militärischen, beschränken, und die politischen nur insoweit in das Auge fassen, als es meine Stellung im Staatsrath gebietet. Im steten Widerspruch, sowohl mit der Kampzischen Partei als der der sogenannten hie¬ sigen Liberalen mich befindend, bin ich es überdrüssig, mich stets in Discussionen gezogen und genannt zu sehen, meine Ansichten verstümmeln, in meine Reden eine andere Auslegung bringen zu lassen, und nur Absichten und Pläne unter¬ legen zu lassen, die meinen Neigungen und Ueberzeugungen fremd sind. Somit ist mein Wunsch, unberührt von den Streitigkeiten des Tages zu bleiben, wohl sehr begründet, um so mehr, da der Streit beiderseits mit unredlichen Waffen geführt wird." Wir können diese Darstellung von dem Verhältniß Gneisenaus zu den wichtigsten politischen Fragen jener Zeit nicht schließen, ohne der Bemerkungen zu gedenken, die der General über einige Zeitgenossen machte, und die zwar selbstverständlich nicht als endgiltige Urtheile aufzufassen sind, aber um ihres Urhebers willen doch Beachtung verdienen. Von Alexander I. sagt er (An Gibsone, 1818, S. 311): „Er ist ein arg¬ listiger Fürst, sucht zu täuschen und seine Rede ist nichts weiter als eine Coquetterie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/403>, abgerufen am 28.12.2024.