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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Gneisenau in den Zähren ^8^5 bis ^33^.

ein praktischer Mittelweg, als ein selbständiges, eigenberechtigtcs Ideal wie etwa
bei Stein."

Nicht anders zeigt sich Gncisenaus Charakter in der Frage der deutschen
Einheit. Gehörte er auch der deutsch-nationalen Richtung an, so beschäftigte
er sich doch nie mit der Frage der deutschen Einigung, weil sie nie in das
Stadium einer großen praktischen Entscheidung trat, und wenn er in der preußischen
Verfassungsfrage einen Mittelweg einzunehmen suchte, so ist er in der deutschen
Frage, die der Praxis noch ferner lag, geradezu indifferent geblieben.

Daß Gneisenaus Briefe eine pessimistische Auffassung der damaligen Lage
des Staates zeigen, darf uns nicht wundern. Erst nach Ablauf einer sehr langen
Zeit trat es allmählich zu Tage, daß die preußische Regierung den ungemeinen
Schwierigkeiten gegenüber, die es zu bewältigen galt, damals im großen und
ganzen den richtigen Weg gegangen ist. "Die Sachen hier," schreibt er an
Clausewitz (Berlin, 7. April 1817), "liegen in einer tiefen Verderbtheit; die
Administration ist höchst schlecht, obgleich meist redliche Menschen darinnen sind.
Um fünfzig Procent wohlfeiler könnte man sie doppelt so gut haben, Stellen
sind in Menge geschaffen worden, um Familien sich zu verbinden." Und in
dem Briefe an Gruben (Berlin, 18. Dec. 1818) heißt es: "Unser Zustand ist
nicht erfreulich. Die Finanzen sind nicht geordnet, die Civilverwaltung ist so
verwickelt, so überladen und kostbar, daß die Geschäfte erlahmen, und die Kräfte
des Staates in unnützer Schreiberei aufgezehrt werden."

Man hoffte auf eine allgemeine Besserung durch eine Verfassung. Aber
"mit der Verfassung," liest man in dem Briefe an Clausewitz (Erdmannsdorf,
den 29. Sept. 1817) "ist es nicht einem Einzigen im Ministerio Ernst. Ver¬
heißen will man, Hinhalten, selbst täuschen, um Zeit zu gewinnen. Man fühlt
wohl, daß die Verständigen und Tüchtigen in der Nation eine gerechte Form
verlangen, unter welcher sie beherrscht sein wollen, und daß man der unzähligen
unausgeführten und halb wieder aufgehobenen Ministerial-Verfügungen endlich
überdrüssig ist und eine öffentliche Berathung über Gesetzvorschläge verlangt,
allein man hat tveder den Muth solche zuzugestehen noch solche zu verweigern."
Am ausführlichsten spricht sich der General in einem Briefe an die Prinzessin
Luise (Berlin, den 20. Nov. 1819) über die Verfassung aus. "Meine Haupt¬
grundsätze hierüber sind, daß eine Konstitution durchaus nur vom König als
ein Gnadengeschenk ausgehen müsse; daß eine Civilliste nicht stattfinden dürfe,
sondern der König seine Domänen als ein Privat-Eigenthum behalten müsse,
woraus er zu den Staatsbedürfnissen so viel als ihm genehm sei beitragen
könne; daß die Reichsstände nur aus den Provinzialständen gewählt werden
können, und zwar aus den verschiednen Ständen der Gesellschaft und nicht aus


Gneisenau in den Zähren ^8^5 bis ^33^.

ein praktischer Mittelweg, als ein selbständiges, eigenberechtigtcs Ideal wie etwa
bei Stein."

Nicht anders zeigt sich Gncisenaus Charakter in der Frage der deutschen
Einheit. Gehörte er auch der deutsch-nationalen Richtung an, so beschäftigte
er sich doch nie mit der Frage der deutschen Einigung, weil sie nie in das
Stadium einer großen praktischen Entscheidung trat, und wenn er in der preußischen
Verfassungsfrage einen Mittelweg einzunehmen suchte, so ist er in der deutschen
Frage, die der Praxis noch ferner lag, geradezu indifferent geblieben.

Daß Gneisenaus Briefe eine pessimistische Auffassung der damaligen Lage
des Staates zeigen, darf uns nicht wundern. Erst nach Ablauf einer sehr langen
Zeit trat es allmählich zu Tage, daß die preußische Regierung den ungemeinen
Schwierigkeiten gegenüber, die es zu bewältigen galt, damals im großen und
ganzen den richtigen Weg gegangen ist. „Die Sachen hier," schreibt er an
Clausewitz (Berlin, 7. April 1817), „liegen in einer tiefen Verderbtheit; die
Administration ist höchst schlecht, obgleich meist redliche Menschen darinnen sind.
Um fünfzig Procent wohlfeiler könnte man sie doppelt so gut haben, Stellen
sind in Menge geschaffen worden, um Familien sich zu verbinden." Und in
dem Briefe an Gruben (Berlin, 18. Dec. 1818) heißt es: „Unser Zustand ist
nicht erfreulich. Die Finanzen sind nicht geordnet, die Civilverwaltung ist so
verwickelt, so überladen und kostbar, daß die Geschäfte erlahmen, und die Kräfte
des Staates in unnützer Schreiberei aufgezehrt werden."

Man hoffte auf eine allgemeine Besserung durch eine Verfassung. Aber
„mit der Verfassung," liest man in dem Briefe an Clausewitz (Erdmannsdorf,
den 29. Sept. 1817) „ist es nicht einem Einzigen im Ministerio Ernst. Ver¬
heißen will man, Hinhalten, selbst täuschen, um Zeit zu gewinnen. Man fühlt
wohl, daß die Verständigen und Tüchtigen in der Nation eine gerechte Form
verlangen, unter welcher sie beherrscht sein wollen, und daß man der unzähligen
unausgeführten und halb wieder aufgehobenen Ministerial-Verfügungen endlich
überdrüssig ist und eine öffentliche Berathung über Gesetzvorschläge verlangt,
allein man hat tveder den Muth solche zuzugestehen noch solche zu verweigern."
Am ausführlichsten spricht sich der General in einem Briefe an die Prinzessin
Luise (Berlin, den 20. Nov. 1819) über die Verfassung aus. „Meine Haupt¬
grundsätze hierüber sind, daß eine Konstitution durchaus nur vom König als
ein Gnadengeschenk ausgehen müsse; daß eine Civilliste nicht stattfinden dürfe,
sondern der König seine Domänen als ein Privat-Eigenthum behalten müsse,
woraus er zu den Staatsbedürfnissen so viel als ihm genehm sei beitragen
könne; daß die Reichsstände nur aus den Provinzialständen gewählt werden
können, und zwar aus den verschiednen Ständen der Gesellschaft und nicht aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/402>, abgerufen am 27.12.2024.