Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur logischen Frage.

Satzes hat in seiner "Philosophie der Geschichte" (Leipzig, C, F. Fleischer, 1870)
diese ganze Lehre Hegels einer eingehenden Kritik und vollkommenem Weiter¬
führung zu unterwerfen versucht. Alles dieses waren immerhin großartige und
zum Theil auch fruchtbringende Bestrebungen eines idealistisch gedankcnmäßigen
Erkennens der Welt und ihrer Erscheinungen, Die entscheidende wissenschaftliche
Hauptfrage der Philosophie aber ist die nach der Natur und dein Wesen des
menschlichen Denkprineips, und in dieser Rücksicht muß die Logik Hegels immer
als der wichtigste und fundamentalste Theil seines Systems angesehen werden.

Die ganze Annahme einer objectiven Begriffs- oder Ideenwelt in Gestalt
eines logisch-metaphysischen Jenseits entbehrt als solche freilich einer jeden
genügenden wissenschaftlichen Basis oder Berechtigung. Was anßer uns liegt,
sind unmittelbar genommen nur Sachen und einzelne Realitäten. Der Begriff
als solcher aber hat eine Existenz nur in unserm Denken und nicht anßer uns
in der Welt der Sachen. Allerdings aber werden die Begriffe mit einer be¬
stimmten Notwendigkeit'durch uns ans den Erscheinungen der äußern Welt
gebildet oder abstrahirt. Sie sind insofern ihrem Stoffe oder ihrer Möglichkeit
nach auch an sich oder außer uns schou vorhanden, ehe sie der Wirklichkeit nach
von uns innerlich festgestellt oder gebildet werden. Unser Denken gewinnt seinen
ganzen Inhalt erst durch eine erkennende Beziehung oder einen eindringenden
Anschluß an die uns gegenüberstehende wirkliche Objectivität. Alles Denken des
menschlichen Geistes ist ein Streben nach Erkenntniß oder nach Einstimmigkeit
seines Inhalts mit dem geistigen Inhalte deS uns gegenüberstehenden Seins
oder der Welt. Es ist deswegen aber falsch, wenn von dem neuern Idealismus
ohne weiteres der Grundsatz von der einfachen Identität des innern Denkens
mit dem äußern Sein aufgestellt worden ist. Auch ist das menschliche Denken
ein nach Inhalt und Form mehr oder weniger anderes in jeder einzelnen Sprache,
und insbesondre sind alle die von Hegel als reine Wesenheiten des Seins hin¬
gestellten Begriffe unmittelbar genommen nichts als ein Complex von Worten
der deutschen Sprache, denen nicht ohne weiteres der Charakter von um sich all¬
gemeinen und nothwendigen Elementen oder Abstraktionen des Denkens zuge¬
schrieben werden darf. Die unmittelbare empirische Wirklichkeit des Denkens in der
Seele ist keine andere als diejenige in der Form der Sprache. Alle wissenschaft¬
liche Bearbeitung des Denkens hat daher nothwendig auch diese gegebene Gestalt oder
Form desselben in der Sprache mit in Betracht zu ziehen. Es giebt kein sogenanntes
reines oder absolutes Denken an sich, wie es von jener idealistischen Logik angenommen
oder vorausgesetzt wird, sondern das wirkliche Denken ist immer nur ein mehr
oder weniger vollkommner Versuch der Annäherung an die Erkenntniß des reinen
geistigen Wcscnsgehaltes der Dinge der Welt. Das Denken in allen seinen


Zur logischen Frage.

Satzes hat in seiner „Philosophie der Geschichte" (Leipzig, C, F. Fleischer, 1870)
diese ganze Lehre Hegels einer eingehenden Kritik und vollkommenem Weiter¬
führung zu unterwerfen versucht. Alles dieses waren immerhin großartige und
zum Theil auch fruchtbringende Bestrebungen eines idealistisch gedankcnmäßigen
Erkennens der Welt und ihrer Erscheinungen, Die entscheidende wissenschaftliche
Hauptfrage der Philosophie aber ist die nach der Natur und dein Wesen des
menschlichen Denkprineips, und in dieser Rücksicht muß die Logik Hegels immer
als der wichtigste und fundamentalste Theil seines Systems angesehen werden.

Die ganze Annahme einer objectiven Begriffs- oder Ideenwelt in Gestalt
eines logisch-metaphysischen Jenseits entbehrt als solche freilich einer jeden
genügenden wissenschaftlichen Basis oder Berechtigung. Was anßer uns liegt,
sind unmittelbar genommen nur Sachen und einzelne Realitäten. Der Begriff
als solcher aber hat eine Existenz nur in unserm Denken und nicht anßer uns
in der Welt der Sachen. Allerdings aber werden die Begriffe mit einer be¬
stimmten Notwendigkeit'durch uns ans den Erscheinungen der äußern Welt
gebildet oder abstrahirt. Sie sind insofern ihrem Stoffe oder ihrer Möglichkeit
nach auch an sich oder außer uns schou vorhanden, ehe sie der Wirklichkeit nach
von uns innerlich festgestellt oder gebildet werden. Unser Denken gewinnt seinen
ganzen Inhalt erst durch eine erkennende Beziehung oder einen eindringenden
Anschluß an die uns gegenüberstehende wirkliche Objectivität. Alles Denken des
menschlichen Geistes ist ein Streben nach Erkenntniß oder nach Einstimmigkeit
seines Inhalts mit dem geistigen Inhalte deS uns gegenüberstehenden Seins
oder der Welt. Es ist deswegen aber falsch, wenn von dem neuern Idealismus
ohne weiteres der Grundsatz von der einfachen Identität des innern Denkens
mit dem äußern Sein aufgestellt worden ist. Auch ist das menschliche Denken
ein nach Inhalt und Form mehr oder weniger anderes in jeder einzelnen Sprache,
und insbesondre sind alle die von Hegel als reine Wesenheiten des Seins hin¬
gestellten Begriffe unmittelbar genommen nichts als ein Complex von Worten
der deutschen Sprache, denen nicht ohne weiteres der Charakter von um sich all¬
gemeinen und nothwendigen Elementen oder Abstraktionen des Denkens zuge¬
schrieben werden darf. Die unmittelbare empirische Wirklichkeit des Denkens in der
Seele ist keine andere als diejenige in der Form der Sprache. Alle wissenschaft¬
liche Bearbeitung des Denkens hat daher nothwendig auch diese gegebene Gestalt oder
Form desselben in der Sprache mit in Betracht zu ziehen. Es giebt kein sogenanntes
reines oder absolutes Denken an sich, wie es von jener idealistischen Logik angenommen
oder vorausgesetzt wird, sondern das wirkliche Denken ist immer nur ein mehr
oder weniger vollkommner Versuch der Annäherung an die Erkenntniß des reinen
geistigen Wcscnsgehaltes der Dinge der Welt. Das Denken in allen seinen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149376"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur logischen Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1062" prev="#ID_1061"> Satzes hat in seiner &#x201E;Philosophie der Geschichte" (Leipzig, C, F. Fleischer, 1870)<lb/>
diese ganze Lehre Hegels einer eingehenden Kritik und vollkommenem Weiter¬<lb/>
führung zu unterwerfen versucht. Alles dieses waren immerhin großartige und<lb/>
zum Theil auch fruchtbringende Bestrebungen eines idealistisch gedankcnmäßigen<lb/>
Erkennens der Welt und ihrer Erscheinungen, Die entscheidende wissenschaftliche<lb/>
Hauptfrage der Philosophie aber ist die nach der Natur und dein Wesen des<lb/>
menschlichen Denkprineips, und in dieser Rücksicht muß die Logik Hegels immer<lb/>
als der wichtigste und fundamentalste Theil seines Systems angesehen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Die ganze Annahme einer objectiven Begriffs- oder Ideenwelt in Gestalt<lb/>
eines logisch-metaphysischen Jenseits entbehrt als solche freilich einer jeden<lb/>
genügenden wissenschaftlichen Basis oder Berechtigung. Was anßer uns liegt,<lb/>
sind unmittelbar genommen nur Sachen und einzelne Realitäten. Der Begriff<lb/>
als solcher aber hat eine Existenz nur in unserm Denken und nicht anßer uns<lb/>
in der Welt der Sachen. Allerdings aber werden die Begriffe mit einer be¬<lb/>
stimmten Notwendigkeit'durch uns ans den Erscheinungen der äußern Welt<lb/>
gebildet oder abstrahirt. Sie sind insofern ihrem Stoffe oder ihrer Möglichkeit<lb/>
nach auch an sich oder außer uns schou vorhanden, ehe sie der Wirklichkeit nach<lb/>
von uns innerlich festgestellt oder gebildet werden. Unser Denken gewinnt seinen<lb/>
ganzen Inhalt erst durch eine erkennende Beziehung oder einen eindringenden<lb/>
Anschluß an die uns gegenüberstehende wirkliche Objectivität. Alles Denken des<lb/>
menschlichen Geistes ist ein Streben nach Erkenntniß oder nach Einstimmigkeit<lb/>
seines Inhalts mit dem geistigen Inhalte deS uns gegenüberstehenden Seins<lb/>
oder der Welt. Es ist deswegen aber falsch, wenn von dem neuern Idealismus<lb/>
ohne weiteres der Grundsatz von der einfachen Identität des innern Denkens<lb/>
mit dem äußern Sein aufgestellt worden ist. Auch ist das menschliche Denken<lb/>
ein nach Inhalt und Form mehr oder weniger anderes in jeder einzelnen Sprache,<lb/>
und insbesondre sind alle die von Hegel als reine Wesenheiten des Seins hin¬<lb/>
gestellten Begriffe unmittelbar genommen nichts als ein Complex von Worten<lb/>
der deutschen Sprache, denen nicht ohne weiteres der Charakter von um sich all¬<lb/>
gemeinen und nothwendigen Elementen oder Abstraktionen des Denkens zuge¬<lb/>
schrieben werden darf. Die unmittelbare empirische Wirklichkeit des Denkens in der<lb/>
Seele ist keine andere als diejenige in der Form der Sprache. Alle wissenschaft¬<lb/>
liche Bearbeitung des Denkens hat daher nothwendig auch diese gegebene Gestalt oder<lb/>
Form desselben in der Sprache mit in Betracht zu ziehen. Es giebt kein sogenanntes<lb/>
reines oder absolutes Denken an sich, wie es von jener idealistischen Logik angenommen<lb/>
oder vorausgesetzt wird, sondern das wirkliche Denken ist immer nur ein mehr<lb/>
oder weniger vollkommner Versuch der Annäherung an die Erkenntniß des reinen<lb/>
geistigen Wcscnsgehaltes der Dinge der Welt. Das Denken in allen seinen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] Zur logischen Frage. Satzes hat in seiner „Philosophie der Geschichte" (Leipzig, C, F. Fleischer, 1870) diese ganze Lehre Hegels einer eingehenden Kritik und vollkommenem Weiter¬ führung zu unterwerfen versucht. Alles dieses waren immerhin großartige und zum Theil auch fruchtbringende Bestrebungen eines idealistisch gedankcnmäßigen Erkennens der Welt und ihrer Erscheinungen, Die entscheidende wissenschaftliche Hauptfrage der Philosophie aber ist die nach der Natur und dein Wesen des menschlichen Denkprineips, und in dieser Rücksicht muß die Logik Hegels immer als der wichtigste und fundamentalste Theil seines Systems angesehen werden. Die ganze Annahme einer objectiven Begriffs- oder Ideenwelt in Gestalt eines logisch-metaphysischen Jenseits entbehrt als solche freilich einer jeden genügenden wissenschaftlichen Basis oder Berechtigung. Was anßer uns liegt, sind unmittelbar genommen nur Sachen und einzelne Realitäten. Der Begriff als solcher aber hat eine Existenz nur in unserm Denken und nicht anßer uns in der Welt der Sachen. Allerdings aber werden die Begriffe mit einer be¬ stimmten Notwendigkeit'durch uns ans den Erscheinungen der äußern Welt gebildet oder abstrahirt. Sie sind insofern ihrem Stoffe oder ihrer Möglichkeit nach auch an sich oder außer uns schou vorhanden, ehe sie der Wirklichkeit nach von uns innerlich festgestellt oder gebildet werden. Unser Denken gewinnt seinen ganzen Inhalt erst durch eine erkennende Beziehung oder einen eindringenden Anschluß an die uns gegenüberstehende wirkliche Objectivität. Alles Denken des menschlichen Geistes ist ein Streben nach Erkenntniß oder nach Einstimmigkeit seines Inhalts mit dem geistigen Inhalte deS uns gegenüberstehenden Seins oder der Welt. Es ist deswegen aber falsch, wenn von dem neuern Idealismus ohne weiteres der Grundsatz von der einfachen Identität des innern Denkens mit dem äußern Sein aufgestellt worden ist. Auch ist das menschliche Denken ein nach Inhalt und Form mehr oder weniger anderes in jeder einzelnen Sprache, und insbesondre sind alle die von Hegel als reine Wesenheiten des Seins hin¬ gestellten Begriffe unmittelbar genommen nichts als ein Complex von Worten der deutschen Sprache, denen nicht ohne weiteres der Charakter von um sich all¬ gemeinen und nothwendigen Elementen oder Abstraktionen des Denkens zuge¬ schrieben werden darf. Die unmittelbare empirische Wirklichkeit des Denkens in der Seele ist keine andere als diejenige in der Form der Sprache. Alle wissenschaft¬ liche Bearbeitung des Denkens hat daher nothwendig auch diese gegebene Gestalt oder Form desselben in der Sprache mit in Betracht zu ziehen. Es giebt kein sogenanntes reines oder absolutes Denken an sich, wie es von jener idealistischen Logik angenommen oder vorausgesetzt wird, sondern das wirkliche Denken ist immer nur ein mehr oder weniger vollkommner Versuch der Annäherung an die Erkenntniß des reinen geistigen Wcscnsgehaltes der Dinge der Welt. Das Denken in allen seinen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/392>, abgerufen am 27.12.2024.