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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sächsische Roactionsgoliisto,

Millionen Preußen. Der König von Preußen ist in seinein eignen Lande ebenso
in seiner Souveränität durch den Bundesrath beschränkt wie die andern Fürsten,
er kann wider seinen Willen genöthigt werden, Gesetzen zuzustimmen, die er
nicht billigt °-- man denke an die Verlegung des Reichsgerichts nach Leipzig;
der Bundesrath regiert in Reichssachen über Preußen so gut wie über Sachsen.
Je lockrer das Bnndesverhältniß ist, je mehr Sachsen Sachsen für sich bleibt,
desto mehr wird auch Preußen Preußen bleiben, und desto mehr wird es als
solches ungebunden und in der Lage sein, Deutschland Gesetze ganz nach seinem
Bedarf und Willen zu geben, ohne daß es solche von den andern deutschen Staaten
zu empfangen braucht -- man erinnre sich an die Geschichte der Erneuerung
des Zollvereins Ende 1865.

Die Partieularisten machen den nationalen den echten Patriotismus streitig
und behaupten, allein den echten Ring der Vaterlandsliebe zu besitzen. Uns
erscheint das Reich einem wachsenden Organismus gleich; dieser hat sich zunächst
constituirt mit Haut und Knochen, indem er sich Festigkeit und Sicherheit nach
außen und innen gab; er hat sich weiter dnrch seine fvrtschreiteiide Gesetzgebinig
ein Nervensystem mit centralen Gehirn geschaffen und ist um eben daran, seine
Ernährung sicher zu stellen und die Circulation seiner Säftemassen zu reguliren,
indem er dem Blntlaufshstem ein centrales Herz verleiht. Ohne das kann kein
Organismus lebenskräftig bestehe", ohne das fällt er schwächlich auseinander.
Es giebt für die besondern innern Organe noch genug der wichtigsten Partien¬
laren Functionen.

Der Staatswagen des Reichs ist glücklich in Gang gebracht; der Reichs¬
kanzler soll die Rosse lenken. Da wollen ihm nun die Partieularisten die Hände
binden und ihm Kutscher nach ihrer Wahl auf den Bock setzen, die er nur
soll beaufsichtigen dürfen. Aber wir hoffen, der Kanzler ist noch Mannes genug,
sich nicht die Zügel ans der Hand winden zu lassen. Hat er doch eben erst
gesagt: "Ich werde nicht zurücktreten, ehe nicht der Kaiser mich zurücktreten
heißt; ich bin zu diesem Entschlüsse gekommen, nachdem ich gesehen, wer sich
über meinen Rücktritt freuen würde; da erst erkannte ich, daß und warum ich
aushalten muß, so lange meine Kräfte es zulassen."




Sächsische Roactionsgoliisto,

Millionen Preußen. Der König von Preußen ist in seinein eignen Lande ebenso
in seiner Souveränität durch den Bundesrath beschränkt wie die andern Fürsten,
er kann wider seinen Willen genöthigt werden, Gesetzen zuzustimmen, die er
nicht billigt °— man denke an die Verlegung des Reichsgerichts nach Leipzig;
der Bundesrath regiert in Reichssachen über Preußen so gut wie über Sachsen.
Je lockrer das Bnndesverhältniß ist, je mehr Sachsen Sachsen für sich bleibt,
desto mehr wird auch Preußen Preußen bleiben, und desto mehr wird es als
solches ungebunden und in der Lage sein, Deutschland Gesetze ganz nach seinem
Bedarf und Willen zu geben, ohne daß es solche von den andern deutschen Staaten
zu empfangen braucht — man erinnre sich an die Geschichte der Erneuerung
des Zollvereins Ende 1865.

Die Partieularisten machen den nationalen den echten Patriotismus streitig
und behaupten, allein den echten Ring der Vaterlandsliebe zu besitzen. Uns
erscheint das Reich einem wachsenden Organismus gleich; dieser hat sich zunächst
constituirt mit Haut und Knochen, indem er sich Festigkeit und Sicherheit nach
außen und innen gab; er hat sich weiter dnrch seine fvrtschreiteiide Gesetzgebinig
ein Nervensystem mit centralen Gehirn geschaffen und ist um eben daran, seine
Ernährung sicher zu stellen und die Circulation seiner Säftemassen zu reguliren,
indem er dem Blntlaufshstem ein centrales Herz verleiht. Ohne das kann kein
Organismus lebenskräftig bestehe», ohne das fällt er schwächlich auseinander.
Es giebt für die besondern innern Organe noch genug der wichtigsten Partien¬
laren Functionen.

Der Staatswagen des Reichs ist glücklich in Gang gebracht; der Reichs¬
kanzler soll die Rosse lenken. Da wollen ihm nun die Partieularisten die Hände
binden und ihm Kutscher nach ihrer Wahl auf den Bock setzen, die er nur
soll beaufsichtigen dürfen. Aber wir hoffen, der Kanzler ist noch Mannes genug,
sich nicht die Zügel ans der Hand winden zu lassen. Hat er doch eben erst
gesagt: „Ich werde nicht zurücktreten, ehe nicht der Kaiser mich zurücktreten
heißt; ich bin zu diesem Entschlüsse gekommen, nachdem ich gesehen, wer sich
über meinen Rücktritt freuen würde; da erst erkannte ich, daß und warum ich
aushalten muß, so lange meine Kräfte es zulassen."




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[0370] Sächsische Roactionsgoliisto, Millionen Preußen. Der König von Preußen ist in seinein eignen Lande ebenso in seiner Souveränität durch den Bundesrath beschränkt wie die andern Fürsten, er kann wider seinen Willen genöthigt werden, Gesetzen zuzustimmen, die er nicht billigt °— man denke an die Verlegung des Reichsgerichts nach Leipzig; der Bundesrath regiert in Reichssachen über Preußen so gut wie über Sachsen. Je lockrer das Bnndesverhältniß ist, je mehr Sachsen Sachsen für sich bleibt, desto mehr wird auch Preußen Preußen bleiben, und desto mehr wird es als solches ungebunden und in der Lage sein, Deutschland Gesetze ganz nach seinem Bedarf und Willen zu geben, ohne daß es solche von den andern deutschen Staaten zu empfangen braucht — man erinnre sich an die Geschichte der Erneuerung des Zollvereins Ende 1865. Die Partieularisten machen den nationalen den echten Patriotismus streitig und behaupten, allein den echten Ring der Vaterlandsliebe zu besitzen. Uns erscheint das Reich einem wachsenden Organismus gleich; dieser hat sich zunächst constituirt mit Haut und Knochen, indem er sich Festigkeit und Sicherheit nach außen und innen gab; er hat sich weiter dnrch seine fvrtschreiteiide Gesetzgebinig ein Nervensystem mit centralen Gehirn geschaffen und ist um eben daran, seine Ernährung sicher zu stellen und die Circulation seiner Säftemassen zu reguliren, indem er dem Blntlaufshstem ein centrales Herz verleiht. Ohne das kann kein Organismus lebenskräftig bestehe», ohne das fällt er schwächlich auseinander. Es giebt für die besondern innern Organe noch genug der wichtigsten Partien¬ laren Functionen. Der Staatswagen des Reichs ist glücklich in Gang gebracht; der Reichs¬ kanzler soll die Rosse lenken. Da wollen ihm nun die Partieularisten die Hände binden und ihm Kutscher nach ihrer Wahl auf den Bock setzen, die er nur soll beaufsichtigen dürfen. Aber wir hoffen, der Kanzler ist noch Mannes genug, sich nicht die Zügel ans der Hand winden zu lassen. Hat er doch eben erst gesagt: „Ich werde nicht zurücktreten, ehe nicht der Kaiser mich zurücktreten heißt; ich bin zu diesem Entschlüsse gekommen, nachdem ich gesehen, wer sich über meinen Rücktritt freuen würde; da erst erkannte ich, daß und warum ich aushalten muß, so lange meine Kräfte es zulassen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/370>, abgerufen am 27.12.2024.