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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Llemento im Staate.

könnten, Deutschland und speciell Preußen ist, im Gegensatz zu Spanien, welches
von der Höhe hinabgestiegen ist, aus kleinen Altfängen zur ersten staatlichen
Macht in Europa emporgestiegen, eben deshalb, weil Preußen der Staat der
Freiheit, der Pflicht und des Gesetzes gewesen ist. Wir haben den Grund der
Entfaltung destructiver Elemente im Staat besonders in zwei Möglichkeiten ge¬
funden. Erstens darin, daß der Staat in seinen großen zeitweilig leitenden Ma߬
regeln und Principien sich in Irrthum oder Schuld hineinbegiebt, sich also in
Widerspruch setzt mit dein großen Gange der göttlichen Vernunft; Beispiele:
der Ehrgeiz Napoleons; die Plutokratie Englands und das Manchesterthum
in Preußen; zweitens, daß der Staat indireet in Schuld geräth durch die Un¬
wissenheit oder Ungerechtigkeit seiner Beamten. Die Traditionen unsers Staates
und seiner Führer bilden gegen die erste Möglichkeit einen mächtigen Schutz, ob¬
wohl niemand die Aufgaben vorhersage" kann, welche die Staaten in Zukunft
zu lösen haben werden. Das Zweite bedarf aber grade in unsrer Zeit der sorg¬
samsten Vorsicht und der ununterbrochenen staatlichen Remedur. Die militärische
Erziehung hat in unserm Vaterlande die ersten Anfänge des Gehorsams und
des Pflichtgefühls im Volke zur praktischen Wirklichkeit gebracht und im Sinne
einer durchgreifenden Volkserziehung zweifellos bedeutendes geleistet. Wir leben
aber andrerseits in einer Zeit, wo mit dem Verschwinden der alten Autoritäten
und der alten Innigkeit religiöser Impulse Unglauben und Skepticismus, Halb¬
heit und Schabloneuthum sich breit machen. Das Jahrhundert der Naturwissen¬
schaften, der Ausklärung und der Realpolitik neigt vorwiegend dazu, das Materielle
vor dem Ideellen zu betrachten. Die Jagd nach Reichthum und Genuß charak-
terisirt unsre Zeit, derart, wie es nur zu staatlichen Verfallzeiten schlimmsten
Angedenkens der Fall war. Die starke Accentuirnng des Militärs in unserm
Staate hat viele Kraft und Intelligenz diesem glänzenden Stande zugeführt,
aber auch den andern Ständen entzogen. Berücksichtigt man diese Verhältnisse
in Verbindung mit dem Umstände, daß der Staat jüngsthin noch sein Beamtenheer
um mehrere Hunderttausend Beamten vermehrt hat und ferner voraussichtlich
noch durch weitere Verstaatlichung von Eisenbahnen ?e. vermehren wird, berück¬
sichtigt man die erheblichen Schwierigkeiten der Wechselwirkung und Controle
der Reichsbeamten mit den preußischen, vergegenwärtigt man sich alle jene neuen
in sich eentralistisch abgeschloßnen Organisationen der Post, der Eisenbahnen,
der Justiz, der Provinzial-Verwaltung :c., so wird man in diesen großartigen
Verbänden auf der einen Seite gewiß mit Stolz die gewaltige Verwaltungs¬
und Organisationskraft des Staats zu bewundern, auf der andern Seite aber
auch die Gefahren nicht zu verkennen haben, welche daraus entstehen würden,
wenn innerhalb dieser geschloßnen Beamtenhierarchien Mißbrauch und Unrecht


Die destructiven Llemento im Staate.

könnten, Deutschland und speciell Preußen ist, im Gegensatz zu Spanien, welches
von der Höhe hinabgestiegen ist, aus kleinen Altfängen zur ersten staatlichen
Macht in Europa emporgestiegen, eben deshalb, weil Preußen der Staat der
Freiheit, der Pflicht und des Gesetzes gewesen ist. Wir haben den Grund der
Entfaltung destructiver Elemente im Staat besonders in zwei Möglichkeiten ge¬
funden. Erstens darin, daß der Staat in seinen großen zeitweilig leitenden Ma߬
regeln und Principien sich in Irrthum oder Schuld hineinbegiebt, sich also in
Widerspruch setzt mit dein großen Gange der göttlichen Vernunft; Beispiele:
der Ehrgeiz Napoleons; die Plutokratie Englands und das Manchesterthum
in Preußen; zweitens, daß der Staat indireet in Schuld geräth durch die Un¬
wissenheit oder Ungerechtigkeit seiner Beamten. Die Traditionen unsers Staates
und seiner Führer bilden gegen die erste Möglichkeit einen mächtigen Schutz, ob¬
wohl niemand die Aufgaben vorhersage» kann, welche die Staaten in Zukunft
zu lösen haben werden. Das Zweite bedarf aber grade in unsrer Zeit der sorg¬
samsten Vorsicht und der ununterbrochenen staatlichen Remedur. Die militärische
Erziehung hat in unserm Vaterlande die ersten Anfänge des Gehorsams und
des Pflichtgefühls im Volke zur praktischen Wirklichkeit gebracht und im Sinne
einer durchgreifenden Volkserziehung zweifellos bedeutendes geleistet. Wir leben
aber andrerseits in einer Zeit, wo mit dem Verschwinden der alten Autoritäten
und der alten Innigkeit religiöser Impulse Unglauben und Skepticismus, Halb¬
heit und Schabloneuthum sich breit machen. Das Jahrhundert der Naturwissen¬
schaften, der Ausklärung und der Realpolitik neigt vorwiegend dazu, das Materielle
vor dem Ideellen zu betrachten. Die Jagd nach Reichthum und Genuß charak-
terisirt unsre Zeit, derart, wie es nur zu staatlichen Verfallzeiten schlimmsten
Angedenkens der Fall war. Die starke Accentuirnng des Militärs in unserm
Staate hat viele Kraft und Intelligenz diesem glänzenden Stande zugeführt,
aber auch den andern Ständen entzogen. Berücksichtigt man diese Verhältnisse
in Verbindung mit dem Umstände, daß der Staat jüngsthin noch sein Beamtenheer
um mehrere Hunderttausend Beamten vermehrt hat und ferner voraussichtlich
noch durch weitere Verstaatlichung von Eisenbahnen ?e. vermehren wird, berück¬
sichtigt man die erheblichen Schwierigkeiten der Wechselwirkung und Controle
der Reichsbeamten mit den preußischen, vergegenwärtigt man sich alle jene neuen
in sich eentralistisch abgeschloßnen Organisationen der Post, der Eisenbahnen,
der Justiz, der Provinzial-Verwaltung :c., so wird man in diesen großartigen
Verbänden auf der einen Seite gewiß mit Stolz die gewaltige Verwaltungs¬
und Organisationskraft des Staats zu bewundern, auf der andern Seite aber
auch die Gefahren nicht zu verkennen haben, welche daraus entstehen würden,
wenn innerhalb dieser geschloßnen Beamtenhierarchien Mißbrauch und Unrecht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/359>, abgerufen am 29.12.2024.