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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.

lichkeit an ihrem Lebensnerv tödtlich getroffen. Dann kann ein solches Volk
nur hinabsinken in eine apathische Lethargie, welche schlimmer ist als die schreck¬
lichste Revolution, denn diese Lethargie ist der Beginn des Tvdesschlass, Der
sieche Körper des Volkslebens ist so geschwächt, daß er keiner allgemeinen Reaction
gegen das Gift des Unrechts mehr fähig ist. Der Gedanke der Freiheit ist er¬
loschen und hat sich selbstmörderisch bei Krone und Volk unter die alleinige
Willkür der Kirche gebeugt. Uuter den hochtönenden Namen der Loyalität
und der Religion lauert die Hydra unwürdiger und schmachvoller Gewisscns-
sklaverei. Das spanische Volk wurde gesetzlos, aber nicht frei, denn es hatte
sich der Freiheit des eignen Gewissens entäußert zu einer Zeit, wo das deutsche
Volk die Reformation schuf. Daher kennt die spanische Geschichte keine große
Revolution, sondern nur perennirende Anarchie und Empörung, daher versuchte
das spanische Volk keinen gesetzlichen Widerstand gegen das Unrecht, sondern
kannte nur gesetzlose Gewalt, gelegentlichen Ungehorsam, unaufhörliche Unruhen,
das heißt mit andern Worten, es kannte nur die Mittel destruetiver Tendenzen,
destructiver Ideen, destruetiver und unsittlicher Attentate. Es waren Ausbrüche
der Gesetzlosigkeit, der wüste Anblick wahnsinniger und leidenschaftlicher Menschen,
welche sich selbst nicht zu beherrschen im Stande waren. Vergeblich aber sucht
das Auge des Forschers in der spanischen Geschichte nach dem chrfurchtgebietenden
Streben der Volksseele zur Erlangung systematischer Freiheit, nach dem Strebe",
in gesetzlicher Weise dem Unrechte Widerstand zu leisten, und zu diesem höchsten
Berufe aller Sittlichkeit nicht davor zurückzuschrecken, die Krone des Märtyrers
zu tragen. Warum war dies nicht möglich in Spanien? Weil die Stantsidee
sich selbst entthront hatte, der Staat sich selber untreu geworden war und jene
unsterblichen Ideen des Rechts und der sittlichen Selbstbestimmung vom Staate
verleugnet waren, so daß sie, selbst wenn sie im Volke gelebt hätten, keine
Stütze bei der Regierung gefunden haben würden und dem sittlichen Heros des
mittelalterlichen Spaniens, der die destructive Bahn selbstverständlich verschmähte,
kein andrer Weg infolge dessen offen gestanden haben würde als der Todesweg,
die Aufopferung für die Idee der Sittlichkeit d. h. der Freiheit. Diese Idee
war nirgends verwirklicht, denn.der Staat verleugnete sie und beugte sich unter
die kirchliche Hierarchie, welche ihrerseits nur eine Fa?on der sittlichen Freiheit
kannte, nämlich ihre eigne. Hieran ist das spanische Volk zu Grunde gegangen,
sittlich um den Doctrinen der Willkür, staatlich an den daraus folgenden Ideen
der Destruetion.

Man sollte glaube", daß in unserm Vaterlande, in Deutschland, dem
Lande der Reformation, der Gewissensfreiheit und des großen Vernunftkritikers,
destructive Tendenzen durch die Schuld des Staates veranlaßt kaum vorkommen


Die destructiven Elemente im Staate.

lichkeit an ihrem Lebensnerv tödtlich getroffen. Dann kann ein solches Volk
nur hinabsinken in eine apathische Lethargie, welche schlimmer ist als die schreck¬
lichste Revolution, denn diese Lethargie ist der Beginn des Tvdesschlass, Der
sieche Körper des Volkslebens ist so geschwächt, daß er keiner allgemeinen Reaction
gegen das Gift des Unrechts mehr fähig ist. Der Gedanke der Freiheit ist er¬
loschen und hat sich selbstmörderisch bei Krone und Volk unter die alleinige
Willkür der Kirche gebeugt. Uuter den hochtönenden Namen der Loyalität
und der Religion lauert die Hydra unwürdiger und schmachvoller Gewisscns-
sklaverei. Das spanische Volk wurde gesetzlos, aber nicht frei, denn es hatte
sich der Freiheit des eignen Gewissens entäußert zu einer Zeit, wo das deutsche
Volk die Reformation schuf. Daher kennt die spanische Geschichte keine große
Revolution, sondern nur perennirende Anarchie und Empörung, daher versuchte
das spanische Volk keinen gesetzlichen Widerstand gegen das Unrecht, sondern
kannte nur gesetzlose Gewalt, gelegentlichen Ungehorsam, unaufhörliche Unruhen,
das heißt mit andern Worten, es kannte nur die Mittel destruetiver Tendenzen,
destructiver Ideen, destruetiver und unsittlicher Attentate. Es waren Ausbrüche
der Gesetzlosigkeit, der wüste Anblick wahnsinniger und leidenschaftlicher Menschen,
welche sich selbst nicht zu beherrschen im Stande waren. Vergeblich aber sucht
das Auge des Forschers in der spanischen Geschichte nach dem chrfurchtgebietenden
Streben der Volksseele zur Erlangung systematischer Freiheit, nach dem Strebe»,
in gesetzlicher Weise dem Unrechte Widerstand zu leisten, und zu diesem höchsten
Berufe aller Sittlichkeit nicht davor zurückzuschrecken, die Krone des Märtyrers
zu tragen. Warum war dies nicht möglich in Spanien? Weil die Stantsidee
sich selbst entthront hatte, der Staat sich selber untreu geworden war und jene
unsterblichen Ideen des Rechts und der sittlichen Selbstbestimmung vom Staate
verleugnet waren, so daß sie, selbst wenn sie im Volke gelebt hätten, keine
Stütze bei der Regierung gefunden haben würden und dem sittlichen Heros des
mittelalterlichen Spaniens, der die destructive Bahn selbstverständlich verschmähte,
kein andrer Weg infolge dessen offen gestanden haben würde als der Todesweg,
die Aufopferung für die Idee der Sittlichkeit d. h. der Freiheit. Diese Idee
war nirgends verwirklicht, denn.der Staat verleugnete sie und beugte sich unter
die kirchliche Hierarchie, welche ihrerseits nur eine Fa?on der sittlichen Freiheit
kannte, nämlich ihre eigne. Hieran ist das spanische Volk zu Grunde gegangen,
sittlich um den Doctrinen der Willkür, staatlich an den daraus folgenden Ideen
der Destruetion.

Man sollte glaube», daß in unserm Vaterlande, in Deutschland, dem
Lande der Reformation, der Gewissensfreiheit und des großen Vernunftkritikers,
destructive Tendenzen durch die Schuld des Staates veranlaßt kaum vorkommen


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[0358] Die destructiven Elemente im Staate. lichkeit an ihrem Lebensnerv tödtlich getroffen. Dann kann ein solches Volk nur hinabsinken in eine apathische Lethargie, welche schlimmer ist als die schreck¬ lichste Revolution, denn diese Lethargie ist der Beginn des Tvdesschlass, Der sieche Körper des Volkslebens ist so geschwächt, daß er keiner allgemeinen Reaction gegen das Gift des Unrechts mehr fähig ist. Der Gedanke der Freiheit ist er¬ loschen und hat sich selbstmörderisch bei Krone und Volk unter die alleinige Willkür der Kirche gebeugt. Uuter den hochtönenden Namen der Loyalität und der Religion lauert die Hydra unwürdiger und schmachvoller Gewisscns- sklaverei. Das spanische Volk wurde gesetzlos, aber nicht frei, denn es hatte sich der Freiheit des eignen Gewissens entäußert zu einer Zeit, wo das deutsche Volk die Reformation schuf. Daher kennt die spanische Geschichte keine große Revolution, sondern nur perennirende Anarchie und Empörung, daher versuchte das spanische Volk keinen gesetzlichen Widerstand gegen das Unrecht, sondern kannte nur gesetzlose Gewalt, gelegentlichen Ungehorsam, unaufhörliche Unruhen, das heißt mit andern Worten, es kannte nur die Mittel destruetiver Tendenzen, destructiver Ideen, destruetiver und unsittlicher Attentate. Es waren Ausbrüche der Gesetzlosigkeit, der wüste Anblick wahnsinniger und leidenschaftlicher Menschen, welche sich selbst nicht zu beherrschen im Stande waren. Vergeblich aber sucht das Auge des Forschers in der spanischen Geschichte nach dem chrfurchtgebietenden Streben der Volksseele zur Erlangung systematischer Freiheit, nach dem Strebe», in gesetzlicher Weise dem Unrechte Widerstand zu leisten, und zu diesem höchsten Berufe aller Sittlichkeit nicht davor zurückzuschrecken, die Krone des Märtyrers zu tragen. Warum war dies nicht möglich in Spanien? Weil die Stantsidee sich selbst entthront hatte, der Staat sich selber untreu geworden war und jene unsterblichen Ideen des Rechts und der sittlichen Selbstbestimmung vom Staate verleugnet waren, so daß sie, selbst wenn sie im Volke gelebt hätten, keine Stütze bei der Regierung gefunden haben würden und dem sittlichen Heros des mittelalterlichen Spaniens, der die destructive Bahn selbstverständlich verschmähte, kein andrer Weg infolge dessen offen gestanden haben würde als der Todesweg, die Aufopferung für die Idee der Sittlichkeit d. h. der Freiheit. Diese Idee war nirgends verwirklicht, denn.der Staat verleugnete sie und beugte sich unter die kirchliche Hierarchie, welche ihrerseits nur eine Fa?on der sittlichen Freiheit kannte, nämlich ihre eigne. Hieran ist das spanische Volk zu Grunde gegangen, sittlich um den Doctrinen der Willkür, staatlich an den daraus folgenden Ideen der Destruetion. Man sollte glaube», daß in unserm Vaterlande, in Deutschland, dem Lande der Reformation, der Gewissensfreiheit und des großen Vernunftkritikers, destructive Tendenzen durch die Schuld des Staates veranlaßt kaum vorkommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/358>, abgerufen am 28.12.2024.