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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Lessingstndieil,

geworden, daß jenes Netz, in welches seine Tochter sich verstrickt hat, nur eine
Gewaltthat lösen könne. Und sein erster und natürlichster Gedanke ist nun, sich
über die Leiche des Prinzen einen Weg zu seiner Tochter zu bahnen. Doch
jener Gedanke -- und das ist wohl zu bemerken -- ist mir die Folge augen¬
blicklicher Zornesaufwallung, Sobald Odoardo, sich selbst überlassen, kälter
geworden ist, sagt er sich, daß Emilin nichts mit der Orsina, "gekränkte Tugend
nichts mit der Rache des Lasters zu schaffen" hat. Jene allein hat er ja zu
retten. Darum überläßt er Appianis Sache dem Himmel und sucht nur darin
seine Aufgabe, den Mörder die Frucht seines Verbrechens nicht genießen zu
lassen. Er will Emilia in ein Kloster bringen.

Wie aber, wenn ihm das nicht gelingen sollte? Unter dem Vorwande einer
gerichtlichen Untersuchung wollen der Prinz und Marinelli dem unglücklichen
Vater auch diesen letzten Ausweg abschneiden, wollen ihm die Tochter aus den
Armen reißen und sie in das Haus der Grimaldi bringen, Odoardo, der dies aus
Marinellis Munde vernimmt, greift schon in der ersten Wuth wieder nach seinein
Dolche, um ihn dem Prinzen in die Brust zu stoßen, als dieser noch zur rechten
Zeit schmeichelnd auf ihn merite: "Fassen Sie sich, lieber Galotti!" Diese Worte
rufen Odoardo wieder seinen Entschluß ins Gedächtniß, dem Mörder Appianis
nur die Frucht seines Verbrechens zu rauben, Rache zu nehmen verbietet diesem
Manne schlechthin seine Sittlichkeit. So oft auch dieser so natürliche Gedanke
bei Odoardo aufsteigt, stets ist es nur das heißblutige Temperament, welches
ihn hervorruft. Und dieses Temperament steht nnter der energischen Zucht eines
wohlgeschulten Willens.

Aber wie seine Tochter vor der Schande bewahren? Ans den Händen der
Gewalt kann nur der Tod sie befreien -- das ist des Vaters starr consequente
Antwort. Nur noch eine Unterredung mit Emilia erbittet er sich vom Prinzen,
und der Zweck dieser Unterredung ist -- der Tod seiner Tochter.

Wieder ist -- um Odvardvs Worte zu gebrauchen -- der "Zorn bei ihm
mit dem Verstände davon gelaufen," Als sich im Selbstgespräche sein Inneres
wieder beruhigt, da fragt er sich: Habe ich denn ein Recht meine Tochter zu
ermorden, mag sie nun schuldig, wie die Verleumdung sagt, oder mag sie un¬
schuldig geblieben sein? Ist sie schuldig und versteht sie sich mit dem Prinzen,
so ist sie das nicht werth, was ich ster sie thun will; ist sie es aber nicht, so
ziehe der, welcher sie unschuldig in diesen Abgrund gestürzt, sie auch wieder heraus.
Was braucht er meine Hand duzn? Gerade will er forteilen, als er Emilia
kommen sieht. Und nun erfolgt ein neuer plötzlicher Umschlag in seiner Seele,
er erkennt in ihrem Erscheinen einen Fingerzeig Gottes: "Zu spät! Ah! er will
meine Hand, er will sie!" So hängt die ganze Katastrophe, wie es scheint, bis


Gmizlww, 1, 1881. 4V
Lessingstndieil,

geworden, daß jenes Netz, in welches seine Tochter sich verstrickt hat, nur eine
Gewaltthat lösen könne. Und sein erster und natürlichster Gedanke ist nun, sich
über die Leiche des Prinzen einen Weg zu seiner Tochter zu bahnen. Doch
jener Gedanke — und das ist wohl zu bemerken — ist mir die Folge augen¬
blicklicher Zornesaufwallung, Sobald Odoardo, sich selbst überlassen, kälter
geworden ist, sagt er sich, daß Emilin nichts mit der Orsina, „gekränkte Tugend
nichts mit der Rache des Lasters zu schaffen" hat. Jene allein hat er ja zu
retten. Darum überläßt er Appianis Sache dem Himmel und sucht nur darin
seine Aufgabe, den Mörder die Frucht seines Verbrechens nicht genießen zu
lassen. Er will Emilia in ein Kloster bringen.

Wie aber, wenn ihm das nicht gelingen sollte? Unter dem Vorwande einer
gerichtlichen Untersuchung wollen der Prinz und Marinelli dem unglücklichen
Vater auch diesen letzten Ausweg abschneiden, wollen ihm die Tochter aus den
Armen reißen und sie in das Haus der Grimaldi bringen, Odoardo, der dies aus
Marinellis Munde vernimmt, greift schon in der ersten Wuth wieder nach seinein
Dolche, um ihn dem Prinzen in die Brust zu stoßen, als dieser noch zur rechten
Zeit schmeichelnd auf ihn merite: „Fassen Sie sich, lieber Galotti!" Diese Worte
rufen Odoardo wieder seinen Entschluß ins Gedächtniß, dem Mörder Appianis
nur die Frucht seines Verbrechens zu rauben, Rache zu nehmen verbietet diesem
Manne schlechthin seine Sittlichkeit. So oft auch dieser so natürliche Gedanke
bei Odoardo aufsteigt, stets ist es nur das heißblutige Temperament, welches
ihn hervorruft. Und dieses Temperament steht nnter der energischen Zucht eines
wohlgeschulten Willens.

Aber wie seine Tochter vor der Schande bewahren? Ans den Händen der
Gewalt kann nur der Tod sie befreien — das ist des Vaters starr consequente
Antwort. Nur noch eine Unterredung mit Emilia erbittet er sich vom Prinzen,
und der Zweck dieser Unterredung ist — der Tod seiner Tochter.

Wieder ist — um Odvardvs Worte zu gebrauchen — der „Zorn bei ihm
mit dem Verstände davon gelaufen," Als sich im Selbstgespräche sein Inneres
wieder beruhigt, da fragt er sich: Habe ich denn ein Recht meine Tochter zu
ermorden, mag sie nun schuldig, wie die Verleumdung sagt, oder mag sie un¬
schuldig geblieben sein? Ist sie schuldig und versteht sie sich mit dem Prinzen,
so ist sie das nicht werth, was ich ster sie thun will; ist sie es aber nicht, so
ziehe der, welcher sie unschuldig in diesen Abgrund gestürzt, sie auch wieder heraus.
Was braucht er meine Hand duzn? Gerade will er forteilen, als er Emilia
kommen sieht. Und nun erfolgt ein neuer plötzlicher Umschlag in seiner Seele,
er erkennt in ihrem Erscheinen einen Fingerzeig Gottes: „Zu spät! Ah! er will
meine Hand, er will sie!" So hängt die ganze Katastrophe, wie es scheint, bis


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[0349] Lessingstndieil, geworden, daß jenes Netz, in welches seine Tochter sich verstrickt hat, nur eine Gewaltthat lösen könne. Und sein erster und natürlichster Gedanke ist nun, sich über die Leiche des Prinzen einen Weg zu seiner Tochter zu bahnen. Doch jener Gedanke — und das ist wohl zu bemerken — ist mir die Folge augen¬ blicklicher Zornesaufwallung, Sobald Odoardo, sich selbst überlassen, kälter geworden ist, sagt er sich, daß Emilin nichts mit der Orsina, „gekränkte Tugend nichts mit der Rache des Lasters zu schaffen" hat. Jene allein hat er ja zu retten. Darum überläßt er Appianis Sache dem Himmel und sucht nur darin seine Aufgabe, den Mörder die Frucht seines Verbrechens nicht genießen zu lassen. Er will Emilia in ein Kloster bringen. Wie aber, wenn ihm das nicht gelingen sollte? Unter dem Vorwande einer gerichtlichen Untersuchung wollen der Prinz und Marinelli dem unglücklichen Vater auch diesen letzten Ausweg abschneiden, wollen ihm die Tochter aus den Armen reißen und sie in das Haus der Grimaldi bringen, Odoardo, der dies aus Marinellis Munde vernimmt, greift schon in der ersten Wuth wieder nach seinein Dolche, um ihn dem Prinzen in die Brust zu stoßen, als dieser noch zur rechten Zeit schmeichelnd auf ihn merite: „Fassen Sie sich, lieber Galotti!" Diese Worte rufen Odoardo wieder seinen Entschluß ins Gedächtniß, dem Mörder Appianis nur die Frucht seines Verbrechens zu rauben, Rache zu nehmen verbietet diesem Manne schlechthin seine Sittlichkeit. So oft auch dieser so natürliche Gedanke bei Odoardo aufsteigt, stets ist es nur das heißblutige Temperament, welches ihn hervorruft. Und dieses Temperament steht nnter der energischen Zucht eines wohlgeschulten Willens. Aber wie seine Tochter vor der Schande bewahren? Ans den Händen der Gewalt kann nur der Tod sie befreien — das ist des Vaters starr consequente Antwort. Nur noch eine Unterredung mit Emilia erbittet er sich vom Prinzen, und der Zweck dieser Unterredung ist — der Tod seiner Tochter. Wieder ist — um Odvardvs Worte zu gebrauchen — der „Zorn bei ihm mit dem Verstände davon gelaufen," Als sich im Selbstgespräche sein Inneres wieder beruhigt, da fragt er sich: Habe ich denn ein Recht meine Tochter zu ermorden, mag sie nun schuldig, wie die Verleumdung sagt, oder mag sie un¬ schuldig geblieben sein? Ist sie schuldig und versteht sie sich mit dem Prinzen, so ist sie das nicht werth, was ich ster sie thun will; ist sie es aber nicht, so ziehe der, welcher sie unschuldig in diesen Abgrund gestürzt, sie auch wieder heraus. Was braucht er meine Hand duzn? Gerade will er forteilen, als er Emilia kommen sieht. Und nun erfolgt ein neuer plötzlicher Umschlag in seiner Seele, er erkennt in ihrem Erscheinen einen Fingerzeig Gottes: „Zu spät! Ah! er will meine Hand, er will sie!" So hängt die ganze Katastrophe, wie es scheint, bis Gmizlww, 1, 1881. 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/349>, abgerufen am 28.12.2024.