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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Lcssmgswdieii,

redung mit Claudia, die Expositionssecne seines Charakters, ist bezeichnend für
seine Art und Weise. Man denke an die Worte: "Wo ist Emilia? Unstreitig
beschäftigt mit dem Putze?" "Ihrer Seele" erwiedert nicht ohne Selbstgefällig¬
keit die eitle Mutter -- "Sie ist in der Messe. ,Jch habe heute mehr als jeden
andern Tag Gnade von oben zu erflehen/ sagte sie und ließ alles liegen und
nahm ihren Schleier und eilte" --, "Ganz allem?" unterbricht sie schon arg¬
wöhnisch der Vater. -- "Die wenigen Schritte" begütigt Claudia. "Einer ist
genng zu einem Fehltritte!" fährt Odvardv rauh dazwischen, und noch indem
ihn Claudia hineinführt, einen Augenblick auszuruhen und eine Erfrischung zu
nehmen, kann er die Worte nicht unterdrücken: "Aber sie sollte nicht allein
gegangen sein!"

In seiner Liebe zum Landleben, in seinem Haß gegen die Nähe des Hofes
berührt sich Odoardo mit Nppiani, aber er hat nicht dessen melancholische Thaten¬
scheu, er ist ein Mann zum praktische" Handeln geschaffen, nur muß er gerade
Wege gehen können, aufs Bunte" und Kriechen, was allein um Hofe des Prinzen
die Wege bahnt, versteht er sich schlecht. Und i" diesem Punkte liegt die Ein¬
seitigkeit seines Charakters. "O der rauhe" Tugend!" -- sagt Claudia einmal --
"Wenn anders sie diese" Namen verdient." Und es ist wahr, Odocirdos T"ge"d-
begriff ist ein überspannter. Wie er in die Tugend andrer ein stetes Mißtraue"
setzt, so ist er auch gegen sich selbst unerbittlich. Am liebsten geht er dem Un-
edcln und Gemeinen ans dem Wege; zwingt es ihn aber zu einem ungleichen
Kampfe, so wird nichts im Stande sein, ihn von dem starren Standpunkte seines
Sittlichkeitsbcgriffeö zu vertreiben. Er wird lieber in sein eignes Fleisch schneiden
als eine Handlung begehen, welche sein sittliches Urtheil verdamme" in"ß.
Charaktere wie die Odvardvs sind freilich keine alltägliche", aber sie sind leicht
zu durchschaue", denn sie geben sich ganz, wie sie sind. Die Entscheidung, ob
der Dichter diese" Mann am Schluß des Stückes so handeln läßt, wie er seinen
Charakter am Anfang angelegt hat, wird daher eine leichte sein.

Als die Worte der rachsüchtigen Orsina, daß Appiani todt sei und der
Prinz Emilien in der Messe gesprochen habe, daß daher der Meuchelmord des
Grase" el" zwischen beiden abgekartetes Spiel sei, wie rasches Gift auf die Seele
des Vaters zu wirke" beginne", da weist er zwar noch aufs entschiedenste die
Theilnahme seiner Tochter an der Ermordung ihres Verlobten als verleumderische
Lüge zurück, aber seine Seele durchzuckt jetzt plötzlich der Gedanke an Rache.
Den Dolch, welchen die Orsina ihm aufdringt, nimmt er willig an, und nichts ge¬
ringeres scheint er im Schilde zu führen, als er der scheidenden Orsina die
Worte zuraunt: -- "Sie werden von mir hören" --, als den Prinzen ans
dem Wege zu räumen und so seine Tochter zu befreien. Schon ist es ihm klar


Lcssmgswdieii,

redung mit Claudia, die Expositionssecne seines Charakters, ist bezeichnend für
seine Art und Weise. Man denke an die Worte: „Wo ist Emilia? Unstreitig
beschäftigt mit dem Putze?" „Ihrer Seele" erwiedert nicht ohne Selbstgefällig¬
keit die eitle Mutter — „Sie ist in der Messe. ,Jch habe heute mehr als jeden
andern Tag Gnade von oben zu erflehen/ sagte sie und ließ alles liegen und
nahm ihren Schleier und eilte" —, „Ganz allem?" unterbricht sie schon arg¬
wöhnisch der Vater. — „Die wenigen Schritte" begütigt Claudia. „Einer ist
genng zu einem Fehltritte!" fährt Odvardv rauh dazwischen, und noch indem
ihn Claudia hineinführt, einen Augenblick auszuruhen und eine Erfrischung zu
nehmen, kann er die Worte nicht unterdrücken: „Aber sie sollte nicht allein
gegangen sein!"

In seiner Liebe zum Landleben, in seinem Haß gegen die Nähe des Hofes
berührt sich Odoardo mit Nppiani, aber er hat nicht dessen melancholische Thaten¬
scheu, er ist ein Mann zum praktische» Handeln geschaffen, nur muß er gerade
Wege gehen können, aufs Bunte» und Kriechen, was allein um Hofe des Prinzen
die Wege bahnt, versteht er sich schlecht. Und i» diesem Punkte liegt die Ein¬
seitigkeit seines Charakters. „O der rauhe» Tugend!" — sagt Claudia einmal —
„Wenn anders sie diese» Namen verdient." Und es ist wahr, Odocirdos T»ge»d-
begriff ist ein überspannter. Wie er in die Tugend andrer ein stetes Mißtraue»
setzt, so ist er auch gegen sich selbst unerbittlich. Am liebsten geht er dem Un-
edcln und Gemeinen ans dem Wege; zwingt es ihn aber zu einem ungleichen
Kampfe, so wird nichts im Stande sein, ihn von dem starren Standpunkte seines
Sittlichkeitsbcgriffeö zu vertreiben. Er wird lieber in sein eignes Fleisch schneiden
als eine Handlung begehen, welche sein sittliches Urtheil verdamme» in»ß.
Charaktere wie die Odvardvs sind freilich keine alltägliche», aber sie sind leicht
zu durchschaue», denn sie geben sich ganz, wie sie sind. Die Entscheidung, ob
der Dichter diese» Mann am Schluß des Stückes so handeln läßt, wie er seinen
Charakter am Anfang angelegt hat, wird daher eine leichte sein.

Als die Worte der rachsüchtigen Orsina, daß Appiani todt sei und der
Prinz Emilien in der Messe gesprochen habe, daß daher der Meuchelmord des
Grase» el» zwischen beiden abgekartetes Spiel sei, wie rasches Gift auf die Seele
des Vaters zu wirke» beginne», da weist er zwar noch aufs entschiedenste die
Theilnahme seiner Tochter an der Ermordung ihres Verlobten als verleumderische
Lüge zurück, aber seine Seele durchzuckt jetzt plötzlich der Gedanke an Rache.
Den Dolch, welchen die Orsina ihm aufdringt, nimmt er willig an, und nichts ge¬
ringeres scheint er im Schilde zu führen, als er der scheidenden Orsina die
Worte zuraunt: — „Sie werden von mir hören" —, als den Prinzen ans
dem Wege zu räumen und so seine Tochter zu befreien. Schon ist es ihm klar


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[0348] Lcssmgswdieii, redung mit Claudia, die Expositionssecne seines Charakters, ist bezeichnend für seine Art und Weise. Man denke an die Worte: „Wo ist Emilia? Unstreitig beschäftigt mit dem Putze?" „Ihrer Seele" erwiedert nicht ohne Selbstgefällig¬ keit die eitle Mutter — „Sie ist in der Messe. ,Jch habe heute mehr als jeden andern Tag Gnade von oben zu erflehen/ sagte sie und ließ alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte" —, „Ganz allem?" unterbricht sie schon arg¬ wöhnisch der Vater. — „Die wenigen Schritte" begütigt Claudia. „Einer ist genng zu einem Fehltritte!" fährt Odvardv rauh dazwischen, und noch indem ihn Claudia hineinführt, einen Augenblick auszuruhen und eine Erfrischung zu nehmen, kann er die Worte nicht unterdrücken: „Aber sie sollte nicht allein gegangen sein!" In seiner Liebe zum Landleben, in seinem Haß gegen die Nähe des Hofes berührt sich Odoardo mit Nppiani, aber er hat nicht dessen melancholische Thaten¬ scheu, er ist ein Mann zum praktische» Handeln geschaffen, nur muß er gerade Wege gehen können, aufs Bunte» und Kriechen, was allein um Hofe des Prinzen die Wege bahnt, versteht er sich schlecht. Und i» diesem Punkte liegt die Ein¬ seitigkeit seines Charakters. „O der rauhe» Tugend!" — sagt Claudia einmal — „Wenn anders sie diese» Namen verdient." Und es ist wahr, Odocirdos T»ge»d- begriff ist ein überspannter. Wie er in die Tugend andrer ein stetes Mißtraue» setzt, so ist er auch gegen sich selbst unerbittlich. Am liebsten geht er dem Un- edcln und Gemeinen ans dem Wege; zwingt es ihn aber zu einem ungleichen Kampfe, so wird nichts im Stande sein, ihn von dem starren Standpunkte seines Sittlichkeitsbcgriffeö zu vertreiben. Er wird lieber in sein eignes Fleisch schneiden als eine Handlung begehen, welche sein sittliches Urtheil verdamme» in»ß. Charaktere wie die Odvardvs sind freilich keine alltägliche», aber sie sind leicht zu durchschaue», denn sie geben sich ganz, wie sie sind. Die Entscheidung, ob der Dichter diese» Mann am Schluß des Stückes so handeln läßt, wie er seinen Charakter am Anfang angelegt hat, wird daher eine leichte sein. Als die Worte der rachsüchtigen Orsina, daß Appiani todt sei und der Prinz Emilien in der Messe gesprochen habe, daß daher der Meuchelmord des Grase» el» zwischen beiden abgekartetes Spiel sei, wie rasches Gift auf die Seele des Vaters zu wirke» beginne», da weist er zwar noch aufs entschiedenste die Theilnahme seiner Tochter an der Ermordung ihres Verlobten als verleumderische Lüge zurück, aber seine Seele durchzuckt jetzt plötzlich der Gedanke an Rache. Den Dolch, welchen die Orsina ihm aufdringt, nimmt er willig an, und nichts ge¬ ringeres scheint er im Schilde zu führen, als er der scheidenden Orsina die Worte zuraunt: — „Sie werden von mir hören" —, als den Prinzen ans dem Wege zu räumen und so seine Tochter zu befreien. Schon ist es ihm klar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/348>, abgerufen am 28.12.2024.