Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Lessittgstudim, bei denen es nicht langen Grübelns bedarf einen Entschluß zu fassen, und wenn Wir aber, vor deren Augen das Furchtbare geschieht, müssen, salls die Be¬ Lessittgstudim, bei denen es nicht langen Grübelns bedarf einen Entschluß zu fassen, und wenn Wir aber, vor deren Augen das Furchtbare geschieht, müssen, salls die Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149330"/> <fw type="header" place="top"> Lessittgstudim,</fw><lb/> <p xml:id="ID_956" prev="#ID_955"> bei denen es nicht langen Grübelns bedarf einen Entschluß zu fassen, und wenn<lb/> er gefaßt ist, dem raschen Entschlüsse die rasche That folgt. Sobald der Vater<lb/> ihr in dem letzten Zwiegespräche, das ihm gewährt ist, die gegenwärtige Lage<lb/> in ihrer ganzen Furchtbarkeit offenbart, ihr mitgetheilt hat, daß der Graf<lb/> todt ist, sie selbst in den Händen ihres Räubers bleiben soll, um von da unter<lb/> dein Vormunde einer gerichtlichen Untersuchung in das Haus des Kanzlers Grimaldi<lb/> gebracht zu werden, als sie alles das vernimmt, da bittet sie den Bater flehentlich,<lb/> sie vor der Schande zu bewahren und ihr den Stahl in die Brust zu senken.<lb/> Um ihn, der lange zaudernd in Unschlüssigkeit verharrt, noch mehr anzustacheln,<lb/> spricht sie hier fast schon im Angesichte der Ewigkeit ihre sündhafte Schwäche<lb/> gegen den Prinzen in so unverhüllten Worten aus, als sie es mir immer über<lb/> sich zu gewinnen vermag. Eins freilich vermag sie nicht, und das giebt ihren<lb/> Worten unbestreitbar etwas hartes und hat wahrscheinlich am meisten dazu bei¬<lb/> getragen, die schärfsten Urtheile über die Katastrophe herbeizuführen — sie<lb/> vermag, wie es schon einmal betont wurde, den einzelnen Fall nur verallge¬<lb/> meinert und gleichsam verhüllt in Worte zu fassen. Daß gerade der Prinz<lb/> es ist, vor dem sie zittern muß, wird sie nun und nimmer aussprechen, denn<lb/> die Scham schließt ihr deu Mund. Darum haftet sie lieber ihrem Charakter<lb/> einen unverdienten Makel an und erhebt die furchtbarste Anklage ganz im all¬<lb/> gemeinen gegen sich, darum ruft sie auf den Einwurf Odoardos, wie ihre Unschuld<lb/> doch über alle Gewalt erhaben sei, mit dürren Worten aus: „Aber nicht über<lb/> alle Verführung. Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was<lb/> Gewalt heißt, ist nichts. Verführung ist die wahre Gewalt!" und dann ans<lb/> sich selbst Bezug nehmend: „Ich habe Blut, mein Vater; so jugendliches, so<lb/> warmes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe sür nichts.<lb/> Ich bin für nichts gut." Und als trotzdem Odoardv noch immer schwankt, ihr<lb/> auch den Dolch, den schon ergriffnen, wieder entreißt, da mahnt sie ihn mit<lb/> vorwurfsvollen Worten an die edeln Beispiele der Vergangenheit: „Ehedem<lb/> wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr<lb/> den ersten den besten Stahl in das Herz senkte — ihr zum zweiten Male das<lb/> Leben gab. Aber alle solche Thaten sind von ehedem! Solcher Väter giebt es<lb/> keine mehr!" Und doch, dieser begeisterte Hinweis auf den Helden des Alter¬<lb/> thums, auf den Vater der Virginia, verfehlt bei Odoardv seine Wirkung nicht;<lb/> er ersticht seine Tochter, er „bricht die Rose, ehe der Sturm sie entblättert."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_957"> Wir aber, vor deren Augen das Furchtbare geschieht, müssen, salls die Be¬<lb/> rechtigung der Katastrophe dieser Tragödie völlig erwiesen werden soll, nun auch<lb/> die zweite Frage auswerfen: Hat Odoardv ein Recht seine Tochter zu ermorden?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0346]
Lessittgstudim,
bei denen es nicht langen Grübelns bedarf einen Entschluß zu fassen, und wenn
er gefaßt ist, dem raschen Entschlüsse die rasche That folgt. Sobald der Vater
ihr in dem letzten Zwiegespräche, das ihm gewährt ist, die gegenwärtige Lage
in ihrer ganzen Furchtbarkeit offenbart, ihr mitgetheilt hat, daß der Graf
todt ist, sie selbst in den Händen ihres Räubers bleiben soll, um von da unter
dein Vormunde einer gerichtlichen Untersuchung in das Haus des Kanzlers Grimaldi
gebracht zu werden, als sie alles das vernimmt, da bittet sie den Bater flehentlich,
sie vor der Schande zu bewahren und ihr den Stahl in die Brust zu senken.
Um ihn, der lange zaudernd in Unschlüssigkeit verharrt, noch mehr anzustacheln,
spricht sie hier fast schon im Angesichte der Ewigkeit ihre sündhafte Schwäche
gegen den Prinzen in so unverhüllten Worten aus, als sie es mir immer über
sich zu gewinnen vermag. Eins freilich vermag sie nicht, und das giebt ihren
Worten unbestreitbar etwas hartes und hat wahrscheinlich am meisten dazu bei¬
getragen, die schärfsten Urtheile über die Katastrophe herbeizuführen — sie
vermag, wie es schon einmal betont wurde, den einzelnen Fall nur verallge¬
meinert und gleichsam verhüllt in Worte zu fassen. Daß gerade der Prinz
es ist, vor dem sie zittern muß, wird sie nun und nimmer aussprechen, denn
die Scham schließt ihr deu Mund. Darum haftet sie lieber ihrem Charakter
einen unverdienten Makel an und erhebt die furchtbarste Anklage ganz im all¬
gemeinen gegen sich, darum ruft sie auf den Einwurf Odoardos, wie ihre Unschuld
doch über alle Gewalt erhaben sei, mit dürren Worten aus: „Aber nicht über
alle Verführung. Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was
Gewalt heißt, ist nichts. Verführung ist die wahre Gewalt!" und dann ans
sich selbst Bezug nehmend: „Ich habe Blut, mein Vater; so jugendliches, so
warmes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe sür nichts.
Ich bin für nichts gut." Und als trotzdem Odoardv noch immer schwankt, ihr
auch den Dolch, den schon ergriffnen, wieder entreißt, da mahnt sie ihn mit
vorwurfsvollen Worten an die edeln Beispiele der Vergangenheit: „Ehedem
wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr
den ersten den besten Stahl in das Herz senkte — ihr zum zweiten Male das
Leben gab. Aber alle solche Thaten sind von ehedem! Solcher Väter giebt es
keine mehr!" Und doch, dieser begeisterte Hinweis auf den Helden des Alter¬
thums, auf den Vater der Virginia, verfehlt bei Odoardv seine Wirkung nicht;
er ersticht seine Tochter, er „bricht die Rose, ehe der Sturm sie entblättert."
Wir aber, vor deren Augen das Furchtbare geschieht, müssen, salls die Be¬
rechtigung der Katastrophe dieser Tragödie völlig erwiesen werden soll, nun auch
die zweite Frage auswerfen: Hat Odoardv ein Recht seine Tochter zu ermorden?
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