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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

los gewesen zu sein. Im Jahre 1840 verlobte sich Mosen mit einem liebens¬
würdigen Mädchen Minna Jnngwirth, die ihren Werth und innern Adel nicht
nur im Glücke der Brautzeit und der jungen Ehe, sondern auch später in den
langen, harten Leidensjahren des geliebten und tief verehrten Gatten leuchtend
bewähren sollte. Auch dies Glück ward sür Mosen ein Sporn zu kräftigeren
und reicheren Schaffen. Soviel wir übersehen können, war in Mosers Lebens¬
kreisen keineswegs die eitle Vergötterung heimisch, deren Gutzkow in seiner Ver¬
bitterung und mit der verhängnißvollen Neigung, die Splitter in andrer Augen
zu erblicken, des Dichters Umgebungen beschuldigt. "Mosen drückte mir schon,
früh die mit glücklichen Mitteln erworbne Kunst aus, sich eine Huldigungs¬
gemeinde zu bilden. Ich fand die sächsische Enthusiasmierungsfähigkeit in Thätigkeit,
ihm in Dresden einen stattlichen Cultustempel zu bauen. Alle waren es vor¬
treffliche, liebenswürdige Menschen, der Meister obenan. Sie versammelten sich,
tranken Thee, setzten sich zuletzt um einen von feingebildeten Frauen geordneten
Tisch und ließen einander leben, der Bedeutendere den Unbedeutenderen, der
Maler den Musiker, der Musiker deu Dichter, der Dichter deu Bildhauer. In
der Presse spiegelte sich das schöne, harmonische Bild wieder. Zu solchem Groß-
kophtathum hatte mir die Natur das Talent versagt." (Gutzkow, Rückblicke auf
mein Leben. Berlin, 1875. S. 283). Der Ausfall scheint völlig unmotiviert zu
sein; gewiß ist, daß Mosers poetisches Schaffen die Farbe nicht trügt, welche
allem künstlerischen Thun in Huldigungsgemeinden und ästhetischen Thees an¬
gekränkelt zu werden pflegt. Es waren andre Einflüsse als die der bewundernden
Freunde, welche Mosers Entwicklung theilweise in falsche Bahnen lenkten und
gerade den größern, breiter angelegten Werken, welche er in Dresden schuf,
Elemente beimischten, die ihre tiefte und bleibende Wirkung gefährden mußten.

Mosen hatte zu Anfang dieser Dresdner Periode die erste Sammlung
seiner "Gedichte" erscheinen lassen, in welcher sich sein echt lyrisches Talent in
einer verhältnißmäßig kleinen Reihe vollendeter Gedichte aussprach. Im Gegen¬
satz zu Naturen wie Rückert und Geibel, gehörte Mosen zu den Lyrikern, die,
wenn sie den vollendeten Ausdruck für eine Stimmung einmal gefunden haben,
sich selten gedrängt fühlen, diese Stimmung zu variiren. Ohne daß er zu den
Nachfolgern Uhlcmds gerechnet werden darf, ist er in diesem Betracht aus
Uhlcmds Schule. Auch darin gemahnt er an den großen schwäbischen Dichter,
daß er dann am glücklichsten ist, wenn er in volksliedmäßiger Weise seines
Herzens tiefste Sehnsucht oder Empfindung in ein schlichtes Naturbild hinein¬
hauchen kann, wenn er eine Fülle von Leben und Stimmung in jenen kleinen
Poetischen Gebilden zusammendrängt, die vom Liede zur Ballade übergehen.
Daneben freilich sucht er auch für grüblerische Betrachtungen und schmerzliche
innere Kämpfe die poetische Fassung. Gedichte wie "Weltsünde," "Nacht," wie


Julius Mosen.

los gewesen zu sein. Im Jahre 1840 verlobte sich Mosen mit einem liebens¬
würdigen Mädchen Minna Jnngwirth, die ihren Werth und innern Adel nicht
nur im Glücke der Brautzeit und der jungen Ehe, sondern auch später in den
langen, harten Leidensjahren des geliebten und tief verehrten Gatten leuchtend
bewähren sollte. Auch dies Glück ward sür Mosen ein Sporn zu kräftigeren
und reicheren Schaffen. Soviel wir übersehen können, war in Mosers Lebens¬
kreisen keineswegs die eitle Vergötterung heimisch, deren Gutzkow in seiner Ver¬
bitterung und mit der verhängnißvollen Neigung, die Splitter in andrer Augen
zu erblicken, des Dichters Umgebungen beschuldigt. „Mosen drückte mir schon,
früh die mit glücklichen Mitteln erworbne Kunst aus, sich eine Huldigungs¬
gemeinde zu bilden. Ich fand die sächsische Enthusiasmierungsfähigkeit in Thätigkeit,
ihm in Dresden einen stattlichen Cultustempel zu bauen. Alle waren es vor¬
treffliche, liebenswürdige Menschen, der Meister obenan. Sie versammelten sich,
tranken Thee, setzten sich zuletzt um einen von feingebildeten Frauen geordneten
Tisch und ließen einander leben, der Bedeutendere den Unbedeutenderen, der
Maler den Musiker, der Musiker deu Dichter, der Dichter deu Bildhauer. In
der Presse spiegelte sich das schöne, harmonische Bild wieder. Zu solchem Groß-
kophtathum hatte mir die Natur das Talent versagt." (Gutzkow, Rückblicke auf
mein Leben. Berlin, 1875. S. 283). Der Ausfall scheint völlig unmotiviert zu
sein; gewiß ist, daß Mosers poetisches Schaffen die Farbe nicht trügt, welche
allem künstlerischen Thun in Huldigungsgemeinden und ästhetischen Thees an¬
gekränkelt zu werden pflegt. Es waren andre Einflüsse als die der bewundernden
Freunde, welche Mosers Entwicklung theilweise in falsche Bahnen lenkten und
gerade den größern, breiter angelegten Werken, welche er in Dresden schuf,
Elemente beimischten, die ihre tiefte und bleibende Wirkung gefährden mußten.

Mosen hatte zu Anfang dieser Dresdner Periode die erste Sammlung
seiner „Gedichte" erscheinen lassen, in welcher sich sein echt lyrisches Talent in
einer verhältnißmäßig kleinen Reihe vollendeter Gedichte aussprach. Im Gegen¬
satz zu Naturen wie Rückert und Geibel, gehörte Mosen zu den Lyrikern, die,
wenn sie den vollendeten Ausdruck für eine Stimmung einmal gefunden haben,
sich selten gedrängt fühlen, diese Stimmung zu variiren. Ohne daß er zu den
Nachfolgern Uhlcmds gerechnet werden darf, ist er in diesem Betracht aus
Uhlcmds Schule. Auch darin gemahnt er an den großen schwäbischen Dichter,
daß er dann am glücklichsten ist, wenn er in volksliedmäßiger Weise seines
Herzens tiefste Sehnsucht oder Empfindung in ein schlichtes Naturbild hinein¬
hauchen kann, wenn er eine Fülle von Leben und Stimmung in jenen kleinen
Poetischen Gebilden zusammendrängt, die vom Liede zur Ballade übergehen.
Daneben freilich sucht er auch für grüblerische Betrachtungen und schmerzliche
innere Kämpfe die poetische Fassung. Gedichte wie „Weltsünde," „Nacht," wie


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[0031] Julius Mosen. los gewesen zu sein. Im Jahre 1840 verlobte sich Mosen mit einem liebens¬ würdigen Mädchen Minna Jnngwirth, die ihren Werth und innern Adel nicht nur im Glücke der Brautzeit und der jungen Ehe, sondern auch später in den langen, harten Leidensjahren des geliebten und tief verehrten Gatten leuchtend bewähren sollte. Auch dies Glück ward sür Mosen ein Sporn zu kräftigeren und reicheren Schaffen. Soviel wir übersehen können, war in Mosers Lebens¬ kreisen keineswegs die eitle Vergötterung heimisch, deren Gutzkow in seiner Ver¬ bitterung und mit der verhängnißvollen Neigung, die Splitter in andrer Augen zu erblicken, des Dichters Umgebungen beschuldigt. „Mosen drückte mir schon, früh die mit glücklichen Mitteln erworbne Kunst aus, sich eine Huldigungs¬ gemeinde zu bilden. Ich fand die sächsische Enthusiasmierungsfähigkeit in Thätigkeit, ihm in Dresden einen stattlichen Cultustempel zu bauen. Alle waren es vor¬ treffliche, liebenswürdige Menschen, der Meister obenan. Sie versammelten sich, tranken Thee, setzten sich zuletzt um einen von feingebildeten Frauen geordneten Tisch und ließen einander leben, der Bedeutendere den Unbedeutenderen, der Maler den Musiker, der Musiker deu Dichter, der Dichter deu Bildhauer. In der Presse spiegelte sich das schöne, harmonische Bild wieder. Zu solchem Groß- kophtathum hatte mir die Natur das Talent versagt." (Gutzkow, Rückblicke auf mein Leben. Berlin, 1875. S. 283). Der Ausfall scheint völlig unmotiviert zu sein; gewiß ist, daß Mosers poetisches Schaffen die Farbe nicht trügt, welche allem künstlerischen Thun in Huldigungsgemeinden und ästhetischen Thees an¬ gekränkelt zu werden pflegt. Es waren andre Einflüsse als die der bewundernden Freunde, welche Mosers Entwicklung theilweise in falsche Bahnen lenkten und gerade den größern, breiter angelegten Werken, welche er in Dresden schuf, Elemente beimischten, die ihre tiefte und bleibende Wirkung gefährden mußten. Mosen hatte zu Anfang dieser Dresdner Periode die erste Sammlung seiner „Gedichte" erscheinen lassen, in welcher sich sein echt lyrisches Talent in einer verhältnißmäßig kleinen Reihe vollendeter Gedichte aussprach. Im Gegen¬ satz zu Naturen wie Rückert und Geibel, gehörte Mosen zu den Lyrikern, die, wenn sie den vollendeten Ausdruck für eine Stimmung einmal gefunden haben, sich selten gedrängt fühlen, diese Stimmung zu variiren. Ohne daß er zu den Nachfolgern Uhlcmds gerechnet werden darf, ist er in diesem Betracht aus Uhlcmds Schule. Auch darin gemahnt er an den großen schwäbischen Dichter, daß er dann am glücklichsten ist, wenn er in volksliedmäßiger Weise seines Herzens tiefste Sehnsucht oder Empfindung in ein schlichtes Naturbild hinein¬ hauchen kann, wenn er eine Fülle von Leben und Stimmung in jenen kleinen Poetischen Gebilden zusammendrängt, die vom Liede zur Ballade übergehen. Daneben freilich sucht er auch für grüblerische Betrachtungen und schmerzliche innere Kämpfe die poetische Fassung. Gedichte wie „Weltsünde," „Nacht," wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/31>, abgerufen am 27.12.2024.