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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Lessingstndien.

hören, die gar nicht muss Theater kamen, so ist es zu ihrer Würdigung vielleicht
nicht uninteressant zu erfahren, wie Lessing über diese Frage dachte, als er an
der Dramaturgie arbeitete, "Hat man jemals gehört," sagt er dort (39. Stück),
"daß ein Trauerspiel nach einer Person benannt worden, die gar nicht darin
vorkommt?"

Das Resultat ist: Lessings Worte bedeuten zum Theil nicht das, was sie
nach jener Auslegung bedeuten müßten, zum Theil charakterisiren sie sich als
unbedachte Aeußerungen des Augenblicks, die vor einer nähern Prüfung an
Lessings eignen Worten in der Dramaturgie zusammenfallen. Die Heldin des
Stückes also bleibt Emilia Galotti, und der Sinn des Ganzen ist nicht -- mit
Julian Schmidt zu reden -- der Erweis, wie "unnmschrünkte Monarchie auch
gut angelegte Naturen tyrannisch" macht, sondern dieses Trauerspiel, welchem
Lessing den Namen "Emilia Galotti" gegeben hat, ist vielmehr, wie der Autor
es wiederholt selbst ausgesprochen hat, "weiter nichts als eine modernisirte, von
allem Staatsinteresse befreite Virginia."*)

Diese Worte müssen den Ausgangspunkt unsrer Untersuchung bilden. Lessings
einseitige Abneigung gegen das historische Schauspiel ist bekannt. "Die Namen
von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben,
aber zur Rührung tragen sie nichts bei," sagt er bei Besprechung seiner eignen
"Miß Sara" in der Dramaturgie (14. Stück). "Immerhin mögen ganze
Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfordert einen einzelnen
Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstracter Begriff für unsre Em¬
pfindungen." Eben diese Abneigung wird vielleicht der Grund gewesen sein, weshalb
Lessing den schon angefangnen Entwurf einer "Virginia" in ihrem ursprüng¬
lichen antiken Gewände unvollendet gelassen hat und sich der bürglichen Virginia
zuwandte.

Aber es könnte diese Erscheinung auch noch eine andre Ursache haben. Man
hat dem Dichter jene Uebertragung des antiken Stoffes auf moderne Verhältnisse
vielfach verdacht und sie eine gewaltsame genannt, die sich an dem Stück und
insbesondre an seiner Katastrophe schwer gerächt habe. Ich glaube, daß dieser
Tadel nicht begründet ist, daß Lessing vielmehr mit gutem Grunde handelte, wenn
er den Boden der Manischen Erzählung verließ. Denn diese Erzählung bot ihm
null einmal, so wie sie der Historiker überlieferte, weder Handlung noch Charaktere,
die er zu einer Tragödie gebrauchen konnte. VirgininS ersticht seine Tochter,
um sie aus den Händen der Gewalt zu befreien, seine That ist in römischen
Verhältnissen und Rechtsbegriffen vollkommen begründet, sie ist rein menschlich



*) S. Lessing an seinen Bruder KM, 1. Miirz 1772; nu den Herzog von Braunschweig,
Anfang März 1772; an Nicolai, 21. Januar 17S8 (!),
Lessingstndien.

hören, die gar nicht muss Theater kamen, so ist es zu ihrer Würdigung vielleicht
nicht uninteressant zu erfahren, wie Lessing über diese Frage dachte, als er an
der Dramaturgie arbeitete, „Hat man jemals gehört," sagt er dort (39. Stück),
„daß ein Trauerspiel nach einer Person benannt worden, die gar nicht darin
vorkommt?"

Das Resultat ist: Lessings Worte bedeuten zum Theil nicht das, was sie
nach jener Auslegung bedeuten müßten, zum Theil charakterisiren sie sich als
unbedachte Aeußerungen des Augenblicks, die vor einer nähern Prüfung an
Lessings eignen Worten in der Dramaturgie zusammenfallen. Die Heldin des
Stückes also bleibt Emilia Galotti, und der Sinn des Ganzen ist nicht — mit
Julian Schmidt zu reden — der Erweis, wie „unnmschrünkte Monarchie auch
gut angelegte Naturen tyrannisch" macht, sondern dieses Trauerspiel, welchem
Lessing den Namen „Emilia Galotti" gegeben hat, ist vielmehr, wie der Autor
es wiederholt selbst ausgesprochen hat, „weiter nichts als eine modernisirte, von
allem Staatsinteresse befreite Virginia."*)

Diese Worte müssen den Ausgangspunkt unsrer Untersuchung bilden. Lessings
einseitige Abneigung gegen das historische Schauspiel ist bekannt. „Die Namen
von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben,
aber zur Rührung tragen sie nichts bei," sagt er bei Besprechung seiner eignen
„Miß Sara" in der Dramaturgie (14. Stück). „Immerhin mögen ganze
Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfordert einen einzelnen
Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstracter Begriff für unsre Em¬
pfindungen." Eben diese Abneigung wird vielleicht der Grund gewesen sein, weshalb
Lessing den schon angefangnen Entwurf einer „Virginia" in ihrem ursprüng¬
lichen antiken Gewände unvollendet gelassen hat und sich der bürglichen Virginia
zuwandte.

Aber es könnte diese Erscheinung auch noch eine andre Ursache haben. Man
hat dem Dichter jene Uebertragung des antiken Stoffes auf moderne Verhältnisse
vielfach verdacht und sie eine gewaltsame genannt, die sich an dem Stück und
insbesondre an seiner Katastrophe schwer gerächt habe. Ich glaube, daß dieser
Tadel nicht begründet ist, daß Lessing vielmehr mit gutem Grunde handelte, wenn
er den Boden der Manischen Erzählung verließ. Denn diese Erzählung bot ihm
null einmal, so wie sie der Historiker überlieferte, weder Handlung noch Charaktere,
die er zu einer Tragödie gebrauchen konnte. VirgininS ersticht seine Tochter,
um sie aus den Händen der Gewalt zu befreien, seine That ist in römischen
Verhältnissen und Rechtsbegriffen vollkommen begründet, sie ist rein menschlich



*) S. Lessing an seinen Bruder KM, 1. Miirz 1772; nu den Herzog von Braunschweig,
Anfang März 1772; an Nicolai, 21. Januar 17S8 (!),
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[0304] Lessingstndien. hören, die gar nicht muss Theater kamen, so ist es zu ihrer Würdigung vielleicht nicht uninteressant zu erfahren, wie Lessing über diese Frage dachte, als er an der Dramaturgie arbeitete, „Hat man jemals gehört," sagt er dort (39. Stück), „daß ein Trauerspiel nach einer Person benannt worden, die gar nicht darin vorkommt?" Das Resultat ist: Lessings Worte bedeuten zum Theil nicht das, was sie nach jener Auslegung bedeuten müßten, zum Theil charakterisiren sie sich als unbedachte Aeußerungen des Augenblicks, die vor einer nähern Prüfung an Lessings eignen Worten in der Dramaturgie zusammenfallen. Die Heldin des Stückes also bleibt Emilia Galotti, und der Sinn des Ganzen ist nicht — mit Julian Schmidt zu reden — der Erweis, wie „unnmschrünkte Monarchie auch gut angelegte Naturen tyrannisch" macht, sondern dieses Trauerspiel, welchem Lessing den Namen „Emilia Galotti" gegeben hat, ist vielmehr, wie der Autor es wiederholt selbst ausgesprochen hat, „weiter nichts als eine modernisirte, von allem Staatsinteresse befreite Virginia."*) Diese Worte müssen den Ausgangspunkt unsrer Untersuchung bilden. Lessings einseitige Abneigung gegen das historische Schauspiel ist bekannt. „Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben, aber zur Rührung tragen sie nichts bei," sagt er bei Besprechung seiner eignen „Miß Sara" in der Dramaturgie (14. Stück). „Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfordert einen einzelnen Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstracter Begriff für unsre Em¬ pfindungen." Eben diese Abneigung wird vielleicht der Grund gewesen sein, weshalb Lessing den schon angefangnen Entwurf einer „Virginia" in ihrem ursprüng¬ lichen antiken Gewände unvollendet gelassen hat und sich der bürglichen Virginia zuwandte. Aber es könnte diese Erscheinung auch noch eine andre Ursache haben. Man hat dem Dichter jene Uebertragung des antiken Stoffes auf moderne Verhältnisse vielfach verdacht und sie eine gewaltsame genannt, die sich an dem Stück und insbesondre an seiner Katastrophe schwer gerächt habe. Ich glaube, daß dieser Tadel nicht begründet ist, daß Lessing vielmehr mit gutem Grunde handelte, wenn er den Boden der Manischen Erzählung verließ. Denn diese Erzählung bot ihm null einmal, so wie sie der Historiker überlieferte, weder Handlung noch Charaktere, die er zu einer Tragödie gebrauchen konnte. VirgininS ersticht seine Tochter, um sie aus den Händen der Gewalt zu befreien, seine That ist in römischen Verhältnissen und Rechtsbegriffen vollkommen begründet, sie ist rein menschlich *) S. Lessing an seinen Bruder KM, 1. Miirz 1772; nu den Herzog von Braunschweig, Anfang März 1772; an Nicolai, 21. Januar 17S8 (!),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/304>, abgerufen am 28.12.2024.