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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Lappom,

großer Mechaniker; in Bezug auf die geistigen Mächte verrechnet er sich und
scheint keinen Begriff von der Natur des Gegenstandes zu haben, den er provocirt.
Das unverjährte Recht der Kirche anerkenne!?, ist kein Canossa." (Reumont
a. a. O., S. 410 f.) Wenn das katholische Volk festhalte -- und daran sei
nicht zu zweifeln ^ so sei das Nachgeben der Negierung nnr eine Frage der
Zeit. Mit Döllinger, den er sehr hochachtete, und den Altkatholiken war er in
vieler Hinsicht theoretisch einverstanden, aber ihren Bruch mit der römischen Kirche
billigte er nicht. Die Jnfallibilität sx oMvckra erschien ihm auch als die na¬
türliche Krönung des Gebäudes, so sehr er andrerseits deren ausdrückliche
Definirnng auf dem vaticanischen Concil mißbilligte. Der Italiener, so weit
er nicht der philosophisch und politisch radicalen Partei angehört, erblickt das
Papstthum in einem ganz andern Lichte als der Deutsche; mag er im natio¬
nalen Interesse noch so sehr Gegner seiner weltlichen Herrschaft sein, so betrachtet
er es doch als ein nationales Institut, einen unveräußerlichen Edelstein in der
Ehrenkronc der Italie, und zugleich als eine altehrwürdige, mit dem ganzen Leben
seines Volkes aufs innigste verwachsene Tradition, an der man nicht rütteln dürfe.
Ja, viele hochstehende Italiener, persönlich durchaus ungläubig, schrecken doch
vor jeder Verletzung der kirchlichen Privilegien wie vor einem Sacrilegium zurück.
Es tritt uns hier eine ähnliche Erscheinung gegenüber wie bei den Engländern
der höhern Stände. Mit der .Kirche auf gutem Fuße zu leben, ihre Gottes¬
dienste zu besuchen, ihre Ceremonien mitzumachen, gehört dort zur ro8poLtÄ"iMy.
Bei Giuv Cappvni freilich war es mehr; seine Religiosität, jeder äußerlichen
Schaustellung abgewandt, ruhte auf tiefinncrlicher Ueberzeugung.

Als Achtzigjähriger beklagte Cappvni, daß man in seiner Jugend in Italien
nicht gelebt, daß es für einen denkenden und selbständigen Menschen kein Feld
der öffentlichen Thätigkeit gegeben habe. Gewiß ist, daß, -wenn die großartige
politische Bewegung der spätern Jahre in seine Jugendzeit gefallen wäre, er
thätigen Antheil daran genommen hätte. Dennoch ist es mehr als zweifelhaft,
ob er auch dann eine leitende, hervorragende Rolle gespielt, schaffend und ge¬
staltend ans den Gang der Dinge eingewirkt haben würde. Giuv Capponi war
kein praktischer Politiker; er hat nie, selbst nicht während seines kurzen Ministeriums,
einen nennenswerthen directen Einfluß auf den Gang der Dinge in seinem Vaterlande
geübt. Er war mich kein Liberaler nach der gewöhnlichen Schulthevrie. Er gehörte
der religiös-nationalen Schule an, deren poetischer Vertreter Manzoni, deren
Kritiker Tvmmaseo, deren Philosophen Rosmini und Giobcrti, deren Historiker
Troja, Balbv und er selbst waren. Ein begeisterter Patriot, lag ihm das Wohl
seines Heimatlandes vor allein am Herzen; aber er erkannte dasselbe keineswegs
wie die meisten seiner Landsleute vor allem oder allein in der Freiheit. Bei


Giuv Lappom,

großer Mechaniker; in Bezug auf die geistigen Mächte verrechnet er sich und
scheint keinen Begriff von der Natur des Gegenstandes zu haben, den er provocirt.
Das unverjährte Recht der Kirche anerkenne!?, ist kein Canossa." (Reumont
a. a. O., S. 410 f.) Wenn das katholische Volk festhalte — und daran sei
nicht zu zweifeln ^ so sei das Nachgeben der Negierung nnr eine Frage der
Zeit. Mit Döllinger, den er sehr hochachtete, und den Altkatholiken war er in
vieler Hinsicht theoretisch einverstanden, aber ihren Bruch mit der römischen Kirche
billigte er nicht. Die Jnfallibilität sx oMvckra erschien ihm auch als die na¬
türliche Krönung des Gebäudes, so sehr er andrerseits deren ausdrückliche
Definirnng auf dem vaticanischen Concil mißbilligte. Der Italiener, so weit
er nicht der philosophisch und politisch radicalen Partei angehört, erblickt das
Papstthum in einem ganz andern Lichte als der Deutsche; mag er im natio¬
nalen Interesse noch so sehr Gegner seiner weltlichen Herrschaft sein, so betrachtet
er es doch als ein nationales Institut, einen unveräußerlichen Edelstein in der
Ehrenkronc der Italie, und zugleich als eine altehrwürdige, mit dem ganzen Leben
seines Volkes aufs innigste verwachsene Tradition, an der man nicht rütteln dürfe.
Ja, viele hochstehende Italiener, persönlich durchaus ungläubig, schrecken doch
vor jeder Verletzung der kirchlichen Privilegien wie vor einem Sacrilegium zurück.
Es tritt uns hier eine ähnliche Erscheinung gegenüber wie bei den Engländern
der höhern Stände. Mit der .Kirche auf gutem Fuße zu leben, ihre Gottes¬
dienste zu besuchen, ihre Ceremonien mitzumachen, gehört dort zur ro8poLtÄ»iMy.
Bei Giuv Cappvni freilich war es mehr; seine Religiosität, jeder äußerlichen
Schaustellung abgewandt, ruhte auf tiefinncrlicher Ueberzeugung.

Als Achtzigjähriger beklagte Cappvni, daß man in seiner Jugend in Italien
nicht gelebt, daß es für einen denkenden und selbständigen Menschen kein Feld
der öffentlichen Thätigkeit gegeben habe. Gewiß ist, daß, -wenn die großartige
politische Bewegung der spätern Jahre in seine Jugendzeit gefallen wäre, er
thätigen Antheil daran genommen hätte. Dennoch ist es mehr als zweifelhaft,
ob er auch dann eine leitende, hervorragende Rolle gespielt, schaffend und ge¬
staltend ans den Gang der Dinge eingewirkt haben würde. Giuv Capponi war
kein praktischer Politiker; er hat nie, selbst nicht während seines kurzen Ministeriums,
einen nennenswerthen directen Einfluß auf den Gang der Dinge in seinem Vaterlande
geübt. Er war mich kein Liberaler nach der gewöhnlichen Schulthevrie. Er gehörte
der religiös-nationalen Schule an, deren poetischer Vertreter Manzoni, deren
Kritiker Tvmmaseo, deren Philosophen Rosmini und Giobcrti, deren Historiker
Troja, Balbv und er selbst waren. Ein begeisterter Patriot, lag ihm das Wohl
seines Heimatlandes vor allein am Herzen; aber er erkannte dasselbe keineswegs
wie die meisten seiner Landsleute vor allem oder allein in der Freiheit. Bei


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[0266] Giuv Lappom, großer Mechaniker; in Bezug auf die geistigen Mächte verrechnet er sich und scheint keinen Begriff von der Natur des Gegenstandes zu haben, den er provocirt. Das unverjährte Recht der Kirche anerkenne!?, ist kein Canossa." (Reumont a. a. O., S. 410 f.) Wenn das katholische Volk festhalte — und daran sei nicht zu zweifeln ^ so sei das Nachgeben der Negierung nnr eine Frage der Zeit. Mit Döllinger, den er sehr hochachtete, und den Altkatholiken war er in vieler Hinsicht theoretisch einverstanden, aber ihren Bruch mit der römischen Kirche billigte er nicht. Die Jnfallibilität sx oMvckra erschien ihm auch als die na¬ türliche Krönung des Gebäudes, so sehr er andrerseits deren ausdrückliche Definirnng auf dem vaticanischen Concil mißbilligte. Der Italiener, so weit er nicht der philosophisch und politisch radicalen Partei angehört, erblickt das Papstthum in einem ganz andern Lichte als der Deutsche; mag er im natio¬ nalen Interesse noch so sehr Gegner seiner weltlichen Herrschaft sein, so betrachtet er es doch als ein nationales Institut, einen unveräußerlichen Edelstein in der Ehrenkronc der Italie, und zugleich als eine altehrwürdige, mit dem ganzen Leben seines Volkes aufs innigste verwachsene Tradition, an der man nicht rütteln dürfe. Ja, viele hochstehende Italiener, persönlich durchaus ungläubig, schrecken doch vor jeder Verletzung der kirchlichen Privilegien wie vor einem Sacrilegium zurück. Es tritt uns hier eine ähnliche Erscheinung gegenüber wie bei den Engländern der höhern Stände. Mit der .Kirche auf gutem Fuße zu leben, ihre Gottes¬ dienste zu besuchen, ihre Ceremonien mitzumachen, gehört dort zur ro8poLtÄ»iMy. Bei Giuv Cappvni freilich war es mehr; seine Religiosität, jeder äußerlichen Schaustellung abgewandt, ruhte auf tiefinncrlicher Ueberzeugung. Als Achtzigjähriger beklagte Cappvni, daß man in seiner Jugend in Italien nicht gelebt, daß es für einen denkenden und selbständigen Menschen kein Feld der öffentlichen Thätigkeit gegeben habe. Gewiß ist, daß, -wenn die großartige politische Bewegung der spätern Jahre in seine Jugendzeit gefallen wäre, er thätigen Antheil daran genommen hätte. Dennoch ist es mehr als zweifelhaft, ob er auch dann eine leitende, hervorragende Rolle gespielt, schaffend und ge¬ staltend ans den Gang der Dinge eingewirkt haben würde. Giuv Capponi war kein praktischer Politiker; er hat nie, selbst nicht während seines kurzen Ministeriums, einen nennenswerthen directen Einfluß auf den Gang der Dinge in seinem Vaterlande geübt. Er war mich kein Liberaler nach der gewöhnlichen Schulthevrie. Er gehörte der religiös-nationalen Schule an, deren poetischer Vertreter Manzoni, deren Kritiker Tvmmaseo, deren Philosophen Rosmini und Giobcrti, deren Historiker Troja, Balbv und er selbst waren. Ein begeisterter Patriot, lag ihm das Wohl seines Heimatlandes vor allein am Herzen; aber er erkannte dasselbe keineswegs wie die meisten seiner Landsleute vor allem oder allein in der Freiheit. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/266>, abgerufen am 28.12.2024.