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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Lapponi.

Himmel wie der Mehrzahl seiner Landsleute. Er war sich der großen Mängel
des neuen Staatswesens wohl bewußt und schalt die Ungeduld derer, welche
erwarteten und verlangten, daß das junge Königreich den alten und gefesteten
Großstaaten mit einem Schlage vollkommen ebenbürtig sein sollte, "Wir müssen
noch vieles lernen," Pflegte er zu sagen; "mau arbeitet bei uns zu wenig, so¬
wohl mit dem Kopfe wie mit den Armen. Es sehlt uns an Festigkeit des
Willens wie an Ausdauer."

Die Annexion Venetiens gereichte ihm zur ganz besondern Frende, weil er
von der ererbten politischen Begabung der Venetianer große Bordseite für die
glückliche Entwicklung des Gesammtstaats erhoffte. Daß Welschtirvl österreichisch
blieb, war ihm sehr schmerzlich. "Trient müßten wir haben," sagte er vor dein
Friedensschlüsse, "auch wenn wir es kaufen sollten." Es sollte nicht sein; er
beschied sich, und als der letzte fremde Soldat über die italienische Grenze zurück¬
gegangen war, rief er aus: "Nun, o Herr, rufe mich zu Dir, alle meine Wünsche
sind erfüllt!"*)

Bei dem Ausbruche des Krieges vou 1870 erkannte er keine und offen die
Gerechtigkeit der deutschen Sache an und verwarf entschieden den Gedanken an
"ne französisch-italienische Allianz, die unter seine" politischen Freunden wie
in den höchsten Regionen viele Anhänger zählte. Als nach dem Tage von
Sedan das ungestüme Verlangen des Volkes das Ministerium Lanza endlich
zur Occupation Roms bestimmt hatte, sprach er sich, seiner alten Ueberzeugung
treu und der öffentlichen Meinung trotzend, gegen die Annexion der päpstlichen
Hauptstadt und ihre Wahl zur Metropole des Königreichs aus. Er wollte
einen auch politisch unabhängigen Papst und hielt deshalb im Senate eine ver¬
gebliche Rede gegen die Annahme des Plebiscits vom 2. October 1870, in dem
die Bevölkerung des Patrininms Petri mit erdrückender Majorität das Pavst-
königthnm verurtheilt hatte. Es war eine Jueonseauenz seiner politischen Auf¬
fassung; Neumond hat durchaus Recht, wenn er ihm nachweist, daß seine eignen
Ansichten in nothwendiger Folgerung zur Depossedirung des Papstes führen
mußten. Von vornherein war Cappvni allerdings kein Unitarier, er hätte den
Bundesstaat vorgezogen; erst allmählich überzeugte er sich davon, daß unter den
besondern Verhältnissen der Halbinsel der letztere eine Utopie sei, was freilich
sein deutscher Biograph nicht zugeben will.

In den sechziger Jahren wurde die mühsam erkämpfte Ruhe und Seelen¬
heiterkeit des Greises abermals durch mehrfaches Familienunglück und den Ver¬
lust treuer Freunde gestört. Beide Schwiegersöhne, mehrere Enkel und Urenkel



*) Nach einer der Inschriften in der Kirche Seneka Croce bei CnpponiS Leichenfeier.
Giuv Lapponi.

Himmel wie der Mehrzahl seiner Landsleute. Er war sich der großen Mängel
des neuen Staatswesens wohl bewußt und schalt die Ungeduld derer, welche
erwarteten und verlangten, daß das junge Königreich den alten und gefesteten
Großstaaten mit einem Schlage vollkommen ebenbürtig sein sollte, „Wir müssen
noch vieles lernen," Pflegte er zu sagen; „mau arbeitet bei uns zu wenig, so¬
wohl mit dem Kopfe wie mit den Armen. Es sehlt uns an Festigkeit des
Willens wie an Ausdauer."

Die Annexion Venetiens gereichte ihm zur ganz besondern Frende, weil er
von der ererbten politischen Begabung der Venetianer große Bordseite für die
glückliche Entwicklung des Gesammtstaats erhoffte. Daß Welschtirvl österreichisch
blieb, war ihm sehr schmerzlich. „Trient müßten wir haben," sagte er vor dein
Friedensschlüsse, „auch wenn wir es kaufen sollten." Es sollte nicht sein; er
beschied sich, und als der letzte fremde Soldat über die italienische Grenze zurück¬
gegangen war, rief er aus: „Nun, o Herr, rufe mich zu Dir, alle meine Wünsche
sind erfüllt!"*)

Bei dem Ausbruche des Krieges vou 1870 erkannte er keine und offen die
Gerechtigkeit der deutschen Sache an und verwarf entschieden den Gedanken an
«ne französisch-italienische Allianz, die unter seine» politischen Freunden wie
in den höchsten Regionen viele Anhänger zählte. Als nach dem Tage von
Sedan das ungestüme Verlangen des Volkes das Ministerium Lanza endlich
zur Occupation Roms bestimmt hatte, sprach er sich, seiner alten Ueberzeugung
treu und der öffentlichen Meinung trotzend, gegen die Annexion der päpstlichen
Hauptstadt und ihre Wahl zur Metropole des Königreichs aus. Er wollte
einen auch politisch unabhängigen Papst und hielt deshalb im Senate eine ver¬
gebliche Rede gegen die Annahme des Plebiscits vom 2. October 1870, in dem
die Bevölkerung des Patrininms Petri mit erdrückender Majorität das Pavst-
königthnm verurtheilt hatte. Es war eine Jueonseauenz seiner politischen Auf¬
fassung; Neumond hat durchaus Recht, wenn er ihm nachweist, daß seine eignen
Ansichten in nothwendiger Folgerung zur Depossedirung des Papstes führen
mußten. Von vornherein war Cappvni allerdings kein Unitarier, er hätte den
Bundesstaat vorgezogen; erst allmählich überzeugte er sich davon, daß unter den
besondern Verhältnissen der Halbinsel der letztere eine Utopie sei, was freilich
sein deutscher Biograph nicht zugeben will.

In den sechziger Jahren wurde die mühsam erkämpfte Ruhe und Seelen¬
heiterkeit des Greises abermals durch mehrfaches Familienunglück und den Ver¬
lust treuer Freunde gestört. Beide Schwiegersöhne, mehrere Enkel und Urenkel



*) Nach einer der Inschriften in der Kirche Seneka Croce bei CnpponiS Leichenfeier.
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[0261] Giuv Lapponi. Himmel wie der Mehrzahl seiner Landsleute. Er war sich der großen Mängel des neuen Staatswesens wohl bewußt und schalt die Ungeduld derer, welche erwarteten und verlangten, daß das junge Königreich den alten und gefesteten Großstaaten mit einem Schlage vollkommen ebenbürtig sein sollte, „Wir müssen noch vieles lernen," Pflegte er zu sagen; „mau arbeitet bei uns zu wenig, so¬ wohl mit dem Kopfe wie mit den Armen. Es sehlt uns an Festigkeit des Willens wie an Ausdauer." Die Annexion Venetiens gereichte ihm zur ganz besondern Frende, weil er von der ererbten politischen Begabung der Venetianer große Bordseite für die glückliche Entwicklung des Gesammtstaats erhoffte. Daß Welschtirvl österreichisch blieb, war ihm sehr schmerzlich. „Trient müßten wir haben," sagte er vor dein Friedensschlüsse, „auch wenn wir es kaufen sollten." Es sollte nicht sein; er beschied sich, und als der letzte fremde Soldat über die italienische Grenze zurück¬ gegangen war, rief er aus: „Nun, o Herr, rufe mich zu Dir, alle meine Wünsche sind erfüllt!"*) Bei dem Ausbruche des Krieges vou 1870 erkannte er keine und offen die Gerechtigkeit der deutschen Sache an und verwarf entschieden den Gedanken an «ne französisch-italienische Allianz, die unter seine» politischen Freunden wie in den höchsten Regionen viele Anhänger zählte. Als nach dem Tage von Sedan das ungestüme Verlangen des Volkes das Ministerium Lanza endlich zur Occupation Roms bestimmt hatte, sprach er sich, seiner alten Ueberzeugung treu und der öffentlichen Meinung trotzend, gegen die Annexion der päpstlichen Hauptstadt und ihre Wahl zur Metropole des Königreichs aus. Er wollte einen auch politisch unabhängigen Papst und hielt deshalb im Senate eine ver¬ gebliche Rede gegen die Annahme des Plebiscits vom 2. October 1870, in dem die Bevölkerung des Patrininms Petri mit erdrückender Majorität das Pavst- königthnm verurtheilt hatte. Es war eine Jueonseauenz seiner politischen Auf¬ fassung; Neumond hat durchaus Recht, wenn er ihm nachweist, daß seine eignen Ansichten in nothwendiger Folgerung zur Depossedirung des Papstes führen mußten. Von vornherein war Cappvni allerdings kein Unitarier, er hätte den Bundesstaat vorgezogen; erst allmählich überzeugte er sich davon, daß unter den besondern Verhältnissen der Halbinsel der letztere eine Utopie sei, was freilich sein deutscher Biograph nicht zugeben will. In den sechziger Jahren wurde die mühsam erkämpfte Ruhe und Seelen¬ heiterkeit des Greises abermals durch mehrfaches Familienunglück und den Ver¬ lust treuer Freunde gestört. Beide Schwiegersöhne, mehrere Enkel und Urenkel *) Nach einer der Inschriften in der Kirche Seneka Croce bei CnpponiS Leichenfeier.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/261>, abgerufen am 27.12.2024.