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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Lapponi.

starben, die Tochter, das einzige überlebende Kind, litt unter schwerer Geistes¬
störung. Peter Vieussenx, der Mann, welcher vielleicht mehr als irgend ein
andrer dazu beigetragen hat, historische Studien, vor allein die Kenntniß der
ausländischen Literatur und den Verkehr mit fremden Gelehrten in Tosemm
zu fördern, Ginos vertrautester Freund, starb 1865; bald folgte der hochbegabte
Staatsmann Cosimo Ridölfi, der Dichter Nieeolini und der treffliche Massimo
d'Azeglio, von dem er uns eine den Verfasser wie seinen Helden ehrende Cha¬
rakteristik hinterlassen hat. (G. Cappoui, Loritti "litt vel inväiti. I, 478.) Zwischen
Cappoui nud dem Dictator Toseanas von 1859--60 und Nachfolger CavonrS,
dem mit Recht hochnngeseheuen, aber persönlich wenig liebenswürdigen Vettiuv
Nicasoli bestand kein näheres Verhältniß; Giuv empfand keine Shmpathie für
den "eisernen Baron," so wenig er auch dessen Verdienste verkannte. Dagegen
trat er in nähere Beziehung zu Alfonso Lamarmvra. Die unbarmherzige Ver¬
folgung, die der bei alleu seinen Fehlern durchaus patriotisch und ehrenhaft
gesinnte Mann in Deutschland wie in Italien zu erdulden hatte, indem man
die Mängel des Staatsmanns und Heerführers vielfach dein Menschen Lamar¬
mvra zur Last legte, empörten sein Gerechtigkeitsgefühl. Allerdings -- das
konnte Cappoui uicht verkennen -- war Lamarmvra weder dein Amte eines
Ministerpräsidenten noch dein eines Generalstabschefs in so schwierigen Zeiten
gewachsen. Daß er das nicht selbst, oder doch nicht rechtzeitig erkannte, ist der
Hauptvorwurf, der ihn trifft. Dagegen ist weder von den italienischen Ciäldiuisicn
noch von seinen deutschen Gegnern der Beweis erbracht worden, daß er nicht
stets in gutem Glauben gehandelt habe, und die allerdings strafbare Indis¬
kretion, die er durch Veröffentlichung von Staatsdocumenten uach dem Rück¬
tritte aus seinem Amte beging, ist durch seine tief gekränkte Ehr- und Eigenliebe
wenigstens zu erklären, wenn auch nicht zu entschuldigen.

Die lebhafte Theilnahme an den großartigen Ereignissen und den gewaltige"
politischen Berändernngen im eignen Vaterlande wie dem übrige" Europa ver¬
hinderte Cappvni nicht, gleichzeitig den neuen Erscheinungen auf literarischem
Gebiete mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu folgen und sich mit ernsten
wissenschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen. Eine französische Freundin, Hortensc
Allnrt, eine Cousine von Sophie Gans, hatte ihm schon 1847 ihren Abriß der
florentinischen Geschichte gewidmet. Während er in Gemeinschaft mit seinem
Secretär Carraresi mit einer italienischen Bearbeitung derselben beschäftigt die
Quellen studirte, tauchte der alte Lieblingsgcdauke wieder in ihm auf, selbst die
Geschichte der Glanzzeit seiner Heimat zu schreiben. Aus der Uebersetzung ward
allmählich ein selbständiges Originalwerk; nach zwanzig Jahren gewissenhafter,
mit jugendlichem Feuer geforderter Arbeit (1853--1873) war es vollendet.


Giuv Lapponi.

starben, die Tochter, das einzige überlebende Kind, litt unter schwerer Geistes¬
störung. Peter Vieussenx, der Mann, welcher vielleicht mehr als irgend ein
andrer dazu beigetragen hat, historische Studien, vor allein die Kenntniß der
ausländischen Literatur und den Verkehr mit fremden Gelehrten in Tosemm
zu fördern, Ginos vertrautester Freund, starb 1865; bald folgte der hochbegabte
Staatsmann Cosimo Ridölfi, der Dichter Nieeolini und der treffliche Massimo
d'Azeglio, von dem er uns eine den Verfasser wie seinen Helden ehrende Cha¬
rakteristik hinterlassen hat. (G. Cappoui, Loritti «litt vel inväiti. I, 478.) Zwischen
Cappoui nud dem Dictator Toseanas von 1859—60 und Nachfolger CavonrS,
dem mit Recht hochnngeseheuen, aber persönlich wenig liebenswürdigen Vettiuv
Nicasoli bestand kein näheres Verhältniß; Giuv empfand keine Shmpathie für
den „eisernen Baron," so wenig er auch dessen Verdienste verkannte. Dagegen
trat er in nähere Beziehung zu Alfonso Lamarmvra. Die unbarmherzige Ver¬
folgung, die der bei alleu seinen Fehlern durchaus patriotisch und ehrenhaft
gesinnte Mann in Deutschland wie in Italien zu erdulden hatte, indem man
die Mängel des Staatsmanns und Heerführers vielfach dein Menschen Lamar¬
mvra zur Last legte, empörten sein Gerechtigkeitsgefühl. Allerdings — das
konnte Cappoui uicht verkennen — war Lamarmvra weder dein Amte eines
Ministerpräsidenten noch dein eines Generalstabschefs in so schwierigen Zeiten
gewachsen. Daß er das nicht selbst, oder doch nicht rechtzeitig erkannte, ist der
Hauptvorwurf, der ihn trifft. Dagegen ist weder von den italienischen Ciäldiuisicn
noch von seinen deutschen Gegnern der Beweis erbracht worden, daß er nicht
stets in gutem Glauben gehandelt habe, und die allerdings strafbare Indis¬
kretion, die er durch Veröffentlichung von Staatsdocumenten uach dem Rück¬
tritte aus seinem Amte beging, ist durch seine tief gekränkte Ehr- und Eigenliebe
wenigstens zu erklären, wenn auch nicht zu entschuldigen.

Die lebhafte Theilnahme an den großartigen Ereignissen und den gewaltige»
politischen Berändernngen im eignen Vaterlande wie dem übrige» Europa ver¬
hinderte Cappvni nicht, gleichzeitig den neuen Erscheinungen auf literarischem
Gebiete mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu folgen und sich mit ernsten
wissenschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen. Eine französische Freundin, Hortensc
Allnrt, eine Cousine von Sophie Gans, hatte ihm schon 1847 ihren Abriß der
florentinischen Geschichte gewidmet. Während er in Gemeinschaft mit seinem
Secretär Carraresi mit einer italienischen Bearbeitung derselben beschäftigt die
Quellen studirte, tauchte der alte Lieblingsgcdauke wieder in ihm auf, selbst die
Geschichte der Glanzzeit seiner Heimat zu schreiben. Aus der Uebersetzung ward
allmählich ein selbständiges Originalwerk; nach zwanzig Jahren gewissenhafter,
mit jugendlichem Feuer geforderter Arbeit (1853—1873) war es vollendet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/262>, abgerufen am 27.12.2024.