Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Lcssingstudien. er ihn soweit bringt, daß er diese Leidenschaften selbst fühlt, und nicht bloß fühlt, Aber soll die Tragödie nicht Schrecken, soll sie nicht Bewunderung erregen? Lcssingstudien. er ihn soweit bringt, daß er diese Leidenschaften selbst fühlt, und nicht bloß fühlt, Aber soll die Tragödie nicht Schrecken, soll sie nicht Bewunderung erregen? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149234"/> <fw type="header" place="top"> Lcssingstudien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_684" prev="#ID_683"> er ihn soweit bringt, daß er diese Leidenschaften selbst fühlt, und nicht bloß fühlt,<lb/> ein anderer fühlte sie? Kurz, ich finde keine einzige Leidenschaft, die das Trauer¬<lb/> spiel in dem Zuschauer rege macht, als das Mitleiden/' (Lessing an Nicolai,<lb/> 13. November 1756). Wie man sieht, ist das Mitleiden hier in seiner eigent¬<lb/> lichen Bedeutung als die Bekümmerniß um andrer Leiden gefaßt; nur jenes<lb/> fühlt der Zuschauer selbst und er allein, die dargestellten Leidenschaften fühlt<lb/> er nur mit und nicht als wirkliche: ein Zustand der Seele, den Lessing in<lb/> einem berühmt gewordenen Bilde dem Miterbeben der gleich gestimmten Saite<lb/> vergleicht (Lessing an Mendelssohn 2, Februar 1757). „Dergleichen zweite<lb/> Affecten aber — sagt er — die bei Erblickung solcher Affecten an andern, in<lb/> mir entstehen, verdienen kaum deu Namen der Affecten; daher ich denn in einem<lb/> von meinen ersten Briefen schon gesagt habe, daß die Tragödie eigentlich keinen<lb/> Affect bei uns rege mache, als das Mitleiden. Denn diesen Affect empfinden<lb/> nicht die spielenden Personen, und wir empfinden ihn nicht bloß, weil sie ihn<lb/> empfinden, sondern er entsteht in uns ursprünglich aus der Wirkung der Gegen¬<lb/> stände auf uns."</p><lb/> <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Aber soll die Tragödie nicht Schrecken, soll sie nicht Bewunderung erregen?<lb/> „Schrecken und Bewunderung, antwortet Lessing (an Nicolai, 13. November 1756),<lb/> sind keine Leidenschaften nach meinem Verstände." Der Schrecken in der Tra¬<lb/> gödie ist nichts weiter als das überraschte und unentwickelte Mitleid, die<lb/> Bewunderung nichts anders als das entbehrlich gewordene Mitleid. „Das<lb/> Schrecken braucht der Dichter zur Ankündigung des Mitleids, und Bewunde¬<lb/> rung gleichsam zum Ruhepunkte desselben. Der Weg zum Mitleid wird dem<lb/> Zuhörer zu laug, wenn ihn nicht gleich der erste Schreck aufmerksam macht,<lb/> und das Mitleiden nützt sich ab, wenn es sich nicht in der Bewunderung er¬<lb/> holen kann. . . Eilt Trauerspiel voller Schrecken, ohne Mitleid, ist ein Wetter¬<lb/> leuchten ohne Donner." „Wenn heldenmüthige Gesinnungen Bewunderung er¬<lb/> regen sollen, so muß der Dichter nicht zu verschwenderisch damit umgehen."<lb/> (Hamburgische Dramaturgie 1. Stück.) Der sterbende Cato eines Seneca und<lb/> alle solche stoische, unempfindliche Helden sind „mehr als Menschen", sind „schöne<lb/> Ungeheuer". (An Mendelssohn 28. November 17Ü6.) Nacheiferungswert^<lb/> edle Thaten will Lessing nicht aus dem Trauerspiele verbannt wissen, vielmehr<lb/> kann ohne sie nach seiner Meinung gar kein Trauerspiel bestehen, „weil man<lb/> ohne sie kein Mitleid erregen kann. Ich will nur diejenigen großen Eigen¬<lb/> schaften ausgeschlossen haben, die wir unter dem allgemeinen Namen des He¬<lb/> roismus begreifen können, weil jede derselben mit Unempfindlichkeit verbunden<lb/> ist, und Unempfindlichkeit in dem Gegenstande des Mitleids mein Mitleiden<lb/> schwächt." Lessing verweist hier auf die Alten. „Um das Mitleid desto</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Lcssingstudien.
er ihn soweit bringt, daß er diese Leidenschaften selbst fühlt, und nicht bloß fühlt,
ein anderer fühlte sie? Kurz, ich finde keine einzige Leidenschaft, die das Trauer¬
spiel in dem Zuschauer rege macht, als das Mitleiden/' (Lessing an Nicolai,
13. November 1756). Wie man sieht, ist das Mitleiden hier in seiner eigent¬
lichen Bedeutung als die Bekümmerniß um andrer Leiden gefaßt; nur jenes
fühlt der Zuschauer selbst und er allein, die dargestellten Leidenschaften fühlt
er nur mit und nicht als wirkliche: ein Zustand der Seele, den Lessing in
einem berühmt gewordenen Bilde dem Miterbeben der gleich gestimmten Saite
vergleicht (Lessing an Mendelssohn 2, Februar 1757). „Dergleichen zweite
Affecten aber — sagt er — die bei Erblickung solcher Affecten an andern, in
mir entstehen, verdienen kaum deu Namen der Affecten; daher ich denn in einem
von meinen ersten Briefen schon gesagt habe, daß die Tragödie eigentlich keinen
Affect bei uns rege mache, als das Mitleiden. Denn diesen Affect empfinden
nicht die spielenden Personen, und wir empfinden ihn nicht bloß, weil sie ihn
empfinden, sondern er entsteht in uns ursprünglich aus der Wirkung der Gegen¬
stände auf uns."
Aber soll die Tragödie nicht Schrecken, soll sie nicht Bewunderung erregen?
„Schrecken und Bewunderung, antwortet Lessing (an Nicolai, 13. November 1756),
sind keine Leidenschaften nach meinem Verstände." Der Schrecken in der Tra¬
gödie ist nichts weiter als das überraschte und unentwickelte Mitleid, die
Bewunderung nichts anders als das entbehrlich gewordene Mitleid. „Das
Schrecken braucht der Dichter zur Ankündigung des Mitleids, und Bewunde¬
rung gleichsam zum Ruhepunkte desselben. Der Weg zum Mitleid wird dem
Zuhörer zu laug, wenn ihn nicht gleich der erste Schreck aufmerksam macht,
und das Mitleiden nützt sich ab, wenn es sich nicht in der Bewunderung er¬
holen kann. . . Eilt Trauerspiel voller Schrecken, ohne Mitleid, ist ein Wetter¬
leuchten ohne Donner." „Wenn heldenmüthige Gesinnungen Bewunderung er¬
regen sollen, so muß der Dichter nicht zu verschwenderisch damit umgehen."
(Hamburgische Dramaturgie 1. Stück.) Der sterbende Cato eines Seneca und
alle solche stoische, unempfindliche Helden sind „mehr als Menschen", sind „schöne
Ungeheuer". (An Mendelssohn 28. November 17Ü6.) Nacheiferungswert^
edle Thaten will Lessing nicht aus dem Trauerspiele verbannt wissen, vielmehr
kann ohne sie nach seiner Meinung gar kein Trauerspiel bestehen, „weil man
ohne sie kein Mitleid erregen kann. Ich will nur diejenigen großen Eigen¬
schaften ausgeschlossen haben, die wir unter dem allgemeinen Namen des He¬
roismus begreifen können, weil jede derselben mit Unempfindlichkeit verbunden
ist, und Unempfindlichkeit in dem Gegenstande des Mitleids mein Mitleiden
schwächt." Lessing verweist hier auf die Alten. „Um das Mitleid desto
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