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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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P. U. Rosegger.

unsicheren Gegenüber fühlen mußte, im Kampfe gegen mancherlei Hindernisse
und Widerwärtigkeiten sich emporzuarbeiten hatte. So hatte man ihn zuerst
zu einem Buchhändler in die Lehre gegeben - in die Lehre einen Mann, den
man seines poetischen Talentes wegen seinen bäuerischen Verhältnissen entrissen
hatte; er mußte sich erst selbst verzweifelnd wieder auf den Rückzug in seine
Wälder begeben, ehe es seinen Mäeenen klar wurde, daß nicht ein Buchladen, son¬
dern eineSchule die nöthige Bildungsanstalt für seinen dürstenden Geist sein konnte.
Manches, was uns in seinen Schriften übertrieben und absurd erscheint, mag
so einer berechtigten oder doch erklärlichen Gefühlsreactiou entsprungen sein;
es sind die erklärlichen Ausflüsse der Schwankungen, wie sie ein Entwicklnngs-
stndium vorübergehend mit sich bringen kann, auch bei sonst kräftigen Naturen.

In dein Norworte zu den "Gestalten" ^1872) finden wir eine Stelle,
welche das eben gesagte illustrirt: "Ich habe den Drang mich in das Leben
des Gebirgsvvlkes zu vertiefen erst zur Zeit empfunden, als ich das durch Genuß
und Verfeinerung abgestumpfte und träge gewordene Leben der großen Städte
und sogenannten großen Welt kennen gelernt hatte. Da war mir oft als sei
dieses nicht das ernste, schöne gleichmäßige Leben, wie es uns Menschen zugedacht ist,
und als sei die einzige Rettung für die im Genußtamncl hinrasende und
siechende Menschheit die Rückkehr zur Natur" -- d. h. der Natur der Gebirgs-
mcnschen, zu denen er sich zurücksehnte und in die er sich dann "mit erweitertem
Weitblick" hineinzuleben bestrebt war. Nun, seitdem wird sich sein Weltblick
zu der Wahrnehmung erweitert haben, daß die Schäfer seines Areadiens nicht
minder taumeln und siechen, als die Leute in der großen Welt, und daß diese
im allgemeinen doch nicht ganz so träge und abgestumpft ist wie vielleicht
manche Einzelerscheinung, die ihm entgegengetreten sein mag, daß sie vielmehr
auch recht hart arbeitet, edle Zwecke verfolgt und edle Ziele anstrebt, daß der
Ueberfcinerung des Städters die Sittenroheit des Naturmenschen wohl als gleichstarke
UnVollkommenheit gegenüber tritt, und daß, wenn der Naturzustand nicht ver¬
mag -- er schildert es ja oft selbst! -- den Menschen und die Menschheit in
schönem Gleichgewicht zu halten, es vergebliche Liebesmüh wäre, sie wieder zum
Naturzustände zurückzuführen. Was ist überhaupt "zur Natur zurückkehren?"
Holzhacken allein macht wohl nicht glücklich. Die moderne, oder wie Rosegger
sagt, sogenannte große Welt ist auch die Blüthe einer natürlichen Entwicklung
und somit ein natürlicher Zustand. Wer recht in ihr steht und wirkt, ist der
rechte Naturmensch. So ist Rosegger ein rechter Naturmensch, wenngleich er
selbst nicht daran gedacht hat, die Feder wieder mit der Mistgabel zu ver¬
tausch", -- ein wahres Glück, daß seine Schwärmerei uicht soweit ging! Nach
einigen Irrfahrten hat er sich in seinen neuesten Bänden wieder auf dem Boden


P. U. Rosegger.

unsicheren Gegenüber fühlen mußte, im Kampfe gegen mancherlei Hindernisse
und Widerwärtigkeiten sich emporzuarbeiten hatte. So hatte man ihn zuerst
zu einem Buchhändler in die Lehre gegeben - in die Lehre einen Mann, den
man seines poetischen Talentes wegen seinen bäuerischen Verhältnissen entrissen
hatte; er mußte sich erst selbst verzweifelnd wieder auf den Rückzug in seine
Wälder begeben, ehe es seinen Mäeenen klar wurde, daß nicht ein Buchladen, son¬
dern eineSchule die nöthige Bildungsanstalt für seinen dürstenden Geist sein konnte.
Manches, was uns in seinen Schriften übertrieben und absurd erscheint, mag
so einer berechtigten oder doch erklärlichen Gefühlsreactiou entsprungen sein;
es sind die erklärlichen Ausflüsse der Schwankungen, wie sie ein Entwicklnngs-
stndium vorübergehend mit sich bringen kann, auch bei sonst kräftigen Naturen.

In dein Norworte zu den „Gestalten" ^1872) finden wir eine Stelle,
welche das eben gesagte illustrirt: „Ich habe den Drang mich in das Leben
des Gebirgsvvlkes zu vertiefen erst zur Zeit empfunden, als ich das durch Genuß
und Verfeinerung abgestumpfte und träge gewordene Leben der großen Städte
und sogenannten großen Welt kennen gelernt hatte. Da war mir oft als sei
dieses nicht das ernste, schöne gleichmäßige Leben, wie es uns Menschen zugedacht ist,
und als sei die einzige Rettung für die im Genußtamncl hinrasende und
siechende Menschheit die Rückkehr zur Natur" — d. h. der Natur der Gebirgs-
mcnschen, zu denen er sich zurücksehnte und in die er sich dann „mit erweitertem
Weitblick" hineinzuleben bestrebt war. Nun, seitdem wird sich sein Weltblick
zu der Wahrnehmung erweitert haben, daß die Schäfer seines Areadiens nicht
minder taumeln und siechen, als die Leute in der großen Welt, und daß diese
im allgemeinen doch nicht ganz so träge und abgestumpft ist wie vielleicht
manche Einzelerscheinung, die ihm entgegengetreten sein mag, daß sie vielmehr
auch recht hart arbeitet, edle Zwecke verfolgt und edle Ziele anstrebt, daß der
Ueberfcinerung des Städters die Sittenroheit des Naturmenschen wohl als gleichstarke
UnVollkommenheit gegenüber tritt, und daß, wenn der Naturzustand nicht ver¬
mag — er schildert es ja oft selbst! — den Menschen und die Menschheit in
schönem Gleichgewicht zu halten, es vergebliche Liebesmüh wäre, sie wieder zum
Naturzustände zurückzuführen. Was ist überhaupt „zur Natur zurückkehren?"
Holzhacken allein macht wohl nicht glücklich. Die moderne, oder wie Rosegger
sagt, sogenannte große Welt ist auch die Blüthe einer natürlichen Entwicklung
und somit ein natürlicher Zustand. Wer recht in ihr steht und wirkt, ist der
rechte Naturmensch. So ist Rosegger ein rechter Naturmensch, wenngleich er
selbst nicht daran gedacht hat, die Feder wieder mit der Mistgabel zu ver¬
tausch», — ein wahres Glück, daß seine Schwärmerei uicht soweit ging! Nach
einigen Irrfahrten hat er sich in seinen neuesten Bänden wieder auf dem Boden


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[0225] P. U. Rosegger. unsicheren Gegenüber fühlen mußte, im Kampfe gegen mancherlei Hindernisse und Widerwärtigkeiten sich emporzuarbeiten hatte. So hatte man ihn zuerst zu einem Buchhändler in die Lehre gegeben - in die Lehre einen Mann, den man seines poetischen Talentes wegen seinen bäuerischen Verhältnissen entrissen hatte; er mußte sich erst selbst verzweifelnd wieder auf den Rückzug in seine Wälder begeben, ehe es seinen Mäeenen klar wurde, daß nicht ein Buchladen, son¬ dern eineSchule die nöthige Bildungsanstalt für seinen dürstenden Geist sein konnte. Manches, was uns in seinen Schriften übertrieben und absurd erscheint, mag so einer berechtigten oder doch erklärlichen Gefühlsreactiou entsprungen sein; es sind die erklärlichen Ausflüsse der Schwankungen, wie sie ein Entwicklnngs- stndium vorübergehend mit sich bringen kann, auch bei sonst kräftigen Naturen. In dein Norworte zu den „Gestalten" ^1872) finden wir eine Stelle, welche das eben gesagte illustrirt: „Ich habe den Drang mich in das Leben des Gebirgsvvlkes zu vertiefen erst zur Zeit empfunden, als ich das durch Genuß und Verfeinerung abgestumpfte und träge gewordene Leben der großen Städte und sogenannten großen Welt kennen gelernt hatte. Da war mir oft als sei dieses nicht das ernste, schöne gleichmäßige Leben, wie es uns Menschen zugedacht ist, und als sei die einzige Rettung für die im Genußtamncl hinrasende und siechende Menschheit die Rückkehr zur Natur" — d. h. der Natur der Gebirgs- mcnschen, zu denen er sich zurücksehnte und in die er sich dann „mit erweitertem Weitblick" hineinzuleben bestrebt war. Nun, seitdem wird sich sein Weltblick zu der Wahrnehmung erweitert haben, daß die Schäfer seines Areadiens nicht minder taumeln und siechen, als die Leute in der großen Welt, und daß diese im allgemeinen doch nicht ganz so träge und abgestumpft ist wie vielleicht manche Einzelerscheinung, die ihm entgegengetreten sein mag, daß sie vielmehr auch recht hart arbeitet, edle Zwecke verfolgt und edle Ziele anstrebt, daß der Ueberfcinerung des Städters die Sittenroheit des Naturmenschen wohl als gleichstarke UnVollkommenheit gegenüber tritt, und daß, wenn der Naturzustand nicht ver¬ mag — er schildert es ja oft selbst! — den Menschen und die Menschheit in schönem Gleichgewicht zu halten, es vergebliche Liebesmüh wäre, sie wieder zum Naturzustände zurückzuführen. Was ist überhaupt „zur Natur zurückkehren?" Holzhacken allein macht wohl nicht glücklich. Die moderne, oder wie Rosegger sagt, sogenannte große Welt ist auch die Blüthe einer natürlichen Entwicklung und somit ein natürlicher Zustand. Wer recht in ihr steht und wirkt, ist der rechte Naturmensch. So ist Rosegger ein rechter Naturmensch, wenngleich er selbst nicht daran gedacht hat, die Feder wieder mit der Mistgabel zu ver¬ tausch», — ein wahres Glück, daß seine Schwärmerei uicht soweit ging! Nach einigen Irrfahrten hat er sich in seinen neuesten Bänden wieder auf dem Boden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/225>, abgerufen am 27.12.2024.