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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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p. U. Rosegger.

sein Herz erfüllt hat; in seinem Besten greift er auf dies zurück, es bleibt der Quell
und Kern seines Schaffens oder doch ein sonniger Traum im Gang und Thun
des realen Lebens, wie es die Verhältnisse ihm gestalten, ein Traum, der immer
wieder auftaucht. Auch Rosegger haben die Wanderjahre in der großen Welt
nicht aus dem Ideenkreise geführt, in welchem er groß geworden ist; es konnte
dies um so weniger geschehen, als er doch bereits ein fertiger Mensch war, da
er aus der heimischen Welt trat/

Wie schon augedeutet, bewahrt uicht alles, was Rosegger veröffentlicht hat,
die gleiche Haltung. Ueberblicken wir das von ihm geschaffene, wie es in
seiner Gesammtheit in den bisher erschienenen Bänden vorliegt, so tritt uns
eine nicht durchaus abgeklärte und harmonische Individualität entgegen. Die
Entwicklung der Ideen und der Anschauungsweise des Dichters erscheint noch im
Fluß, und aus der Folge der Bände scheint hervorzugehen, daß sein gesundes
realistisches Gefühl erst nach und nach einen etwas romantisch sentimentalen
Hang zu überwinden hatte, der ihm ferner liegende oder fremd gebliebene Gebiete
des Gesellschaftslebens verzerrt erscheinen läßt und ihm einzelne Gestaltungen
eingegeben hat, die weder gesund noch überhaupt natürlich und möglich sind, ja
ihn manchmal zu recht starken Absurditäten hinreißt. Fast immer frisch und
wohlthuend sind seine Schilderungen, wenn er aus dem Leben seiner Bauern
schöpft, fast immer schief und ungeschickt, wenn er sich mit der sogenannten Ge¬
sellschaft befaßt und sie tendenziös neben jene stellt, und wenn er sich die Jcarus-
flügel der Romantik anschnallt und einen Flug in Regionen versucht, welche ihm
keine Lebenslust bieten, oder wenn er sich von allgemeinen großen und tönenden
Maximen berauschen läßt und sie auf seine reale Welt übertragen will. Beides,
das Tendenziöse und das Romantisch-sentimentale, welches manchem, in den
abgerundeteren Erzählungen namentlich, bei sonst großen Schönheiten einen unan¬
genehmen Beigeschmack giebt oder ihm gelegentlich einen Wurf völlig mißlingen
läßt, wird sich auf ein und dieselbe Ursache zurückführen lassen: eben auf seinen
späten und unvermittelter Eintritt in die moderne Welt. Der in seiner äußern
Entwicklung schon fertige Naturmensch mußte durch die Berührung mit ihr und
ihren Ideen aus dem Gleichgewicht gebracht werden; er wird vieles, vieles anders
gefunden haben, als es der unklare Nachhall, der vou dem Geräusch dieser großen
Welt sich in seine ferne Waldheimat verlor, ihn erwarten ließ, manche Illusion
wird er verloren haben, und manche entdeckte Wahrheit wird ein bittrer Stachel
für sein Herz gewesen sein. Und ebenso muß es ein hartes und oft verbitterndes
Ringen gewesen sein, durch welches der sich seines innern Werthes bewußte
Jüngling aus seiner Unbeholfenheit zu socialer Gleichberechtigung und Anerkennung
in der "Gesellschaft," zu deren glatten Formen er sich in unvorteilhaftem und


p. U. Rosegger.

sein Herz erfüllt hat; in seinem Besten greift er auf dies zurück, es bleibt der Quell
und Kern seines Schaffens oder doch ein sonniger Traum im Gang und Thun
des realen Lebens, wie es die Verhältnisse ihm gestalten, ein Traum, der immer
wieder auftaucht. Auch Rosegger haben die Wanderjahre in der großen Welt
nicht aus dem Ideenkreise geführt, in welchem er groß geworden ist; es konnte
dies um so weniger geschehen, als er doch bereits ein fertiger Mensch war, da
er aus der heimischen Welt trat/

Wie schon augedeutet, bewahrt uicht alles, was Rosegger veröffentlicht hat,
die gleiche Haltung. Ueberblicken wir das von ihm geschaffene, wie es in
seiner Gesammtheit in den bisher erschienenen Bänden vorliegt, so tritt uns
eine nicht durchaus abgeklärte und harmonische Individualität entgegen. Die
Entwicklung der Ideen und der Anschauungsweise des Dichters erscheint noch im
Fluß, und aus der Folge der Bände scheint hervorzugehen, daß sein gesundes
realistisches Gefühl erst nach und nach einen etwas romantisch sentimentalen
Hang zu überwinden hatte, der ihm ferner liegende oder fremd gebliebene Gebiete
des Gesellschaftslebens verzerrt erscheinen läßt und ihm einzelne Gestaltungen
eingegeben hat, die weder gesund noch überhaupt natürlich und möglich sind, ja
ihn manchmal zu recht starken Absurditäten hinreißt. Fast immer frisch und
wohlthuend sind seine Schilderungen, wenn er aus dem Leben seiner Bauern
schöpft, fast immer schief und ungeschickt, wenn er sich mit der sogenannten Ge¬
sellschaft befaßt und sie tendenziös neben jene stellt, und wenn er sich die Jcarus-
flügel der Romantik anschnallt und einen Flug in Regionen versucht, welche ihm
keine Lebenslust bieten, oder wenn er sich von allgemeinen großen und tönenden
Maximen berauschen läßt und sie auf seine reale Welt übertragen will. Beides,
das Tendenziöse und das Romantisch-sentimentale, welches manchem, in den
abgerundeteren Erzählungen namentlich, bei sonst großen Schönheiten einen unan¬
genehmen Beigeschmack giebt oder ihm gelegentlich einen Wurf völlig mißlingen
läßt, wird sich auf ein und dieselbe Ursache zurückführen lassen: eben auf seinen
späten und unvermittelter Eintritt in die moderne Welt. Der in seiner äußern
Entwicklung schon fertige Naturmensch mußte durch die Berührung mit ihr und
ihren Ideen aus dem Gleichgewicht gebracht werden; er wird vieles, vieles anders
gefunden haben, als es der unklare Nachhall, der vou dem Geräusch dieser großen
Welt sich in seine ferne Waldheimat verlor, ihn erwarten ließ, manche Illusion
wird er verloren haben, und manche entdeckte Wahrheit wird ein bittrer Stachel
für sein Herz gewesen sein. Und ebenso muß es ein hartes und oft verbitterndes
Ringen gewesen sein, durch welches der sich seines innern Werthes bewußte
Jüngling aus seiner Unbeholfenheit zu socialer Gleichberechtigung und Anerkennung
in der „Gesellschaft," zu deren glatten Formen er sich in unvorteilhaftem und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/224>, abgerufen am 27.12.2024.