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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Wandte, auch dies ist erklärlich. Das Volk hoffte vom Tschinownikthum nichts,
aber es hoffte vom Kaiser, den es für das Geschehene verantwortlich glaubte,
Remedur. Und das hat seine historische Begründung.

Die Autokratie ist eine Regierungsform, wie sie für lange Zeit noch dem
Geiste des russischen Volkes gemäß sein wird, aber nicht die Autokratie des
Egoismus und der Willkür der Beamten, sondern der aufgeklärte Despotismus
seiner Kaiser. Ihm verdankt Rußland seit vielen Generationen alles, was diesen
Staat ebenbürtig in deu Wettkampf europäischer Civilisation gestellt hat. Das
Beamtenthum wäre dem Volke die Negation der Staatsidee geworden, das
Zarenthum war ihm der Staat. Und dies Vertrauen hatte seinen guten Grund.
Als Peter der Große -- diese glänzende Verkörperung der Staatsidee -- 1717
in Paris Nichelieus marmornes Grabmal sah, rief er aus: "Großer Mann,
dir wollte ich die Hälfte meiner Staaten geben, könntest dn mich die andere
regieren lehren!" Die westländische Civilisation war für Peter die Autorität,
vor welcher er sich selbst beugte. Der Schiffszimmermann in Zcmndcun ver¬
mittelte sich zunächst selber, nach dem eigenthümlichen Genius seines russisch¬
nationalen Verständnisses, das fremde Culturmaterial, so weit es ihm zusagte,
und verpflanzte dies dann autokratisch in sein Land. Aber der Autokrat Peter
besaß noch etwas anderes. das seinem Jchbegriffe versöhnend und heiligend zur
Seite stand. Es war der Geist eines Allgemeinen, das in ihm lebte -- die
Idee des Staates. Peter wollte nicht seinen Egoismus, seinen Ehrgeiz, seine
Ländersncht befriedigen, alles, was er that, geschah aus den Motiven der Arbeit
für den Staat, er war das Fleisch und Blut gewordene Rußland selbst, und
mit Recht trägt er deu Namen des "Vaters des Vaterlandes." Den "Staat"
Rußland in modernem Sinne hat Peter eigentlich erst begründet, vor ihm war
es mehr ein Streichen- und Nomadenreich. In der Wirklichkeit um sich her
sah Peter den Barbarenstaat, Schmutz, Faulheit, Gewalt, Knechtschaft, Ver¬
schwörung, einen Staat, den er nur mit den Mitteln eines "genialen Barbaren"
regieren konnte, aber in seinem Geiste sah er noch einen zweiten Staat, den
Staat der Zukunft, das Weltreich Rußland, Schweden, Polen, Türken besiegt
und sein Volk und seine Beamten von seinem eignen Geiste inspirirt und sitt¬
lich befähigt durch die Liebe zum Vaterlande. Nur ein völlig kenntnißloser
kann in die vulgäre Phrase einstimmen, daß in Rußland der "Staat" nicht zu
finden gewesen sei. Im Gegentheil, die Erhebung eines Kolossalreiches wie Ru߬
land und sein Eintritt in das Concert der europäischen Culturstaaten seit Peters
Zeit ist in der Geschichte beispiellos. Große Länderlappen vorübergehend zu¬
sammenzuflicken, das hat mich Alexander der Große, das hat Timur, Tamerlan,
das hat Napoleon Bonaparte verstanden; Peter der Große aber hat mehr ge-
than. Wenn 150 Jahre nach dem Tode des großen Stifters durch mehr als
70 Millionen Menschen die Ahnung hindurchgeht, daß auch sie berufen sind,


Gttnzbotctt I. 1881, S4

Wandte, auch dies ist erklärlich. Das Volk hoffte vom Tschinownikthum nichts,
aber es hoffte vom Kaiser, den es für das Geschehene verantwortlich glaubte,
Remedur. Und das hat seine historische Begründung.

Die Autokratie ist eine Regierungsform, wie sie für lange Zeit noch dem
Geiste des russischen Volkes gemäß sein wird, aber nicht die Autokratie des
Egoismus und der Willkür der Beamten, sondern der aufgeklärte Despotismus
seiner Kaiser. Ihm verdankt Rußland seit vielen Generationen alles, was diesen
Staat ebenbürtig in deu Wettkampf europäischer Civilisation gestellt hat. Das
Beamtenthum wäre dem Volke die Negation der Staatsidee geworden, das
Zarenthum war ihm der Staat. Und dies Vertrauen hatte seinen guten Grund.
Als Peter der Große — diese glänzende Verkörperung der Staatsidee — 1717
in Paris Nichelieus marmornes Grabmal sah, rief er aus: „Großer Mann,
dir wollte ich die Hälfte meiner Staaten geben, könntest dn mich die andere
regieren lehren!" Die westländische Civilisation war für Peter die Autorität,
vor welcher er sich selbst beugte. Der Schiffszimmermann in Zcmndcun ver¬
mittelte sich zunächst selber, nach dem eigenthümlichen Genius seines russisch¬
nationalen Verständnisses, das fremde Culturmaterial, so weit es ihm zusagte,
und verpflanzte dies dann autokratisch in sein Land. Aber der Autokrat Peter
besaß noch etwas anderes. das seinem Jchbegriffe versöhnend und heiligend zur
Seite stand. Es war der Geist eines Allgemeinen, das in ihm lebte — die
Idee des Staates. Peter wollte nicht seinen Egoismus, seinen Ehrgeiz, seine
Ländersncht befriedigen, alles, was er that, geschah aus den Motiven der Arbeit
für den Staat, er war das Fleisch und Blut gewordene Rußland selbst, und
mit Recht trägt er deu Namen des „Vaters des Vaterlandes." Den „Staat"
Rußland in modernem Sinne hat Peter eigentlich erst begründet, vor ihm war
es mehr ein Streichen- und Nomadenreich. In der Wirklichkeit um sich her
sah Peter den Barbarenstaat, Schmutz, Faulheit, Gewalt, Knechtschaft, Ver¬
schwörung, einen Staat, den er nur mit den Mitteln eines „genialen Barbaren"
regieren konnte, aber in seinem Geiste sah er noch einen zweiten Staat, den
Staat der Zukunft, das Weltreich Rußland, Schweden, Polen, Türken besiegt
und sein Volk und seine Beamten von seinem eignen Geiste inspirirt und sitt¬
lich befähigt durch die Liebe zum Vaterlande. Nur ein völlig kenntnißloser
kann in die vulgäre Phrase einstimmen, daß in Rußland der „Staat" nicht zu
finden gewesen sei. Im Gegentheil, die Erhebung eines Kolossalreiches wie Ru߬
land und sein Eintritt in das Concert der europäischen Culturstaaten seit Peters
Zeit ist in der Geschichte beispiellos. Große Länderlappen vorübergehend zu¬
sammenzuflicken, das hat mich Alexander der Große, das hat Timur, Tamerlan,
das hat Napoleon Bonaparte verstanden; Peter der Große aber hat mehr ge-
than. Wenn 150 Jahre nach dem Tode des großen Stifters durch mehr als
70 Millionen Menschen die Ahnung hindurchgeht, daß auch sie berufen sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/185>, abgerufen am 28.12.2024.