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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.

schaften. Dein Hochmuth und deine Halsstarrigkeit haben Rußland erschöpft,
die Welt gegen dasselbe gewaffnet. Beuge dich vor deinen Brüdern; sich um
Verzeihung an, frage um Rath, wirf dich in die Arme deines Volkes, es giebt
kein ander Heil für dich."

Der Menschenfreund mag es tief beklagen, daß die Saat des Unrechts
und der Willkür grade unter der Regierung des humanster Herrschers Alex¬
anders II. in den verbrecherischen Früchten des Nihilismus zur Reife kam,
aber es ist die Tragik der Welt, daß die Schuld und der Irrthum an den un¬
sterblichen Ideen des Rechts und der Wahrheit, unbekümmert um Personen, ihre
Sühnung verlangen. Auch die Wissenschaft, welche nach dem Grunde der Er¬
scheinungen fragt, weiß sehr wohl, daß die Ereignisse einer Zeit fast nie direct
und vollständig aus den Personen und den Umständen eben dieser Zeit zu er¬
klären sind. Viel persönlich gutes und ehrenhaftes mag zur Entschuldigung
des Zaren Nikolaus I. mit Recht gesagt werden, unser Ergebniß wird dadurch
nicht wesentlich verändert. Nikolaus befand sich in dem Wahne, daß es kein
angestammtes Menschenrecht der Kritik, der Controle, der Mitarbeit an dem
Ausbau der Staatsgesetze seitens aller Unterthauen gäbe; hieraus floß das
Unrecht, welches seine Regierung beging. Es haben Fürsten größere Irrthümer
begangen als Nikolaus und doch bei weitem nicht soviel Unrecht und Willkür
erzeugt als das nikolaische System. Dies liegt in der verderblichen Uebertmgung
der Grundsätze dieses Systems auf das Beamtenheer. Alle modernen Staaten
haben die Tendenz, ihre Beamten in überwältigender Progression zu vermehren,
alle haben die Gefahren zu berücksichtigen, welche dadurch entstehen, daß die
Quellen des möglichen Machtmißbrauchs durch die Beamtenheere ins Unerme߬
liche vergrößert werden. Das System des Zaren Nikolaus, von pflichttreuen,
redlichen Beamten ausgeführt, hätte trotz seiner Widersinnigkeit niemals den
Nihilismus erzeugt, vielleicht hätte es einen politischen Stillstand von einem
Menschenalter bedeutet und wäre dann einer friedlichen Correctur verfallen,
niemals aber hätte es die Volksseele bis in ihre tiefsten Abgründe aufgeregt.
Daß dies geschehen ist, war nicht des Zaren Schuld, sondern größtentheils die
seiner verdorbenen Beamten, welche das Unrecht und den Irrthum der obersten
Staatsleitung vertausendfachten und in die kleinste Hütte trugen. Ein Beamten-
thum, welches keiner Kritik, keiner Controle unterworfen ist, gegen dessen All¬
macht und Unrecht der Bedrückte keinen gesetzlichen Widerstand leisten kann, muß
jeden Staat an den Rand des Abgrundes führen.

Mit Recht sagt der Volksmund, daß der große Despotismus erträglich, der
kleine aber unerträglich sei. Die Härten des erstern werden vor allem dadurch
gemildert, daß sie nicht vom einzelnen, sondern von allen gemeinsam getragen
werden müssen. Meistens ist auch der große Despotismus von oben her aus


Die destructiven Elemente im Staate.

schaften. Dein Hochmuth und deine Halsstarrigkeit haben Rußland erschöpft,
die Welt gegen dasselbe gewaffnet. Beuge dich vor deinen Brüdern; sich um
Verzeihung an, frage um Rath, wirf dich in die Arme deines Volkes, es giebt
kein ander Heil für dich."

Der Menschenfreund mag es tief beklagen, daß die Saat des Unrechts
und der Willkür grade unter der Regierung des humanster Herrschers Alex¬
anders II. in den verbrecherischen Früchten des Nihilismus zur Reife kam,
aber es ist die Tragik der Welt, daß die Schuld und der Irrthum an den un¬
sterblichen Ideen des Rechts und der Wahrheit, unbekümmert um Personen, ihre
Sühnung verlangen. Auch die Wissenschaft, welche nach dem Grunde der Er¬
scheinungen fragt, weiß sehr wohl, daß die Ereignisse einer Zeit fast nie direct
und vollständig aus den Personen und den Umständen eben dieser Zeit zu er¬
klären sind. Viel persönlich gutes und ehrenhaftes mag zur Entschuldigung
des Zaren Nikolaus I. mit Recht gesagt werden, unser Ergebniß wird dadurch
nicht wesentlich verändert. Nikolaus befand sich in dem Wahne, daß es kein
angestammtes Menschenrecht der Kritik, der Controle, der Mitarbeit an dem
Ausbau der Staatsgesetze seitens aller Unterthauen gäbe; hieraus floß das
Unrecht, welches seine Regierung beging. Es haben Fürsten größere Irrthümer
begangen als Nikolaus und doch bei weitem nicht soviel Unrecht und Willkür
erzeugt als das nikolaische System. Dies liegt in der verderblichen Uebertmgung
der Grundsätze dieses Systems auf das Beamtenheer. Alle modernen Staaten
haben die Tendenz, ihre Beamten in überwältigender Progression zu vermehren,
alle haben die Gefahren zu berücksichtigen, welche dadurch entstehen, daß die
Quellen des möglichen Machtmißbrauchs durch die Beamtenheere ins Unerme߬
liche vergrößert werden. Das System des Zaren Nikolaus, von pflichttreuen,
redlichen Beamten ausgeführt, hätte trotz seiner Widersinnigkeit niemals den
Nihilismus erzeugt, vielleicht hätte es einen politischen Stillstand von einem
Menschenalter bedeutet und wäre dann einer friedlichen Correctur verfallen,
niemals aber hätte es die Volksseele bis in ihre tiefsten Abgründe aufgeregt.
Daß dies geschehen ist, war nicht des Zaren Schuld, sondern größtentheils die
seiner verdorbenen Beamten, welche das Unrecht und den Irrthum der obersten
Staatsleitung vertausendfachten und in die kleinste Hütte trugen. Ein Beamten-
thum, welches keiner Kritik, keiner Controle unterworfen ist, gegen dessen All¬
macht und Unrecht der Bedrückte keinen gesetzlichen Widerstand leisten kann, muß
jeden Staat an den Rand des Abgrundes führen.

Mit Recht sagt der Volksmund, daß der große Despotismus erträglich, der
kleine aber unerträglich sei. Die Härten des erstern werden vor allem dadurch
gemildert, daß sie nicht vom einzelnen, sondern von allen gemeinsam getragen
werden müssen. Meistens ist auch der große Despotismus von oben her aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/183>, abgerufen am 29.12.2024.