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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Anfang und Lüde einer Gemäldegalerie des vorigen Jahrhunderts.

decorativer Bilder oben. An den einzelnen Wänden waren die Gemälde
nach Gesetzen der Responsion und Symmetrie vertheilt. In diesem ersten
Hauptsaale hing über der großen Flügelthür der Eingangswand das
Reiterbildniß Johann Wilhelms, von dem schon genannten Chevalier van
Douven gemalt, ein Bild, welches sich heute in der Münchener Pinakothek
befindet. Die Mitte der langen Hauptwand nahm eins der Riesenbilder
Caspar de Crayers ein, des Meisters, den Rubens hochschätzte, obgleich
er uns heute als ein flauer, verwässerter Rubens erscheint; übrigens eine gro߬
artige Komposition: hochthronend Maria mit dem Kinde, zahlreiche Heilige
auf den mächtigen Stufen der Himmelshalle gruppirt. Wo kein Gemälde von
Rubens neben ihm hängt, ist Caspar de Crayer wohl zu würdigen, und wohl¬
weislich hatte man in der That alle Werke von Rubens aus diesem Saale ver¬
bannt. Dagegen schmückten einige vorzügliche Bildnisse und religiöse oder
mythologische Darstellungen A. van Dycks und anderer Rnbensschüler -- auch
I. Jordaens' großes Bohnenfest -- dieselbe Hauptwand, und später hingen
hier auch die prächtigen Jagdstücke Jan Fyts, welche Carl Theodor erst 1767
auf seiner niederrheinischen Reise von den Klingenfabrikanten Solingens geschenkt
erhielt.

Der zweite Saal war der erste der kleinern quadratischen Ecksäle. Er
hieß der "Gerard Dow-Saal", weil er eins der berühmtesten Bilder dieses be¬
rühmten holländischen Genremalers enthielt. Das Bild, welches den Markt¬
schreier aus der Dorfstraße darstellt, hing gleich rechts neben der Eingangsthür;
jetzt befindet es sich ebenfalls in einem der Cavinete der Münchener Pinakothek.
Im übrigen enthielt dieses Zimmer ein ziemlich buntes Gemisch vlämischer,
holländischer und italienischer Meister.

Der eigentliche "Italienische Saal" aber war der dritte Saal, der große
mittlere Hauptsaal, der größte von allen, dessen Fensterwand in der Mitte nach
dem Hofe zu noch einen Ausbau zeigte. Die beiden schmalen Seitenwände
dieses Risalits hatten das beste Licht; und hier hingen einige Gemälde, auf
welche man -- leider mit Unrecht -- ein Hauptgewicht legte: eine kleine heilige
Familie, angeblich vorn großen Michelangelo, aber ganz unecht; ein Lo-zslromo,
angeblich von Correggio, aber wohl nnr von einem Enkelschüler desselben, jetzt
in der Münchener Pinakothek wenig beachtet; ein angeblicher Lionardo da Vinci,
jetzt in Schleißheim, weder gekannt noch anerkannt; endlich sogar ein angeblicher
Rafael, eine Wiederholung des Johannes in der Wüste. An der Hauptwand
dieses Saales aber hing ein echtes Bild Rafaels, jene Madonna des Hauses
Ccmgiani, welche die Kurfürstin aus Florenz mitgebracht hatte, die bekannte
symmetrische Komposition: Elisabeth und Maria knieen einander gegenüber und
führen zwischen sich ihre Knäblein einander zu; Joseph steht dahinter und


Anfang und Lüde einer Gemäldegalerie des vorigen Jahrhunderts.

decorativer Bilder oben. An den einzelnen Wänden waren die Gemälde
nach Gesetzen der Responsion und Symmetrie vertheilt. In diesem ersten
Hauptsaale hing über der großen Flügelthür der Eingangswand das
Reiterbildniß Johann Wilhelms, von dem schon genannten Chevalier van
Douven gemalt, ein Bild, welches sich heute in der Münchener Pinakothek
befindet. Die Mitte der langen Hauptwand nahm eins der Riesenbilder
Caspar de Crayers ein, des Meisters, den Rubens hochschätzte, obgleich
er uns heute als ein flauer, verwässerter Rubens erscheint; übrigens eine gro߬
artige Komposition: hochthronend Maria mit dem Kinde, zahlreiche Heilige
auf den mächtigen Stufen der Himmelshalle gruppirt. Wo kein Gemälde von
Rubens neben ihm hängt, ist Caspar de Crayer wohl zu würdigen, und wohl¬
weislich hatte man in der That alle Werke von Rubens aus diesem Saale ver¬
bannt. Dagegen schmückten einige vorzügliche Bildnisse und religiöse oder
mythologische Darstellungen A. van Dycks und anderer Rnbensschüler — auch
I. Jordaens' großes Bohnenfest — dieselbe Hauptwand, und später hingen
hier auch die prächtigen Jagdstücke Jan Fyts, welche Carl Theodor erst 1767
auf seiner niederrheinischen Reise von den Klingenfabrikanten Solingens geschenkt
erhielt.

Der zweite Saal war der erste der kleinern quadratischen Ecksäle. Er
hieß der „Gerard Dow-Saal", weil er eins der berühmtesten Bilder dieses be¬
rühmten holländischen Genremalers enthielt. Das Bild, welches den Markt¬
schreier aus der Dorfstraße darstellt, hing gleich rechts neben der Eingangsthür;
jetzt befindet es sich ebenfalls in einem der Cavinete der Münchener Pinakothek.
Im übrigen enthielt dieses Zimmer ein ziemlich buntes Gemisch vlämischer,
holländischer und italienischer Meister.

Der eigentliche „Italienische Saal" aber war der dritte Saal, der große
mittlere Hauptsaal, der größte von allen, dessen Fensterwand in der Mitte nach
dem Hofe zu noch einen Ausbau zeigte. Die beiden schmalen Seitenwände
dieses Risalits hatten das beste Licht; und hier hingen einige Gemälde, auf
welche man — leider mit Unrecht — ein Hauptgewicht legte: eine kleine heilige
Familie, angeblich vorn großen Michelangelo, aber ganz unecht; ein Lo-zslromo,
angeblich von Correggio, aber wohl nnr von einem Enkelschüler desselben, jetzt
in der Münchener Pinakothek wenig beachtet; ein angeblicher Lionardo da Vinci,
jetzt in Schleißheim, weder gekannt noch anerkannt; endlich sogar ein angeblicher
Rafael, eine Wiederholung des Johannes in der Wüste. An der Hauptwand
dieses Saales aber hing ein echtes Bild Rafaels, jene Madonna des Hauses
Ccmgiani, welche die Kurfürstin aus Florenz mitgebracht hatte, die bekannte
symmetrische Komposition: Elisabeth und Maria knieen einander gegenüber und
führen zwischen sich ihre Knäblein einander zu; Joseph steht dahinter und


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[0163] Anfang und Lüde einer Gemäldegalerie des vorigen Jahrhunderts. decorativer Bilder oben. An den einzelnen Wänden waren die Gemälde nach Gesetzen der Responsion und Symmetrie vertheilt. In diesem ersten Hauptsaale hing über der großen Flügelthür der Eingangswand das Reiterbildniß Johann Wilhelms, von dem schon genannten Chevalier van Douven gemalt, ein Bild, welches sich heute in der Münchener Pinakothek befindet. Die Mitte der langen Hauptwand nahm eins der Riesenbilder Caspar de Crayers ein, des Meisters, den Rubens hochschätzte, obgleich er uns heute als ein flauer, verwässerter Rubens erscheint; übrigens eine gro߬ artige Komposition: hochthronend Maria mit dem Kinde, zahlreiche Heilige auf den mächtigen Stufen der Himmelshalle gruppirt. Wo kein Gemälde von Rubens neben ihm hängt, ist Caspar de Crayer wohl zu würdigen, und wohl¬ weislich hatte man in der That alle Werke von Rubens aus diesem Saale ver¬ bannt. Dagegen schmückten einige vorzügliche Bildnisse und religiöse oder mythologische Darstellungen A. van Dycks und anderer Rnbensschüler — auch I. Jordaens' großes Bohnenfest — dieselbe Hauptwand, und später hingen hier auch die prächtigen Jagdstücke Jan Fyts, welche Carl Theodor erst 1767 auf seiner niederrheinischen Reise von den Klingenfabrikanten Solingens geschenkt erhielt. Der zweite Saal war der erste der kleinern quadratischen Ecksäle. Er hieß der „Gerard Dow-Saal", weil er eins der berühmtesten Bilder dieses be¬ rühmten holländischen Genremalers enthielt. Das Bild, welches den Markt¬ schreier aus der Dorfstraße darstellt, hing gleich rechts neben der Eingangsthür; jetzt befindet es sich ebenfalls in einem der Cavinete der Münchener Pinakothek. Im übrigen enthielt dieses Zimmer ein ziemlich buntes Gemisch vlämischer, holländischer und italienischer Meister. Der eigentliche „Italienische Saal" aber war der dritte Saal, der große mittlere Hauptsaal, der größte von allen, dessen Fensterwand in der Mitte nach dem Hofe zu noch einen Ausbau zeigte. Die beiden schmalen Seitenwände dieses Risalits hatten das beste Licht; und hier hingen einige Gemälde, auf welche man — leider mit Unrecht — ein Hauptgewicht legte: eine kleine heilige Familie, angeblich vorn großen Michelangelo, aber ganz unecht; ein Lo-zslromo, angeblich von Correggio, aber wohl nnr von einem Enkelschüler desselben, jetzt in der Münchener Pinakothek wenig beachtet; ein angeblicher Lionardo da Vinci, jetzt in Schleißheim, weder gekannt noch anerkannt; endlich sogar ein angeblicher Rafael, eine Wiederholung des Johannes in der Wüste. An der Hauptwand dieses Saales aber hing ein echtes Bild Rafaels, jene Madonna des Hauses Ccmgiani, welche die Kurfürstin aus Florenz mitgebracht hatte, die bekannte symmetrische Komposition: Elisabeth und Maria knieen einander gegenüber und führen zwischen sich ihre Knäblein einander zu; Joseph steht dahinter und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/163>, abgerufen am 14.01.2025.