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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Chr. Gottfried Aörner und I, G. Göschen,

In den letzten siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts war der aus Bremen
stammende und als "Handlungsbedienter" in der angesehenen Buchhandlung von
Siegfried Leberecht Crusius angestellte junge Buchhändler Georg Joachim Göschen
mit dem Sohne des Superintendenten und Universitätsprofessors Johann Gott¬
fried Körner, dem jungen Magister und Privatdocenten an der juristischen
Facultät Christian Gottfried, bekannt und bald auch befreundet geworden. Den
Vermittler der Bekanntschaft scheint Körners Vetter, der Kaufmann Johann
Friedrich Kurze abgegeben zu haben, aber, wie die beiden jungen Männer ge¬
artet waren, bedürfte es bald keiner Vermittlung mehr. Der poetisch-literarische
Enthusiasmus der Sturm- und Drangperiode, die Ueberzeugung, daß aus der
literarischen Bewegung eine völlige Neugestaltung des Lebens hervorgehen müsse,
war in beiden jungen Männern, wenn auch bei jedem in besondern! Grade
lebendig. Und die Umbildung der deutschen Gesellschaft war doch bereits soweit
vorgeschritten, daß es nicht allzusehr mehr auffiel, wenn der junge Gelehrte
geselligen Verkehr mit einem gebildeten und eifrig strebsamen Buchhandlungs¬
gehilfen pflog, der alles im Leben von seiner eignen Kraft erwarten mußte.
Körner hatte zu der Zeit, wo er Göschen kennen lernte, jenes Verhältniß zu der
anmuthigen und klugen Tochter des in Leipzig angesiedelten Nürnbergischen
Kupferstechers Stock schon angeknüpft, welches so vollen, warmen Sonnenschein
in sein Herz goß und sein Dasein zu einem so harmonischen gestaltete, daß der
Hinweis auf diesen Mann und dies Haus allein hinreicht, eine ganze Reihe von
Vorwürfen und Anklagen zu entkräften, welche gegen die Sturm- und Drang-
Periode gerichtet werden. Sowohl Körner wie seine nachmalige Braut waren echte
Kinder dieser Periode, die ganze Heirat des aus vermögender, angesehener Familie
stammenden Doctors beider Rechte mit dem liebenswürdigen Kinde des ver¬
dienten, aber unbemittelten Künstlers wurde nur möglich, weil die bisher geltenden
starren Anschauungen und Vorurtheile mehr und mehr in den Hintergrund ge¬
drängt wurden. In der kritischen Zeit, in der Körners Familie sich der Ver¬
bindung wiedersetzte und den Muth und die Treue des wackern jungen Mannes
auf eine schwere, aber wohlbestandene Probe stellte, scheint auch Göschen nach
feinem ganzen spätern Verhältniß zu Körner und den Seinen zu schließen zu
denjenigen gehört zu haben, welche mit aller Wärme an dem bedrohten Liebes¬
paare theilnahmen. Die Universitätslaufbahn Körners war bekanntlich nur kurz.
Nachdem er "etlichemal zu Anfang des Semesters am Fenster gelauert" und
"jedes Stieseltretschen als Musik" begrüßt hatte, gab er seine Docentenschaft an
der Leipziger Universität auf und trat mit dem Grafen Schönburg jene Reise an,
welche ihn nach den Niederlanden, England, Frankreich und der Schweiz führte und
ihm ohne Zweifel jene Weite des Blicks, jene Vielseitigkeit der Interessen gab, durch
welche wir Körner unter seinen spätern Berufsgenossen sich auszeichnen sehen.


Chr. Gottfried Aörner und I, G. Göschen,

In den letzten siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts war der aus Bremen
stammende und als „Handlungsbedienter" in der angesehenen Buchhandlung von
Siegfried Leberecht Crusius angestellte junge Buchhändler Georg Joachim Göschen
mit dem Sohne des Superintendenten und Universitätsprofessors Johann Gott¬
fried Körner, dem jungen Magister und Privatdocenten an der juristischen
Facultät Christian Gottfried, bekannt und bald auch befreundet geworden. Den
Vermittler der Bekanntschaft scheint Körners Vetter, der Kaufmann Johann
Friedrich Kurze abgegeben zu haben, aber, wie die beiden jungen Männer ge¬
artet waren, bedürfte es bald keiner Vermittlung mehr. Der poetisch-literarische
Enthusiasmus der Sturm- und Drangperiode, die Ueberzeugung, daß aus der
literarischen Bewegung eine völlige Neugestaltung des Lebens hervorgehen müsse,
war in beiden jungen Männern, wenn auch bei jedem in besondern! Grade
lebendig. Und die Umbildung der deutschen Gesellschaft war doch bereits soweit
vorgeschritten, daß es nicht allzusehr mehr auffiel, wenn der junge Gelehrte
geselligen Verkehr mit einem gebildeten und eifrig strebsamen Buchhandlungs¬
gehilfen pflog, der alles im Leben von seiner eignen Kraft erwarten mußte.
Körner hatte zu der Zeit, wo er Göschen kennen lernte, jenes Verhältniß zu der
anmuthigen und klugen Tochter des in Leipzig angesiedelten Nürnbergischen
Kupferstechers Stock schon angeknüpft, welches so vollen, warmen Sonnenschein
in sein Herz goß und sein Dasein zu einem so harmonischen gestaltete, daß der
Hinweis auf diesen Mann und dies Haus allein hinreicht, eine ganze Reihe von
Vorwürfen und Anklagen zu entkräften, welche gegen die Sturm- und Drang-
Periode gerichtet werden. Sowohl Körner wie seine nachmalige Braut waren echte
Kinder dieser Periode, die ganze Heirat des aus vermögender, angesehener Familie
stammenden Doctors beider Rechte mit dem liebenswürdigen Kinde des ver¬
dienten, aber unbemittelten Künstlers wurde nur möglich, weil die bisher geltenden
starren Anschauungen und Vorurtheile mehr und mehr in den Hintergrund ge¬
drängt wurden. In der kritischen Zeit, in der Körners Familie sich der Ver¬
bindung wiedersetzte und den Muth und die Treue des wackern jungen Mannes
auf eine schwere, aber wohlbestandene Probe stellte, scheint auch Göschen nach
feinem ganzen spätern Verhältniß zu Körner und den Seinen zu schließen zu
denjenigen gehört zu haben, welche mit aller Wärme an dem bedrohten Liebes¬
paare theilnahmen. Die Universitätslaufbahn Körners war bekanntlich nur kurz.
Nachdem er „etlichemal zu Anfang des Semesters am Fenster gelauert" und
»jedes Stieseltretschen als Musik" begrüßt hatte, gab er seine Docentenschaft an
der Leipziger Universität auf und trat mit dem Grafen Schönburg jene Reise an,
welche ihn nach den Niederlanden, England, Frankreich und der Schweiz führte und
ihm ohne Zweifel jene Weite des Blicks, jene Vielseitigkeit der Interessen gab, durch
welche wir Körner unter seinen spätern Berufsgenossen sich auszeichnen sehen.


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[0127] Chr. Gottfried Aörner und I, G. Göschen, In den letzten siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts war der aus Bremen stammende und als „Handlungsbedienter" in der angesehenen Buchhandlung von Siegfried Leberecht Crusius angestellte junge Buchhändler Georg Joachim Göschen mit dem Sohne des Superintendenten und Universitätsprofessors Johann Gott¬ fried Körner, dem jungen Magister und Privatdocenten an der juristischen Facultät Christian Gottfried, bekannt und bald auch befreundet geworden. Den Vermittler der Bekanntschaft scheint Körners Vetter, der Kaufmann Johann Friedrich Kurze abgegeben zu haben, aber, wie die beiden jungen Männer ge¬ artet waren, bedürfte es bald keiner Vermittlung mehr. Der poetisch-literarische Enthusiasmus der Sturm- und Drangperiode, die Ueberzeugung, daß aus der literarischen Bewegung eine völlige Neugestaltung des Lebens hervorgehen müsse, war in beiden jungen Männern, wenn auch bei jedem in besondern! Grade lebendig. Und die Umbildung der deutschen Gesellschaft war doch bereits soweit vorgeschritten, daß es nicht allzusehr mehr auffiel, wenn der junge Gelehrte geselligen Verkehr mit einem gebildeten und eifrig strebsamen Buchhandlungs¬ gehilfen pflog, der alles im Leben von seiner eignen Kraft erwarten mußte. Körner hatte zu der Zeit, wo er Göschen kennen lernte, jenes Verhältniß zu der anmuthigen und klugen Tochter des in Leipzig angesiedelten Nürnbergischen Kupferstechers Stock schon angeknüpft, welches so vollen, warmen Sonnenschein in sein Herz goß und sein Dasein zu einem so harmonischen gestaltete, daß der Hinweis auf diesen Mann und dies Haus allein hinreicht, eine ganze Reihe von Vorwürfen und Anklagen zu entkräften, welche gegen die Sturm- und Drang- Periode gerichtet werden. Sowohl Körner wie seine nachmalige Braut waren echte Kinder dieser Periode, die ganze Heirat des aus vermögender, angesehener Familie stammenden Doctors beider Rechte mit dem liebenswürdigen Kinde des ver¬ dienten, aber unbemittelten Künstlers wurde nur möglich, weil die bisher geltenden starren Anschauungen und Vorurtheile mehr und mehr in den Hintergrund ge¬ drängt wurden. In der kritischen Zeit, in der Körners Familie sich der Ver¬ bindung wiedersetzte und den Muth und die Treue des wackern jungen Mannes auf eine schwere, aber wohlbestandene Probe stellte, scheint auch Göschen nach feinem ganzen spätern Verhältniß zu Körner und den Seinen zu schließen zu denjenigen gehört zu haben, welche mit aller Wärme an dem bedrohten Liebes¬ paare theilnahmen. Die Universitätslaufbahn Körners war bekanntlich nur kurz. Nachdem er „etlichemal zu Anfang des Semesters am Fenster gelauert" und »jedes Stieseltretschen als Musik" begrüßt hatte, gab er seine Docentenschaft an der Leipziger Universität auf und trat mit dem Grafen Schönburg jene Reise an, welche ihn nach den Niederlanden, England, Frankreich und der Schweiz führte und ihm ohne Zweifel jene Weite des Blicks, jene Vielseitigkeit der Interessen gab, durch welche wir Körner unter seinen spätern Berufsgenossen sich auszeichnen sehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/127>, abgerufen am 27.12.2024.