Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Politische Briefe. mentarismus von dem französischen ist aber, daß die Parlamentsmitglieder, Politische Briefe. mentarismus von dem französischen ist aber, daß die Parlamentsmitglieder, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149094"/> <fw type="header" place="top"> Politische Briefe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_285" prev="#ID_284" next="#ID_286"> mentarismus von dem französischen ist aber, daß die Parlamentsmitglieder,<lb/> wenn sie auch die Vortheile des Staates reichlich für sich in Anspruch nehmen,<lb/> doch als Theilnehmer der Verwaltung nur solchen Maßregeln zustimmen, bei<lb/> denen der Staat, das öffentliche Recht und die Verwaltung bestehen können.<lb/> Die französischen Parlamentarier sind, wie die deutschen auch, der Mehrzahl<lb/> nach reine Privatleute, oder ihre amtliche Stellung häugt mit ihrer parlamen¬<lb/> tarischen nicht zusammen. Dadurch wird in Frankreich beides, Regierungsmehr¬<lb/> heit und Opposition zu viel einseitigem und gewaltthätigern Parteiinstrumenten.<lb/> Man kann aber diesem Mangel am allerwenigsten in Frankreich dadurch ab¬<lb/> helfen, daß man eine englische regierende Gruudbesitzerkaste schafft, daß man<lb/> Verwaltungsämter zum Zubehör großer Liegenschaften macht und diese Liegen¬<lb/> schaften sammt ihren Besitzern auf dem Wege der Primogenitur herstellt. So<lb/> kommt denn die sogenannte Corruption immer wieder zum Vorschein. Um sie<lb/> zu beseitigen, stürzte man Louis Philipp. Aber das erste, was der revolutio¬<lb/> näre Tribun Ledru Rollin that, war, daß er zugleich mit dem allgemeinen<lb/> Stimmrechte die Listenwahl nach ganzen Departements erfand, um der revolu¬<lb/> tionären Regierung eine ergebene Majorität zu sichern. Die ganze Regierungs¬<lb/> zeit Napoleons III. war u. a. mit der Bemühung erfüllt, eine der Regierung<lb/> ergebene Wahlkammer zu schaffen, welche zugleich als unabhängiger Ausdruck<lb/> der öffentlichen Meinung Staat machen könne. Seitdem wir die neue Republik<lb/> haben, sehen wir einen Tribunen sich und die allgemeinen Dinge zur Ergreifung<lb/> der Dictatur vorbereiten und als wesentlichstes Mittel dieser Dictatur die Wieder¬<lb/> einführung der Ledru Rollinschen Listenwahl erstreben und diesem Ziele mit<lb/> starkem Schritte sich nähern. Das also ist das Zeichen des französischen Par¬<lb/> lamentarismus seit Louis Philipp unverändert bis heute: die Herstellung einer<lb/> der Regierung gefügigen Majorität mit künstlichen Mitteln, welche theils bei<lb/> der Wahl, theils im Laufe der Function angewendet werden. Der historische<lb/> Name für dieses Regiment ist „constitutionell." während das Regiment, wobei<lb/> die Parlamentarier die persönlichen Träger der Verwaltung sind, das „parla¬<lb/> mentarische" heißt. Der englische Verfassungstypus ist parlamentarisch, der fran¬<lb/> zösische constitutionell. Die Bedeutung der politischen Kunstausdrücke bildet sich<lb/> nicht nach der Wortableitung, sondern nach dem historischen Inhalt, den die<lb/> Ausdrücke in prägnanten Momenten erhalten und behalten. Wir protestiren<lb/> daher aufs lebhafteste dagegen, wenn Jolly für den deutschen Verfassungstypus,<lb/> den er nicht parlamentarisch im englischen Sinne haben will, die Bezeichnung<lb/> constitutionell in Vorschlag bringt. Wenn der parlamentarische Typus bei uns,<lb/> wie allenthalben außer England, unmöglich ist, so ist der französische unerträg¬<lb/> lich. Allerdings will Jolly auch nicht den französischen Typus, sondern einen<lb/> eigenthümlich deutschen, welcher die Möglichkeit des Dualismus zwischen Par-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Politische Briefe.
mentarismus von dem französischen ist aber, daß die Parlamentsmitglieder,
wenn sie auch die Vortheile des Staates reichlich für sich in Anspruch nehmen,
doch als Theilnehmer der Verwaltung nur solchen Maßregeln zustimmen, bei
denen der Staat, das öffentliche Recht und die Verwaltung bestehen können.
Die französischen Parlamentarier sind, wie die deutschen auch, der Mehrzahl
nach reine Privatleute, oder ihre amtliche Stellung häugt mit ihrer parlamen¬
tarischen nicht zusammen. Dadurch wird in Frankreich beides, Regierungsmehr¬
heit und Opposition zu viel einseitigem und gewaltthätigern Parteiinstrumenten.
Man kann aber diesem Mangel am allerwenigsten in Frankreich dadurch ab¬
helfen, daß man eine englische regierende Gruudbesitzerkaste schafft, daß man
Verwaltungsämter zum Zubehör großer Liegenschaften macht und diese Liegen¬
schaften sammt ihren Besitzern auf dem Wege der Primogenitur herstellt. So
kommt denn die sogenannte Corruption immer wieder zum Vorschein. Um sie
zu beseitigen, stürzte man Louis Philipp. Aber das erste, was der revolutio¬
näre Tribun Ledru Rollin that, war, daß er zugleich mit dem allgemeinen
Stimmrechte die Listenwahl nach ganzen Departements erfand, um der revolu¬
tionären Regierung eine ergebene Majorität zu sichern. Die ganze Regierungs¬
zeit Napoleons III. war u. a. mit der Bemühung erfüllt, eine der Regierung
ergebene Wahlkammer zu schaffen, welche zugleich als unabhängiger Ausdruck
der öffentlichen Meinung Staat machen könne. Seitdem wir die neue Republik
haben, sehen wir einen Tribunen sich und die allgemeinen Dinge zur Ergreifung
der Dictatur vorbereiten und als wesentlichstes Mittel dieser Dictatur die Wieder¬
einführung der Ledru Rollinschen Listenwahl erstreben und diesem Ziele mit
starkem Schritte sich nähern. Das also ist das Zeichen des französischen Par¬
lamentarismus seit Louis Philipp unverändert bis heute: die Herstellung einer
der Regierung gefügigen Majorität mit künstlichen Mitteln, welche theils bei
der Wahl, theils im Laufe der Function angewendet werden. Der historische
Name für dieses Regiment ist „constitutionell." während das Regiment, wobei
die Parlamentarier die persönlichen Träger der Verwaltung sind, das „parla¬
mentarische" heißt. Der englische Verfassungstypus ist parlamentarisch, der fran¬
zösische constitutionell. Die Bedeutung der politischen Kunstausdrücke bildet sich
nicht nach der Wortableitung, sondern nach dem historischen Inhalt, den die
Ausdrücke in prägnanten Momenten erhalten und behalten. Wir protestiren
daher aufs lebhafteste dagegen, wenn Jolly für den deutschen Verfassungstypus,
den er nicht parlamentarisch im englischen Sinne haben will, die Bezeichnung
constitutionell in Vorschlag bringt. Wenn der parlamentarische Typus bei uns,
wie allenthalben außer England, unmöglich ist, so ist der französische unerträg¬
lich. Allerdings will Jolly auch nicht den französischen Typus, sondern einen
eigenthümlich deutschen, welcher die Möglichkeit des Dualismus zwischen Par-
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