Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
politische Briefe.

zurückzuhalten. So ist es namentlich in Oesterreich. Belgien kommt nicht in
Betracht, weil es nur eine neutrale Provinz unter europäischer Curatel und
Gesammtvürgschaft ist.

Wie aber steht es in Frankreich? Hat man nicht in Frankreich das sou¬
veräne Parlament ohne das verwirrende Ornament einer Krone hergestellt, ist
hier nicht das Ideal der parlamentarischen Regierung verwirklicht? Auf diese
Frage ist folgendes zu erwiedern. Das monarchische Element, ob mit dem
Symbol der Krone ausgestattet oder nicht, ist für die Executive jedes großen
Staates unentbehrlich. In England ruht dieses Element in den Parteiführern,
welche, während sie Minister sind, ihre Stellung oftmals mit den Prärogativen
der symbolischen Krone zu decken wissen. Auch in der französischen Republik
hat man eine Art Symbol der ständigen Executive durch die Rolle des Wahl¬
präsidenten geschaffen, die man für nöthig gehalten hat. Aber dieser Präsident
repräsentirt nicht das monarchische Element in der Executive, wenigstens bis
jetzt noch nicht. Es kaun aber eines Tages dahin kommen, wenn der Träger
der latenten Monarchie im Staate die Zeit gekommen glaubt, den Präsidenten¬
stuhl einzunehmen. An sich könnte das monarchische Element neben einem
schattenhaften Präsidenten auch durch einen mächtigen Minister repräsentirt
werden. Die Hauptsache für das Verständniß des französischen Parlamenta¬
rismus ist aber folgendes. So lange man in Frankreich moderne Parlamente
besitzt, hat sich stets das unwiderstehliche Bedürfniß herausgestellt, die Majorität
dieser Parlamente dem Willen der jeweiligen Executive zu unterwerfen, um
überhaupt zu einem einheitlichen Staatswillen zu gelangen. Die Einheit zwi¬
schen Majorität und Executive konnte man aber nicht auf englische Weise her¬
stellen, weil man nicht wie in England ein ständiges Personal der Parlamente
und ständige Parteien nach Personal und Tradition besaß. Man bot also alles
auf, von der Executive abhängige Majoritäten zu schaffen, indem man sich theils
des Wahlapparats bemächtigte, theils den Mitgliedern der Majorität dafür,
daß sie ministeriell waren, ganz wie in England, persönliche Vortheile ver¬
schaffte. Dies war die viel verschrieene Korruption unter Louis Philipp. Diese
Korruption, um deretwillen man eine Revolution gemacht hat, ist aber ein
inneres, unaustilgliches Element des französischen Parlamentarismus. Und zwar
ist sie es nicht etwa darum, weil der französische Charakter minder respectabel
wäre als der englische -- man muß es mit Erstaunen und mit Achtung sagen,
daß die französische Verwaltung nach allem, was der Staat dort erfahren hat,
viel weniger corrumpirt ist als die englische -- sondern darum, weil man auf
keine andere Weise die Einigkeit zwischen Parlament und Executive herstellen kann.
Dieselbe Korruption ist in England auch vorhanden, nur daß sie dort als etwas
durchaus natürliches erscheint. Der andere Unterschied des englischen Paria-


politische Briefe.

zurückzuhalten. So ist es namentlich in Oesterreich. Belgien kommt nicht in
Betracht, weil es nur eine neutrale Provinz unter europäischer Curatel und
Gesammtvürgschaft ist.

Wie aber steht es in Frankreich? Hat man nicht in Frankreich das sou¬
veräne Parlament ohne das verwirrende Ornament einer Krone hergestellt, ist
hier nicht das Ideal der parlamentarischen Regierung verwirklicht? Auf diese
Frage ist folgendes zu erwiedern. Das monarchische Element, ob mit dem
Symbol der Krone ausgestattet oder nicht, ist für die Executive jedes großen
Staates unentbehrlich. In England ruht dieses Element in den Parteiführern,
welche, während sie Minister sind, ihre Stellung oftmals mit den Prärogativen
der symbolischen Krone zu decken wissen. Auch in der französischen Republik
hat man eine Art Symbol der ständigen Executive durch die Rolle des Wahl¬
präsidenten geschaffen, die man für nöthig gehalten hat. Aber dieser Präsident
repräsentirt nicht das monarchische Element in der Executive, wenigstens bis
jetzt noch nicht. Es kaun aber eines Tages dahin kommen, wenn der Träger
der latenten Monarchie im Staate die Zeit gekommen glaubt, den Präsidenten¬
stuhl einzunehmen. An sich könnte das monarchische Element neben einem
schattenhaften Präsidenten auch durch einen mächtigen Minister repräsentirt
werden. Die Hauptsache für das Verständniß des französischen Parlamenta¬
rismus ist aber folgendes. So lange man in Frankreich moderne Parlamente
besitzt, hat sich stets das unwiderstehliche Bedürfniß herausgestellt, die Majorität
dieser Parlamente dem Willen der jeweiligen Executive zu unterwerfen, um
überhaupt zu einem einheitlichen Staatswillen zu gelangen. Die Einheit zwi¬
schen Majorität und Executive konnte man aber nicht auf englische Weise her¬
stellen, weil man nicht wie in England ein ständiges Personal der Parlamente
und ständige Parteien nach Personal und Tradition besaß. Man bot also alles
auf, von der Executive abhängige Majoritäten zu schaffen, indem man sich theils
des Wahlapparats bemächtigte, theils den Mitgliedern der Majorität dafür,
daß sie ministeriell waren, ganz wie in England, persönliche Vortheile ver¬
schaffte. Dies war die viel verschrieene Korruption unter Louis Philipp. Diese
Korruption, um deretwillen man eine Revolution gemacht hat, ist aber ein
inneres, unaustilgliches Element des französischen Parlamentarismus. Und zwar
ist sie es nicht etwa darum, weil der französische Charakter minder respectabel
wäre als der englische — man muß es mit Erstaunen und mit Achtung sagen,
daß die französische Verwaltung nach allem, was der Staat dort erfahren hat,
viel weniger corrumpirt ist als die englische — sondern darum, weil man auf
keine andere Weise die Einigkeit zwischen Parlament und Executive herstellen kann.
Dieselbe Korruption ist in England auch vorhanden, nur daß sie dort als etwas
durchaus natürliches erscheint. Der andere Unterschied des englischen Paria-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149093"/>
          <fw type="header" place="top"> politische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_283" prev="#ID_282"> zurückzuhalten. So ist es namentlich in Oesterreich. Belgien kommt nicht in<lb/>
Betracht, weil es nur eine neutrale Provinz unter europäischer Curatel und<lb/>
Gesammtvürgschaft ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_284" next="#ID_285"> Wie aber steht es in Frankreich? Hat man nicht in Frankreich das sou¬<lb/>
veräne Parlament ohne das verwirrende Ornament einer Krone hergestellt, ist<lb/>
hier nicht das Ideal der parlamentarischen Regierung verwirklicht? Auf diese<lb/>
Frage ist folgendes zu erwiedern. Das monarchische Element, ob mit dem<lb/>
Symbol der Krone ausgestattet oder nicht, ist für die Executive jedes großen<lb/>
Staates unentbehrlich. In England ruht dieses Element in den Parteiführern,<lb/>
welche, während sie Minister sind, ihre Stellung oftmals mit den Prärogativen<lb/>
der symbolischen Krone zu decken wissen. Auch in der französischen Republik<lb/>
hat man eine Art Symbol der ständigen Executive durch die Rolle des Wahl¬<lb/>
präsidenten geschaffen, die man für nöthig gehalten hat. Aber dieser Präsident<lb/>
repräsentirt nicht das monarchische Element in der Executive, wenigstens bis<lb/>
jetzt noch nicht. Es kaun aber eines Tages dahin kommen, wenn der Träger<lb/>
der latenten Monarchie im Staate die Zeit gekommen glaubt, den Präsidenten¬<lb/>
stuhl einzunehmen. An sich könnte das monarchische Element neben einem<lb/>
schattenhaften Präsidenten auch durch einen mächtigen Minister repräsentirt<lb/>
werden. Die Hauptsache für das Verständniß des französischen Parlamenta¬<lb/>
rismus ist aber folgendes. So lange man in Frankreich moderne Parlamente<lb/>
besitzt, hat sich stets das unwiderstehliche Bedürfniß herausgestellt, die Majorität<lb/>
dieser Parlamente dem Willen der jeweiligen Executive zu unterwerfen, um<lb/>
überhaupt zu einem einheitlichen Staatswillen zu gelangen. Die Einheit zwi¬<lb/>
schen Majorität und Executive konnte man aber nicht auf englische Weise her¬<lb/>
stellen, weil man nicht wie in England ein ständiges Personal der Parlamente<lb/>
und ständige Parteien nach Personal und Tradition besaß. Man bot also alles<lb/>
auf, von der Executive abhängige Majoritäten zu schaffen, indem man sich theils<lb/>
des Wahlapparats bemächtigte, theils den Mitgliedern der Majorität dafür,<lb/>
daß sie ministeriell waren, ganz wie in England, persönliche Vortheile ver¬<lb/>
schaffte. Dies war die viel verschrieene Korruption unter Louis Philipp. Diese<lb/>
Korruption, um deretwillen man eine Revolution gemacht hat, ist aber ein<lb/>
inneres, unaustilgliches Element des französischen Parlamentarismus. Und zwar<lb/>
ist sie es nicht etwa darum, weil der französische Charakter minder respectabel<lb/>
wäre als der englische &#x2014; man muß es mit Erstaunen und mit Achtung sagen,<lb/>
daß die französische Verwaltung nach allem, was der Staat dort erfahren hat,<lb/>
viel weniger corrumpirt ist als die englische &#x2014; sondern darum, weil man auf<lb/>
keine andere Weise die Einigkeit zwischen Parlament und Executive herstellen kann.<lb/>
Dieselbe Korruption ist in England auch vorhanden, nur daß sie dort als etwas<lb/>
durchaus natürliches erscheint. Der andere Unterschied des englischen Paria-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] politische Briefe. zurückzuhalten. So ist es namentlich in Oesterreich. Belgien kommt nicht in Betracht, weil es nur eine neutrale Provinz unter europäischer Curatel und Gesammtvürgschaft ist. Wie aber steht es in Frankreich? Hat man nicht in Frankreich das sou¬ veräne Parlament ohne das verwirrende Ornament einer Krone hergestellt, ist hier nicht das Ideal der parlamentarischen Regierung verwirklicht? Auf diese Frage ist folgendes zu erwiedern. Das monarchische Element, ob mit dem Symbol der Krone ausgestattet oder nicht, ist für die Executive jedes großen Staates unentbehrlich. In England ruht dieses Element in den Parteiführern, welche, während sie Minister sind, ihre Stellung oftmals mit den Prärogativen der symbolischen Krone zu decken wissen. Auch in der französischen Republik hat man eine Art Symbol der ständigen Executive durch die Rolle des Wahl¬ präsidenten geschaffen, die man für nöthig gehalten hat. Aber dieser Präsident repräsentirt nicht das monarchische Element in der Executive, wenigstens bis jetzt noch nicht. Es kaun aber eines Tages dahin kommen, wenn der Träger der latenten Monarchie im Staate die Zeit gekommen glaubt, den Präsidenten¬ stuhl einzunehmen. An sich könnte das monarchische Element neben einem schattenhaften Präsidenten auch durch einen mächtigen Minister repräsentirt werden. Die Hauptsache für das Verständniß des französischen Parlamenta¬ rismus ist aber folgendes. So lange man in Frankreich moderne Parlamente besitzt, hat sich stets das unwiderstehliche Bedürfniß herausgestellt, die Majorität dieser Parlamente dem Willen der jeweiligen Executive zu unterwerfen, um überhaupt zu einem einheitlichen Staatswillen zu gelangen. Die Einheit zwi¬ schen Majorität und Executive konnte man aber nicht auf englische Weise her¬ stellen, weil man nicht wie in England ein ständiges Personal der Parlamente und ständige Parteien nach Personal und Tradition besaß. Man bot also alles auf, von der Executive abhängige Majoritäten zu schaffen, indem man sich theils des Wahlapparats bemächtigte, theils den Mitgliedern der Majorität dafür, daß sie ministeriell waren, ganz wie in England, persönliche Vortheile ver¬ schaffte. Dies war die viel verschrieene Korruption unter Louis Philipp. Diese Korruption, um deretwillen man eine Revolution gemacht hat, ist aber ein inneres, unaustilgliches Element des französischen Parlamentarismus. Und zwar ist sie es nicht etwa darum, weil der französische Charakter minder respectabel wäre als der englische — man muß es mit Erstaunen und mit Achtung sagen, daß die französische Verwaltung nach allem, was der Staat dort erfahren hat, viel weniger corrumpirt ist als die englische — sondern darum, weil man auf keine andere Weise die Einigkeit zwischen Parlament und Executive herstellen kann. Dieselbe Korruption ist in England auch vorhanden, nur daß sie dort als etwas durchaus natürliches erscheint. Der andere Unterschied des englischen Paria-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/109>, abgerufen am 27.12.2024.