Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Großdeutsche Geschichtschreibung.

ur Zeit des Dualismus in Deutschland wurde mit besonderer
Vorliebe das Verhalten der beiden Großmächte gegenüber der
französischen Revolution behandelt. Denn wie in jenen Tagen
Oesterreich und Preußen ihre Pflicht gegen das gemeinsame
Vaterland erfüllt hätten, daraus, meinte man, könne auf die Zu¬
kunft geschlossen werden und lasse sich das Anrecht beider Bewerber auf die
Führung in Deutschland bemessen. Insbesondere suchte man die Frage zu ent¬
scheiden, wer an der Auflösung des Reiches, an dem unglücklichen Ausgange
des Krieges vornehmlich die Schuld trage, und hier pflegten dann Preußens
Gegner vor allem auf den Basler Frieden hinzuweisen, der, im Widerspruche
mit den Neichsgesetzen abgeschlossen, Deutschland gespalten und in schmachvoller
Weise den Franzosen preisgegeben habe. Gegen diesen schweren Vorwurf ist
eine Reihe von Schriftstellern aufgetreten, unter denen es genügt Häussers und
Sybels Namen zu nennen, die von dem politischen Standpunkte aus, daß nur
nach dem Ausscheiden Oesterreichs Preußen die Geschicke unserer Nation zum
Bessern lenken könne, die auf Preußens Vergangenheit gehäuften Anklagen da¬
durch zu entkräften suchten, daß sie vor allem die Gründe, welche Preußen zum
Frieden mit der französischen Republik veranlaßten, eingehender hervorhoben
und zugleich den Nachweis führten, daß auch seit der Beendigung des Krieges
keineswegs zwischen Preußen und Frankreich ein so enges Verhältniß bestanden
habe, als nur zu häufig und mit bitterm Tadel ausgesprochen worden war.
So wenig man auch den Basler Frieden selbst lobte, so suchte man doch den
Abschluß desselben als hervorgerufen durch die neidische, treulose Politik, wie
sie Oesterreich insbesondere in den polnischen Angelegenheiten verfolgt habe, zu
motiviren.

Oesterreich, so fügte man hinzu, habe sich bei weitem Aergeres als diesen
Frieden zu Schulden kommen lassen, indem es zunächst die Niederlande ohne
Noth dem Feinde preisgegeben, dann sich stets geneigt erwiesen habe, gegen den
Erwerb Baierns oder bedeutende Vortheile in Italien den Franzosen das linke
Rheinufer auszuliefern, um endlich in den Verträgen von Leoben und Campo
Formio diese Geneigtheit in der schmachvollsten Weise zu bethätigen.

Dieser Auffassung trat in einer Reihe von Schriften Herr von Vivenot
aufs schroffste entgegen. Durch heftige Anschuldigungen, die er gegen die preu-


Großdeutsche Geschichtschreibung.

ur Zeit des Dualismus in Deutschland wurde mit besonderer
Vorliebe das Verhalten der beiden Großmächte gegenüber der
französischen Revolution behandelt. Denn wie in jenen Tagen
Oesterreich und Preußen ihre Pflicht gegen das gemeinsame
Vaterland erfüllt hätten, daraus, meinte man, könne auf die Zu¬
kunft geschlossen werden und lasse sich das Anrecht beider Bewerber auf die
Führung in Deutschland bemessen. Insbesondere suchte man die Frage zu ent¬
scheiden, wer an der Auflösung des Reiches, an dem unglücklichen Ausgange
des Krieges vornehmlich die Schuld trage, und hier pflegten dann Preußens
Gegner vor allem auf den Basler Frieden hinzuweisen, der, im Widerspruche
mit den Neichsgesetzen abgeschlossen, Deutschland gespalten und in schmachvoller
Weise den Franzosen preisgegeben habe. Gegen diesen schweren Vorwurf ist
eine Reihe von Schriftstellern aufgetreten, unter denen es genügt Häussers und
Sybels Namen zu nennen, die von dem politischen Standpunkte aus, daß nur
nach dem Ausscheiden Oesterreichs Preußen die Geschicke unserer Nation zum
Bessern lenken könne, die auf Preußens Vergangenheit gehäuften Anklagen da¬
durch zu entkräften suchten, daß sie vor allem die Gründe, welche Preußen zum
Frieden mit der französischen Republik veranlaßten, eingehender hervorhoben
und zugleich den Nachweis führten, daß auch seit der Beendigung des Krieges
keineswegs zwischen Preußen und Frankreich ein so enges Verhältniß bestanden
habe, als nur zu häufig und mit bitterm Tadel ausgesprochen worden war.
So wenig man auch den Basler Frieden selbst lobte, so suchte man doch den
Abschluß desselben als hervorgerufen durch die neidische, treulose Politik, wie
sie Oesterreich insbesondere in den polnischen Angelegenheiten verfolgt habe, zu
motiviren.

Oesterreich, so fügte man hinzu, habe sich bei weitem Aergeres als diesen
Frieden zu Schulden kommen lassen, indem es zunächst die Niederlande ohne
Noth dem Feinde preisgegeben, dann sich stets geneigt erwiesen habe, gegen den
Erwerb Baierns oder bedeutende Vortheile in Italien den Franzosen das linke
Rheinufer auszuliefern, um endlich in den Verträgen von Leoben und Campo
Formio diese Geneigtheit in der schmachvollsten Weise zu bethätigen.

Dieser Auffassung trat in einer Reihe von Schriften Herr von Vivenot
aufs schroffste entgegen. Durch heftige Anschuldigungen, die er gegen die preu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149084"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Großdeutsche Geschichtschreibung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_253"> ur Zeit des Dualismus in Deutschland wurde mit besonderer<lb/>
Vorliebe das Verhalten der beiden Großmächte gegenüber der<lb/>
französischen Revolution behandelt. Denn wie in jenen Tagen<lb/>
Oesterreich und Preußen ihre Pflicht gegen das gemeinsame<lb/>
Vaterland erfüllt hätten, daraus, meinte man, könne auf die Zu¬<lb/>
kunft geschlossen werden und lasse sich das Anrecht beider Bewerber auf die<lb/>
Führung in Deutschland bemessen. Insbesondere suchte man die Frage zu ent¬<lb/>
scheiden, wer an der Auflösung des Reiches, an dem unglücklichen Ausgange<lb/>
des Krieges vornehmlich die Schuld trage, und hier pflegten dann Preußens<lb/>
Gegner vor allem auf den Basler Frieden hinzuweisen, der, im Widerspruche<lb/>
mit den Neichsgesetzen abgeschlossen, Deutschland gespalten und in schmachvoller<lb/>
Weise den Franzosen preisgegeben habe. Gegen diesen schweren Vorwurf ist<lb/>
eine Reihe von Schriftstellern aufgetreten, unter denen es genügt Häussers und<lb/>
Sybels Namen zu nennen, die von dem politischen Standpunkte aus, daß nur<lb/>
nach dem Ausscheiden Oesterreichs Preußen die Geschicke unserer Nation zum<lb/>
Bessern lenken könne, die auf Preußens Vergangenheit gehäuften Anklagen da¬<lb/>
durch zu entkräften suchten, daß sie vor allem die Gründe, welche Preußen zum<lb/>
Frieden mit der französischen Republik veranlaßten, eingehender hervorhoben<lb/>
und zugleich den Nachweis führten, daß auch seit der Beendigung des Krieges<lb/>
keineswegs zwischen Preußen und Frankreich ein so enges Verhältniß bestanden<lb/>
habe, als nur zu häufig und mit bitterm Tadel ausgesprochen worden war.<lb/>
So wenig man auch den Basler Frieden selbst lobte, so suchte man doch den<lb/>
Abschluß desselben als hervorgerufen durch die neidische, treulose Politik, wie<lb/>
sie Oesterreich insbesondere in den polnischen Angelegenheiten verfolgt habe, zu<lb/>
motiviren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_254"> Oesterreich, so fügte man hinzu, habe sich bei weitem Aergeres als diesen<lb/>
Frieden zu Schulden kommen lassen, indem es zunächst die Niederlande ohne<lb/>
Noth dem Feinde preisgegeben, dann sich stets geneigt erwiesen habe, gegen den<lb/>
Erwerb Baierns oder bedeutende Vortheile in Italien den Franzosen das linke<lb/>
Rheinufer auszuliefern, um endlich in den Verträgen von Leoben und Campo<lb/>
Formio diese Geneigtheit in der schmachvollsten Weise zu bethätigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_255" next="#ID_256"> Dieser Auffassung trat in einer Reihe von Schriften Herr von Vivenot<lb/>
aufs schroffste entgegen. Durch heftige Anschuldigungen, die er gegen die preu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] Großdeutsche Geschichtschreibung. ur Zeit des Dualismus in Deutschland wurde mit besonderer Vorliebe das Verhalten der beiden Großmächte gegenüber der französischen Revolution behandelt. Denn wie in jenen Tagen Oesterreich und Preußen ihre Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland erfüllt hätten, daraus, meinte man, könne auf die Zu¬ kunft geschlossen werden und lasse sich das Anrecht beider Bewerber auf die Führung in Deutschland bemessen. Insbesondere suchte man die Frage zu ent¬ scheiden, wer an der Auflösung des Reiches, an dem unglücklichen Ausgange des Krieges vornehmlich die Schuld trage, und hier pflegten dann Preußens Gegner vor allem auf den Basler Frieden hinzuweisen, der, im Widerspruche mit den Neichsgesetzen abgeschlossen, Deutschland gespalten und in schmachvoller Weise den Franzosen preisgegeben habe. Gegen diesen schweren Vorwurf ist eine Reihe von Schriftstellern aufgetreten, unter denen es genügt Häussers und Sybels Namen zu nennen, die von dem politischen Standpunkte aus, daß nur nach dem Ausscheiden Oesterreichs Preußen die Geschicke unserer Nation zum Bessern lenken könne, die auf Preußens Vergangenheit gehäuften Anklagen da¬ durch zu entkräften suchten, daß sie vor allem die Gründe, welche Preußen zum Frieden mit der französischen Republik veranlaßten, eingehender hervorhoben und zugleich den Nachweis führten, daß auch seit der Beendigung des Krieges keineswegs zwischen Preußen und Frankreich ein so enges Verhältniß bestanden habe, als nur zu häufig und mit bitterm Tadel ausgesprochen worden war. So wenig man auch den Basler Frieden selbst lobte, so suchte man doch den Abschluß desselben als hervorgerufen durch die neidische, treulose Politik, wie sie Oesterreich insbesondere in den polnischen Angelegenheiten verfolgt habe, zu motiviren. Oesterreich, so fügte man hinzu, habe sich bei weitem Aergeres als diesen Frieden zu Schulden kommen lassen, indem es zunächst die Niederlande ohne Noth dem Feinde preisgegeben, dann sich stets geneigt erwiesen habe, gegen den Erwerb Baierns oder bedeutende Vortheile in Italien den Franzosen das linke Rheinufer auszuliefern, um endlich in den Verträgen von Leoben und Campo Formio diese Geneigtheit in der schmachvollsten Weise zu bethätigen. Dieser Auffassung trat in einer Reihe von Schriften Herr von Vivenot aufs schroffste entgegen. Durch heftige Anschuldigungen, die er gegen die preu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/100>, abgerufen am 27.12.2024.