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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Blicke aus die politische Lage in auswärtigen Fragen.
1. Die türkisch-montenegrinische Angelegenheit und die Mächte
Europas.

Am 3. Oetober lief die Frist ab, welche die Pforte angesichts der von den
europäischen Großmächten ins Werk gesetzten Flottendemonstration zur Formu¬
lierung neuer Vorschläge betreffs der Befriedigung Montenegros in Anspruch
genommen hatte, und am 6. brachte der Telegraph die Nachricht, daß die tür¬
kische Regierung Tags vorher in einer den Botschaftern in Konstantinopel zu¬
gestellten Note erklärt habe, daß sie, um dem fortgesetzten Drängen der Mächte
nachzugeben, entschlossen sei, nicht bloß in Bezug auf Montenegro dem Verlangen
derselben unter gewissen Bedingungen gerecht zu werden, sondern über alle seit
dem Berliner Frieden noch schwebenden Fragen von neuem zu verhandeln. In¬
dem wir davon Act nehmen, um später zu prüfen, was diese Erklärung werth
zu sein scheint, werfen wir zunächst einen Rückblick auf den ganzen türkisch¬
montenegrinischen Grenzstreit und die Stellung der Mächte zu demselben, welche
nun schon seit Monaten die Aufmerksamkeit aller Politiker Europas weit mehr
gefesselt haben, als die Frage, ob der Fürst der halbwilden Tschernagorzen dies
oder jenes Zipfelchen von Albanien erhalten solle, an sich verdient.

Im Frieden von San Stefano, der am 3. März 1878 zwischen der Pforte
und Rußland abgeschlossen wurde, hatte man Montenegro auf Kosten der ersteren
eine Gebietserweiterung ausgemacht, welche den Flächeninhalt des kleinen Für-
stenthums ungefähr verdoppelte. Der Berliner Congreß, dessen Ergebniß der
Vertrag vom 13. Juli des ebengenannten Jahres war, schränkte diesen Gebiets¬
zuwachs im Nordosten sowie in: Süden beträchtlich ein, und während die nörd¬
lichen und nordöstlichen an die Herzegowina und Bosnien grenzenden Land¬
striche, die der Vertrag den Montenegrinern zutheilte, von diesen ebenso rasch
und auf gleich friedlichem Wege in Besitz genommen winden, wie die den ser¬
bischen und rumänischen Bundesgenossen Rußlands zugewiesenen bisher türki-


Grmzboten IV. 1880. 12
Blicke aus die politische Lage in auswärtigen Fragen.
1. Die türkisch-montenegrinische Angelegenheit und die Mächte
Europas.

Am 3. Oetober lief die Frist ab, welche die Pforte angesichts der von den
europäischen Großmächten ins Werk gesetzten Flottendemonstration zur Formu¬
lierung neuer Vorschläge betreffs der Befriedigung Montenegros in Anspruch
genommen hatte, und am 6. brachte der Telegraph die Nachricht, daß die tür¬
kische Regierung Tags vorher in einer den Botschaftern in Konstantinopel zu¬
gestellten Note erklärt habe, daß sie, um dem fortgesetzten Drängen der Mächte
nachzugeben, entschlossen sei, nicht bloß in Bezug auf Montenegro dem Verlangen
derselben unter gewissen Bedingungen gerecht zu werden, sondern über alle seit
dem Berliner Frieden noch schwebenden Fragen von neuem zu verhandeln. In¬
dem wir davon Act nehmen, um später zu prüfen, was diese Erklärung werth
zu sein scheint, werfen wir zunächst einen Rückblick auf den ganzen türkisch¬
montenegrinischen Grenzstreit und die Stellung der Mächte zu demselben, welche
nun schon seit Monaten die Aufmerksamkeit aller Politiker Europas weit mehr
gefesselt haben, als die Frage, ob der Fürst der halbwilden Tschernagorzen dies
oder jenes Zipfelchen von Albanien erhalten solle, an sich verdient.

Im Frieden von San Stefano, der am 3. März 1878 zwischen der Pforte
und Rußland abgeschlossen wurde, hatte man Montenegro auf Kosten der ersteren
eine Gebietserweiterung ausgemacht, welche den Flächeninhalt des kleinen Für-
stenthums ungefähr verdoppelte. Der Berliner Congreß, dessen Ergebniß der
Vertrag vom 13. Juli des ebengenannten Jahres war, schränkte diesen Gebiets¬
zuwachs im Nordosten sowie in: Süden beträchtlich ein, und während die nörd¬
lichen und nordöstlichen an die Herzegowina und Bosnien grenzenden Land¬
striche, die der Vertrag den Montenegrinern zutheilte, von diesen ebenso rasch
und auf gleich friedlichem Wege in Besitz genommen winden, wie die den ser¬
bischen und rumänischen Bundesgenossen Rußlands zugewiesenen bisher türki-


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[0089] Blicke aus die politische Lage in auswärtigen Fragen. 1. Die türkisch-montenegrinische Angelegenheit und die Mächte Europas. Am 3. Oetober lief die Frist ab, welche die Pforte angesichts der von den europäischen Großmächten ins Werk gesetzten Flottendemonstration zur Formu¬ lierung neuer Vorschläge betreffs der Befriedigung Montenegros in Anspruch genommen hatte, und am 6. brachte der Telegraph die Nachricht, daß die tür¬ kische Regierung Tags vorher in einer den Botschaftern in Konstantinopel zu¬ gestellten Note erklärt habe, daß sie, um dem fortgesetzten Drängen der Mächte nachzugeben, entschlossen sei, nicht bloß in Bezug auf Montenegro dem Verlangen derselben unter gewissen Bedingungen gerecht zu werden, sondern über alle seit dem Berliner Frieden noch schwebenden Fragen von neuem zu verhandeln. In¬ dem wir davon Act nehmen, um später zu prüfen, was diese Erklärung werth zu sein scheint, werfen wir zunächst einen Rückblick auf den ganzen türkisch¬ montenegrinischen Grenzstreit und die Stellung der Mächte zu demselben, welche nun schon seit Monaten die Aufmerksamkeit aller Politiker Europas weit mehr gefesselt haben, als die Frage, ob der Fürst der halbwilden Tschernagorzen dies oder jenes Zipfelchen von Albanien erhalten solle, an sich verdient. Im Frieden von San Stefano, der am 3. März 1878 zwischen der Pforte und Rußland abgeschlossen wurde, hatte man Montenegro auf Kosten der ersteren eine Gebietserweiterung ausgemacht, welche den Flächeninhalt des kleinen Für- stenthums ungefähr verdoppelte. Der Berliner Congreß, dessen Ergebniß der Vertrag vom 13. Juli des ebengenannten Jahres war, schränkte diesen Gebiets¬ zuwachs im Nordosten sowie in: Süden beträchtlich ein, und während die nörd¬ lichen und nordöstlichen an die Herzegowina und Bosnien grenzenden Land¬ striche, die der Vertrag den Montenegrinern zutheilte, von diesen ebenso rasch und auf gleich friedlichem Wege in Besitz genommen winden, wie die den ser¬ bischen und rumänischen Bundesgenossen Rußlands zugewiesenen bisher türki- Grmzboten IV. 1880. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/89>, abgerufen am 28.12.2024.